Göttingen: „Hercules“ und „Semele“ bei den Händel-Festspielen

Die traditionsreichen Festspiele entfalten sich mit ihrem neuen künstlerischen Leiter George Petrou nun in der ganzen Stadt und landen im Hier und Heute.

Blick auf die Türme der St. Johannis-Kirche, wo die diesjährigen Händel-Festspiele mit dem seltenen „Hercules“ eröffnet wurden. / (c) Lars Gerhards

Wenn man auf Deutsch den Namen Händel ausspricht, denken die meisten an seine Geburtsstadt Halle und die dortigen Händel-Festspiele. Auf Englisch ist es London, seine hauptsächliche Wirkungsstätte, wo er 36 seiner 39 – manche zählen sogar 42 – „Opern“ uraufführte. Und auf Französisch war es – zumindest für mich – Göttingen! Denn im Musikgeschichte-Unterricht an der Ecole Normale de Musique de Paris erzählte der Professor, dass Georg Friedrich Händel nach seinem Tode als Opern-Komponist quasi in Vergessenheit geriet, weil man im 19. Jahrhundert hauptsächlich seine Oratorien schätzte. Was Johann Gottfried Herder – damals in Göttingen – mit einem berühmten Bonmot zusammenfasste: „Seine Opern und Sonaten sind verhallet. Sein „Alexanderfest“ [über]dauert.“

Dies änderte sich erst 1920 mit der bahnbrechenden Initiative des Kunsthistoriker Oskar Hagen in Göttingen, der ein Festival gründete, dass sich gerade auf Händels (damals vergessene) Opern konzentrierte und in dem seine Frau Thyra Hagen-Leisner die Hauptrollen sang. Hundert Jahre später ist der Beitrag der Internationalen Händel-Festspiele Göttingen gar nicht mehr aus der deutschsprachigen Händel-Forschung wegzudenken. Trotz seines ehrwürdigen Alters, ist das Festival erstaunlich jung geblieben : einerseits gibt es hochkarätige Symposien mit internationalen Spezialisten zu sehr spezifischen Themen (dieses Jahr: „Zwischen Mythos und Historie, Händels schwieriger Weg ins antike Griechenland“) und andererseits kostenlose Konzerte überall in der Stadt, sogar in Schulen und Kitas mit „Händel 4 Kids“ und Dank einer mobilen Bühne, dem „Rollenden Georg“, sogar auf Marktplätzen und Parkanlagen in den umliegenden Dörfern. Händel für alle, in allen Formen, morgens und mittags in Kirchen und draußen mit „Good Morning George“, nachmittags mit Kaffee und Kuchen im „Café George“ und abends natürlich in den Vorstellungen. Diese wirklich bewundernswerte Öffnung auf die Stadt und alle Einwohner ist eine Initiative des neuen künstlerischen Leiters George Petrou (seit 2022), der auch die beiden besuchten Opernvorstellungen dirigierte.

Andreas Wolf als imposanter Hercules vor dem fantastischen FestspielOrchester Göttingen und dem ebenso beeindruckendem NDR-Vokalensemble. / © Alciro Theodoro da Silva

