Heidelberg: „In meiner Nacht“ – Drei Kammeropern

Besuchte Aufführung: 14.2.2015, (Premiere: 15.10.2014)

Tod und Liebe auf verschiedenen Ebenen

„In meiner Nacht“ ist nicht der Titel einer Oper. Vielmehr handelt es sich hierbei um das gedankliche Leitmotiv von drei Kammeropern, die vom Theater der Stadt Heidelberg in seiner zweiten Spielstätte Zwinger 1 herausgebracht wurden. Der intime Charakter dieser kleinen Bühne entspricht voll und ganz dem Wesen der drei kleinen Werke mit einer nicht sehr ausgeprägten Orchesterbesetzung und jeweils nur cirka 30 Minuten Spieldauer. Gemeinsames dramatisches Element, das die Kombination der drei Stücke an einem Abend rechtfertigt, ist der Tod. Und immer ist eine Frau am Geschehen beteiligt. Die Nacht symbolisiert in jedem Werk die Begegnung mit dem schwarzen Gesellen.

Twice through the heart – Ks Carolyn Frank (Die Frau)

Das von Pia Dederichs und Lena Schmid geschaffene Einheitsbühnenbild stellt einen von Efeu umrankten Pavillon dar, in dessen Innerem sich ein Krankenhaus- oder auch ein Totenbett befindet. In diesem Ambiente setzt Clara Kalus die drei kleinen von Mark Anthony Turnage, Christian Jost und Arnold Schönberg stammenden Opern „Twice through the heart“, „Death Knocks“ und „Erwartung“ flüssig, eindringlich und mit einer flüssigen Personenregie in Szene. Zu den Einzelheiten ihrer Regie siehe unten.

Twice through the heart – Ks Carolyn Frank

In dem 1994/96 komponierten Stück „Twice through the heart“, das auf einem realen Ereignis beruht, geht es um eine Frau, die im Gefängnis sitzt, weil sie ihren Ehemann getötet hat, der sie jahrelang misshandelte. Diesen Aspekt, der ihr bei der Gerichtsverhandlung eine Strafmilderung hätte bringen können, gab sie indes aus Scham niemals preis – eine Scham, die sie bereits dahin gehindert hatte, ihren brutalen Mann zu verlassen. Im Verlauf des Stückes begreift sie, dass diese Scham ihr eigentliches Gefängnis ist. Dieser Aspekt steht auch im Vordergrund der Inszenierung, der Clara Kraus geschickt einen psychoanalytischen Anstrich zu geben weiß. Im Rahmen einer ausgedehnten Rückschau mit Freud’schen Bezügen entlarvt sie immer mehr das Trauma dieser Frau, die ständig zwischen Pavillon und Außenbereich hin und her wechselt und damit ihren inneren Kerker trefflich veranschaulicht. Behende spielt sie mit Erinnerungsstücken an die Vergangenheit, in der es wohl auch Kinder gab. Mal vergräbt sie sie, mal gräbt sie sie wieder aus. Deutlich wird, dass sie nicht weiß, wie sie sich verhalten soll. Indem sie ihrer Scham nachgibt, wird sie als ursprüngliches Opfer selbst zur Täterin. Sie schafft sich ein eigenes, psychisches Gefängnis, dem sie nicht mehr entkommen kann. Dem Zwang, dem ihr Inneres sie aussetzt, hat sie nichts entgegenzusetzen. Dieser Konflikt wird von KS. Carolyn Frank mit intensivem Spiel und solidem, ausdrucksstarkem Mezzosopran trefflich vermittelt.

Death Knocks – Amelie Saadia (Der Tod)

Dazu hat Mark-Anthony Turnage eine imposante, kontrastreiche Musik geschrieben. Sehr markanten, eruptiven Klängen, die die Verzweiflung der Frau versinnbildlichen, korrespondieren recht filigrane, weiche und ruhige Töne als Ausdruck manchmal doch in ihr aufsteigender innerer Ruhe. Alles dies wird von Timothy Schwarz und dem gut gelaunten Philharmonischem Orchester Heidelberg auf einer kammermusikalischen Grundlage differenziert und einfühlsam zu Gehör gebracht.

