RHEINBERG
Stagefocus präsentiert
Roger O. Hirson/ Stephen Schwartz
Pippin
Premiere: 16.Oktober 2020
Stadthalle Rheinberg
Die großen Musical-Theater sind seit März geschlossen und stehen wirtschaftlich am Abgrund. Da ist man erfreut, dass es mit dem am Niederrhein beheimateten Verein „Stagefocus“ eine Gruppe gibt, die mit großem Enthusiasmus jährlich eine eigene Produktion auf die Bühne bringt. In Corona-Zeiten wäre es naheliegend gewesen, sich auf eine Musical-Gala zu beschränken, doch mit „Pippin“ von Stephen Schwartz bringt das Ensemble eine fast drei stündige Inszenierung auf die Bühne der Stadthalle Rheinberg.
Die Titelfigur orientiert sich grob an Pippin, dem Buckligen, dem ältesten Sohn Karls des Großen. Aus dem körperlich angeschlagenen Prinzen, der einen Aufstand gegen den eigenen Vater durchführte, machte Autor Roger O. Hirson Anfang der 1970er Jahre einen modernen Sinnsucher. Stephen Schwartz Songs bewegen sich dazu auf einer großen Palette zwischen Pop, Ballade, Jazz und Variete.
Während die neue Broadway-Inszenierung von 2013 das Stück im Zirkus ansiedelt, bringt Regisseur Matthias Knaab eine eigenständige Sicht von Pippin auf die Bühne. Hier dreht eine Steampunk-Gruppe mit alten Kameras aus den 1920er Jahren einen Film über Pippin. Ein bisschen fühlt man sich da an die aktuelle Staffel von „Babylon Berlin“ erinnert.
Erstaunlich ist, dass es „Stagefocus“ in Corona-Zeiten gelingt, solch eine Inszenierung auf die Bühne zu bringen. In den ersten Lockdown-Monaten wurden in Konferenzschaltungen die Chöre einstudiert, die in der Aufführung vorzüglich gelingen. Zudem wurde an den Steampunk-Kostümen gearbeitet.
Der Aufführung merkt man nur in wenigen Momenten an, dass es sich hier um eine spezielle Corona-Version handelt. Choreographin Franziska Polten, die auch für die Kostüme verantwortlich ist, lässt das Ensemble zudem in allen Musiknummern durchtanzen. Das ist ebenso schwungvoll wie abwechslungsreich, und in einigen Szenen sind sogar alle 13 AkteurInnen auf der Bühne, singen und tanzen gemeinsam.
Aus dem Ensemble ragen Susanne Zimmer als durch das Stück führende „Leading Player“ und Marc Herrmann als Pippin heraus. Anfangs merkt man beiden Darstellern noch ein bisschen die Nervosität an, und die hohen Töne sind noch nicht so präsent. Doch beim zweiten Song haben sich die beiden eingesungen und freigespielt. Susanne Zimmer gibt mit souliger Stimme und darstellerischem Biss die Moderatorin, Marc Hermann singt mit hellem Tenor einen naiven Pippin und füllt die Rolle überzeugend aus.
Ein dickes Lob verdient das von Simon Hassels geleitete 18-köpfige Orchester mit StudentInnen der Essener Folkwang-Hochschule. Die Musiker sitzen in einem Nebenraum und werden von Axel Goldberg perfekt mit den Singstimmen gemischt.
Die weiteren Aufführungen am 23. und 24. Oktober sind bereits ausverkauft, aber man sollte „Stagefocus“ weiter im Auge behalten, denn diese Produktion beweist, dass eine engagierte Amateurgruppe auf sehr hohem Niveau ein Musical produzieren kann, wenn die Darsteller mit solcher Begeisterung und Können bei der Sache sind wie hier.
Rudolf Hermes, 18.10.2020
(c) Oliver Hummell