Was für eine gute Idee, um mit „Hercules“ anzufangen, eine sehr selten gespielte „Oper nach Art eines Oratoriums“ von Händel, mit wunderbarer Musik und seinem vielleicht psychologisch am meisten ausgearbeiteten Frauenporträt überhaupt: Dejanira. Warum gerade dieses Werk erst in den letzten Jahren seinen gebührenden Platz im Händel-Kanon bekommt ist eine lange Geschichte, die schon gleich mit dem riesigen Fiasko bei der Uraufführung am 5. Januar 1745 in London anfing. Alles ging schief: kurz vor der Premiere fiel ein Sänger nach dem anderem aus, so dass in letzter Minute für die Einspringer umdisponiert, gekürzt und sogar transponiert werden musste, bis in letzter Minute ein Schauspieler herbeieilte, um die Rezitative vorzulesen. Doch diesem versagte dann auch noch die Stimme und er wurde so heiser, dass es Lachsalven im Publikum gab. So wie es Wolfgang Sandberger von der Göttinger Händel Gesellschaft nun schreibt: „In wohl keinem anderen Werk Händels ist die Diskrepanz zwischen der heute anerkannten Qualität und seiner zeitgenössischen Rezeption so groß wie hier.“ Das ist ein vornehmes understatement, denn dazu könnte man noch saftigere Geschichten erzählen als die rein musikalischen, die nun in Göttingen erörtert wurden. Händels Gegner in London – hauptsächlich die italienischen Kastraten, die er wegen ihrer „Stargagen“ nicht engagieren konnte – organisierten nach dem Fiasco eine Pressekampagne, um sein Opernunternehmen völlig zu vernichten, und waren wahrscheinlich auch der Grund, weswegen der damalige Prince of Wales sich dann von Händel distanzierte und die in der Musikwelt sehr einflussreiche Lady Margaret Brown öffentlich gegen ihn intrigierte. Händel, vollkommen am Boden, musste alle weiteren Vorstellungen absagen und sich in der Presse direkt an sein Publikum und vor allem seine Abonnenten wenden, mit der Bitte, das Geld, dass er ihnen nun schuldete für diese vorzeitig abgebrochene Spielzeit, nicht einzufordern – denn er sei völlig bankrott… Sein „offener Brief“ stieß auf so viel Sympathie, dass seine Abonnenten sich nun auch in der Presse meldeten, um ihn zu verteidigen und ihn sogar in Gedichten zu einem „Orpheus“ hochstilisierten, der durch eifersüchtige „Bacchantinnen“ zu Tode gefoltert werden sollte – worin man in einer besonders Blutrünstigen „mit braunem Tigerfell“ unschwer Lady Brown erkannte. Händel wurde „gerettet“ und die darauffolgende Spielzeit war vielleicht seine meiste erfolgreiche überhaupt (auch finanziell). Doch an das Unglückswerk „Hercules“ wagte sich danach niemand mehr.

Es ist ein dunkles Werk über Eifersucht mit dem zentralen Chor „Jealousy, infernal pest, tyrant oft he human breast“. Denn wie ich schon am Anfang dieser Spielzeit bei der vollkommen unbekannten „Déjanire“ von Camille Saint-Saëns in Monaco berichtet habe, interessierten sich die Opern-Komponisten weniger für die legendäre Kraft des Herkules als für seinen – einem so großen Helden doch recht unwürdigen – Tod. Der unbezwingbare Heros starb nämlich wegen einem vergifteten Gewand, das ihm seine eifersüchtige Gattin Deïaneira anlegte, als er sich für eine andere Frau zu interessieren schien, der schönen Prinzessin Iole. So wie in der ganzen griechischen Mythologie – das macht sie so spannend und auch so aktuell – gibt es unzählige Fassungen von dieser Geschichte, wo jeder Autor wieder das Seinige dazu dichtet. Händel hatte offensichtlich keine besondere Affinität zu Ovid – auch nicht in anderen Opern nach seinen „Metamorphosen“ – und bediente sich für „Hercules“ u.A. bei Sophocles und einem Libretto von Thomas Broughton, wo die in der Mythologie beschriebene Untreue des Herkules mit Iole interessanterweise ausgelassen wird. Bei Händel scheint Hercules kein besonderes erotisches Interesse an Iole zu haben und so mutiert seine grundlos eifersüchtige Gattin zu einer – natürlich besonders operntauglichen – Hysterikerin. Dramaturgisch wird sie zu einem weiblichen Otello, der seine große Liebe tötet und danach den Verstand verliert – Händel hatte natürlich in London auch Shakespeare gelesen. So hätte diese Oper logischerweise eigentlich „Dejanira“ heißen müssen, denn die ganze Handlung ist auf ihr Innenleben konzentriert und sie singt mit dieser fantastischen Rolle mehr als die Hälfte (!) aller Arien des Abends. Eine Frau, die „einem fieberhaften Affekt ausgeliefert und zwischen Einsamkeit, brennendem Verlangen, Hoffnungen und Ängsten zerrissen ist“ (so wie es der große Händelspezialist Winston Dean schrieb). What a woman!