Das Zwei-Personen-Stück „Death Knocks“ aus dem Jahr 2001 basiert auf einem Schauspiel von Woody Allen. Es geht um den erfolgreichen Geschäftsmann Nat Ackermann – der Name spielt auf die Herkunft des Stoffes von dem um 1400 entstandenen „Der Ackermann aus Böhmen“ von Johannes von Tepl an -, der Besuch vom Tod in Gestalt einer sexy Frau erhält, die ihn gleich ins Jenseits mitnehmen will. Er hält sich aber für kerngesund und ist überhaupt nicht willens, dem Ansinnen der hübschen jungen Dame zu folgen. Ackermann bringt sie dazu, mit ihm Gin Rommé um seinen Sterbetag zu spielen. Er schlägt sie haushoch und wirft sie aus seiner Wohnung. Er darf weiter leben und sie muss sich zähneknirschend geschlagen geben. Gekonnt wird hier die westliche Industrie- und Geschäftswelt auf die Schippe genommen und nachhaltig aufgezeigt, dass die ganze Welt käuflich ist und der Mensch in seinem Streben sogar dem Tod ein Schnippchen schlagen kann, wenn er es nur geschickt genug anstellt. Mit Geld, List und Tücke ist eben alles zu erreichen. Nicht der Tod an sich wird hier thematisiert, sondern die Einstellung der Geschäftswelt zu ihm. Er wird zu einem Wirtschaftsfaktor, dem man durch kluges Handeln den Schrecken nehmen kann. Die stückimmanente schöne Illusion wird von Frau Kalus um eine hoch erotische Komponente erweitert. Die gleich Ackermann mit einer Geschäftsbrille ausgestattete Todesfrau – ist sie ein Teil seiner selbst? – trägt unter ihrem eleganten Outfit keine Unterwäsche. Ihre transparente baige Bluse lässt ihre nackten Brüste durchschimmern. Einfach köstlich, wie ihr potentielles Opfer sie nachhaltig manipuliert, sie sogar ins Bett bekommt und schließlich mitsamt dem Totenbett aus dem Pavillon befördert. Dieser höchst vergnügliche Geschlechterkampf wird von der Regisseurin munter und kurzweilig und mit einem gehörigen Schuss doppelbödiger Ironie in Szene gesetzt.

Death Knocks – Amélie Saadia (Der Tod), Zachary Wilson (Nat Ackermann)

Leicht und locker ist auch die Musik von Christian Jost, dessen vor einiger Zeit in Heidelberg herausgekommene Oper „Rumor“ man noch in guter Erinnerung hat. Es sind variable, mal oberflächliche, mal tiefgründige Klänge, mit denen der Komponist die Businneswelt gehörig karikiert und konterkariert und die von Herrn Schwarz und den Musikern temporeich und spritzig vor den Ohren des Publikums ausgebreitet werden. Auch mit den beiden Sängern kann man zufrieden sein. Eine hervorragende schauspielerische Ader und einen gut sitzenden Sopran bringt Amélie Saadia für den Tod mit. Zachary Wilson gibt ihr darstellerisch trefflich Kontra. Auch gesanglich überzeugt der junge Sänger mit solide fokussiertem, frischem Bariton.

Erwartung – Hye-Sung Na (Die Frau)

Am bekanntesten dürfte die dritte der an diesem gelungenen Abend zur Aufführung gekommenen Opern sein: Die aus dem Jahre 1909 stammende „Erwartung“ von Arnold Schönberg, die in Faradsch Karaews 2004 entstandener reduzierter Fassung für 20 Musiker erklang. Die Musik ist hier noch weniger der Dodekaphonie verpflichtet, weist aber bereits ausgesprochen atonale Züge auf, die Dirigent und Orchester hervorragend herausstellen. Insgesamt warteten sie mit einem regen Wechsel von dramatischen und sehr emotionalen Tönen auf.

Geschildert wird das Seelenleben einer Frau, die wie ein gehetztes Tier im Wald umherirrt und ihren Geliebten sucht. Gleichermaßen sehnsüchtig und eifersüchtig schwelgt sie in Erinnerungen an ihn und findet schließlich seine Leiche. Clara Kalus legt den Focus ihrer Deutung gekonnt auf die innere Handlung. Sie erzeugt ein alptraumhaftes, von Hysterie und Depression dominiertes Seelengemälde, für das Sigmund Freuds „Traumdeutung“ Pate gestanden haben könnte. Einen toten Mann gibt es in dieser Inszenierung nicht. Die Suche der Frau nach ihm ist in Wahrheit eine Reise in sich selbst, die Suche nach dem eigenen Ich, bei der viele Fragen offen bleiben. Hye-Sung Na singt die getriebene Sucherin mit einem in jeder Lage bestens durchgebildeten lyrischen Sopran und äußerster Intensität und Expressivität.

Fazit: Einmal mehr ein in jeder Hinsicht gelungener Abend am Theater Heidelberg, dessen Besuch zu empfehlen ist.

Ludwig Steinbach, 19.2.2015

Die Bilder stammen von Annemone Taake