Das FestspielOrchester Göttingen ist ein Ensemble von 30 Barock-Musikspezialisten aus ganz Europa, die sich einmal im Jahr in Göttingen zusammenfinden um zusammen Händel zu spielen (ähnlich wie für Wagner in Bayreuth). Da hört man sofort gefühlte hundert Jahre Händelkultur: was für Nuancen, was für ein raffinement! In diesem Sinne erst einmal ein großes Kompliment an die Konzertmeisterin Elisabeth Blumenstock, u.A. für die Genauigkeit, mit der sie zwischen den Akten das ganze Orchester mit den oft so empfindlichen alten Instrumenten wieder stimmte. Denn bei den vielen Wiederholungen – u.A. in den Dacapo-Arien – kommt es auf die kleinen Zwischentöne an, die man z.B. erzeugt, wenn man mit den Barock-Bögen, die man in der Mitte (und nicht am „Frosch“) hält, etwas fester auf die Saiten drückt (dann variiert die Tonhöhe). Und sie spielte, wie der Cello-Stimmführer Iason Ioannou, lupenreine Soli, die höchst nuanciert durch David Tayler an der Theorbe begleitet wurden. Eigentlich würde man sie alle nennen wollen. Das gilt auch für das für das hochspezialisierte, hier durch Klaas-Jan de Groot einstudierte, NDR Vokalensemble, ebenfalls ein langjähriger Partner der Festspiele. Wahrscheinlich weil sie gewöhnt sind, dass die Aufführungen meist live im Rundfunk übertragen werden, sangen sie lupenrein und übernahmen – als ob es das Selbstverständlichste der Welt sei – auch noch zwei kleinere Rollen: der erste Trachinier und, vor allem, der Priester des Jupiter (der meist an einen Solisten gegeben wird). Alles saß und war offensichtlich im Vorfeld genügend geprobt und abgesprochen worden und so konnte George Petrou ganz entspannt dirigieren und die wunderbare Musik – die schlecht gespielt monoton wirken kann – sich nuancenreich entfalten.

Andreas Wolf dominierte die Sänger-Besetzung als imposanter Hercules. Der junge Bass-Bariton trumpfte mit einer sonoren Stimme und einem schier endlosen Atem, der es ihm erlaubte in den Da Capos mühelos zu phrasieren und zu verzieren. Wir werden ihm sicher noch öfters begegnen. Für die riesige Rolle der Dejanira hatte man Vivica Genaux engagiert, eine erfahrene Sängerin, die in den letzten 30 Jahren über 60 Rollen erarbeitet hat und für ihre Aufnahmen von Johann Adolf Hasse viele Preise bekommen hat. Sie besitzt zweifellos die Technik, um diese sehr fordernde Rolle zu meistern, hatte aber an diesem Abend leider nicht die Stimme. Gerade im Vergleich zu dem samtig schillernden Timbre ihres Ehemannes, schien das ihrige erstaunlich farblos und fahl. Erst dachte ich, sie hätte sich vielleicht in der recht kühlen St. Johannis-Kirche erkältet (die „Eisheiligen“ hatten zugeschlagen). Doch als sie in ihrer finalen Wahnsinnsarie „Where shall I fly“ mit den wahnsinnigen Koloraturen „Alas! No rest the guilty find from the pursuing furies oft he mind“ wirklich „aufdrehte“ und „alles gab“ – wofür sie einen stürmischen Zwischenapplaus bekam -, begriff ich, dass die Sängerin sich den ganzen Abend stimmlich schonen musste. Denn sie würde am nächsten Abend auch noch zwei große Rollen in der „Semele“-Premiere singen – und dann noch zehn Tage lang jeden Tag eine Vorstellung, also mit den Generalproben ganze mythologische 12. Und das hätte auch Herkules – wenn er ein Sänger gewesen wäre – bei diesen schweren Rollen nicht geschafft. Anna Dennis hatte es als unschuldige Iole wesentlich leichter, und bestach mit ihrem hellen Sopran in dem Duo mit Dejanira „Joys of freedom, joys of power“. Danach folgte überraschenderweise ein Liebesduo und eine Hochzeit mit Hyllus, womit Iole zur neuen Königin wird (als Nachfolgerin der inzwischen wahnsinnigen Dejanira). Denn in ihrem Bestreben, die Oper mit einem lieto fine zu beenden, erfinden die Komponisten gerne schöne Geschichten. In der „Déjanire“ von Camille Saint-Saëns bekommt Iole zum Schluss Philoctète, den „besten Freund von Herkules“, bei Händel haben Hercules und Dejanira plötzlich einen attraktiven und schon heiratsfähigen Sohn, Hyllus. Der Tenor Nick Pritchard sang ihn berührend schön und mit einer wirklich perfekten Diktion. Die größte Überraschung des Abends war jedoch Lichas, „ein Vetrauter von Dejanira“, dem sie ihren Seelenqualen beichtet. Eigentlich eine unwichtige Figur, die nur bei Händel vorkommt. Doch gerade für Lichas komponierte er u.A. die spektakuläre Eröffnungsarie „See with what sad dejections in her looks (…) the mourning princess sits“, mit der die Oper anfängt. Als die Altistin Lena Sutor-Wernich darin bei „gloom of night“ ihre tiefen Register aufleuchten ließ, ging ein Raunen durch die Kirche: Was für eine Stimme! Dieser Sängerin werden wir sicher noch öfters begegnen – vielleicht eines Tages als Erda?

Zum Abschluss von „Semele“ gönnt sich der Priester (Riccardo Novaro) Champagner. (links Jeremy Ovenden als Apollo). / © Alciro Theodoro da Silva

Am nächsten Abend wirkte „Semele“ vergleichsweise wie ein Lustspiel. Da „Hercules“ meines Wissens nur ein einziges Mal in Wien und Paris gespielt wurde (2004/5 in einer Inszenierung von Luc Bondy, die dann durch die Welt reiste), „Semele“ jedoch öfters auf den Spielplänen steht (zurzeit in Berlin und München), braucht man auf das bekanntere Werk (1744) wohl nicht länger ein zu gehen. Es geht um Begierde, Eitelkeit und – in dieser Inszenierung – um sexuelle Lust. Die schöne Semele soll mit dem benachbarten Prinzen Athamas heiraten, doch ihr schwebt etwas Besseres vor: Sie will den Obergott Jupiter en personne. Dieser lässt sich nicht bitten und entführt sie in ein gut bewachtes Liebesnest hoch über den Wolken, wo sie intensive Schäferstündchen erleben, die man weit und breit hören kann. Der Chor singt: „Endless pleasure, endless love, Semele enjoys above“. Obergöttin Juno ist erzürnt über die neue Eskapade ihres Gatten, der ja auch – darf man das heute noch schreiben? – ihr Bruder ist. Sie ersinnt eine List und erscheint bei Semele in der Gestalt von deren Schwester Ino, um sie davon zu überzeugen, dass ihr Liebesglück noch eine Nummer mehr wäre, wenn Jupiter nicht in seiner menschlichen Gestalt bei ihr erschiene, sondern in seiner göttlichen „so wie er es mit Juno tut“. Semele erpresst dann bei Jupiter diesen „göttlichen Sex“, der sie vernichtet. Denn mit den Blitzen, die nun aus Jupiters Hüfte schießen, verbrennt sie zu Asche – aus der dann, als lieto fine, der lebensbejahende Gott Bacchus (Dionysos) geboren wird (den Zeus eigentlich noch erst in seinem Schenkel „austragen“ wird). 

George Petrou – jetzt gleichzeitig Dirigent und Regisseur – inszenierte dies im schönen Deutschen Theater mit viel Sinn für Humor in den anschaulichen Bühnenbildern und Kostümen von Paris Mexis und mit dezentem Licht & Videos von Stella Kaltsou. Manche Gags waren vielleicht etwas sehr konkret für mein Gefühl, aber sie waren publikumswirksam – es gab einige Lachsalven – und vor allem immer musikalisch abgestimmt – das ist ein deutlicher Vorteil, wenn ein Regisseur auch Dirigent ist. Das ganze Ensemble und der Kammerchor Athen (Einstudierung Agathangelos Georgakatos), zeigte sich besonders spielfreudig und offensichtlich in bester Laune, auch im Pyjama oder im Disco-Look. Das FestspielOrchester Göttingen spielte wieder fulminant, nun betont leicht und schnell. Marie Lys ließ als Semele keine Wünsche offen und sah dazu auch noch besonders attraktiv aus. Man wundert sich also nicht, dass Jeremy Ovenden als Jupiter (und in der letzten Szene als Apollo) ihr keinen Wunsch ausschlagen konnte und Vivica Genaux als Juno furchtbar eifersüchtig auf sie war. (Dass sie dazu auch noch die Rolle der Ino, Semeles Schwester, sang war offensichtlich stimmlich zu viel – auch wenn sie beide Rollen ganz wunderbar gespielt hat.) Rafał Tomkiewicz – ein Countertenor – war Athamas, der im lieto fine überraschend mit Ino heiratet. Über dem ganzen Geschehen schwebte Marilena Striftombola als Götterbotin Iris, mit wunderbar leichtem Sopran und zugleich keckem schauspielerischen & tänzerischen Können. Und „von unten“ kam der schöne Bassbariton von Riccardo Novaro, der sich offensichtlich köstlich amüsierte in seinen drei Rollen als Cadmus, Somnus und als Priester, der den fröhlichen Abend mit einer Flasche Champagner beenden durfte.

Händel heutig und entspannt: Das Ensemble Prisma im „Café George“ – von l. nach r.: Elisabeth Champollion, Fernando Olivas, Liam Byrne und Henriette Otto / (c) Alciro Theodoroda Silva

Meinen dritten Tag in Göttingen verbrachte ich im frisch eröffneten „Forum Wissen“, wo ein anschaulicher Querschnitt durch die über 30 historischen Sammlungen der Universität angeboten wird, die wegen ihrer Vielfalt leider nur schwer dem normalen Publikum zugänglich sind. (Das Kunstmuseum und die berühmte Gipsabteilung sind z.B. nur am Sonntagnachmittag geöffnet.) Hier fand das jährliche Symposium der Händel-Stiftung statt, das in den interessanten „Händel-Beiträgen“ veröffentlicht wird. Dieses Jahr war natürlich das Thema „Hellas“, das hochkompetent durch Prof. Dr. Wolfgang Sandberger moderiert wurde. Denn wenn ein Beitrag etwas hölzern rüberkam – so wie der von Mag. Elena Abbado aus Wien über die Oratorien „Hercules“ und „Semele“ – brachten die darauffolgenden Diskussionen den Austausch sofort auf einen höheren Nenner. Denn ganz so einfach wie es scheint ist es nicht, um zu entscheiden was um 1740 nun ein „Oratorium“ oder eine „Oper“ bei Händel war – weswegen es auch bis heute so viele verschiedene Meinungen dazu gibt.

Der krönende Abschluss war für mich ein Konzert des Ensemble Prisma, das schon wegen dem Ort und dem modus vivendi besonders ansprechend war: wir saßen alle entspannt unter einem riesigen Walskelett (das gerade vor einem Monat mit einer Besucher-Spendenaktion angekauft werden konnte) und Kaffee & Kuchen, so wie nette Bedienung, gehörten kostenlos dazu. Das vierköpfige Ensemble (mit auch vier Nationalitäten), war gerade drei Wochen lang mit dem „Rollenden Georg“ als „Händel-Botschafter“ durch die umliegenden Dörfer gereist und hatte einen wunderbar entspannten Ton um die historischen Stücke und ihre historischen Instrumente dem Publikum vorzustellen. Elisabeth Champollion (4 verschiedene Blockflöten) moderierte mit Witz und Verve und spielte ein berührend schönes „Lascia ch’io pianga“ (aus Händels „Rinaldo“) auf der Altflöte – so wie es übrigens schon zu Händels Zeiten in den Kaffeehäusern geschah. Henriette Otto begleitete sie auf der Violine, Liam Byrne auf der Gambe und Fernando Olivas auf der Theorbe. In anderen Stücken spielte er auf der viel kleineren Barock-Gitarre, denn das war Musik, wie bei Henry Purcell oder John Playford, zu der auch getanzt wurde – was die Musiker dann auch ansatzweise taten. Als Zugabe spielten sie ein modernes Stück, auch der Titel ihrer letzten CD „The Streets of Londen“, ein Pop Lied von Ralph Mc Tell aus den 1970ger Jahren, womit er damals mit seiner Gitarre durch die Dörfer reiste und recht unerwartet oben in den „Hit-Charts“ landete. Das war passend und funktionierte besonders gut. In diesem Sinne wird es demnächst noch bei den Händel-Festspielen einige andere moderne Stücke auf alten Instrumenten geben: Werke von Giorgios Kouroupos und Giorgios Koumendakis und ein neues Stück von Konstantia Gourzi (speziell für die Viola von Nils Mönkemeyer komponiert). Mit solchen Initiativen sind die zurecht Internationalen Händel-Festspiele Göttingen nach über 100 Jahren im Hier und Heute gelandet. Woher kommt die Idee, dass sich nur alte Leute für Alte Musik interessieren?

Waldemar Kamer, 24. Mai 2023


Hercules“ und „Semele“

Internationale Händel-Festspiele Göttingen

18. / 19. Mai 2023

Dirigat: George Petrou

Regie: George Petrou

Festspiel Orchester Göttingen, NDR Vokalensemble + Kammerchor Athen

Infos Händelfestspiele Göttingen (bis zum 29. Mai): www.hndl.de

Videos der Aufführungen: www.haendel-channel.de

Mitschnitte der besuchten Aufführungen beim NDR und Deutschlandfunk