Klagenfurt: „Der fliegende Holländer“

Premiere am 15.09.2011

Intendant Josef E.Köpplinger eröffnete am 15.September 2011 seine letzte Spielzeit in Klagenfurt – bevor er dann das Gärtnerplatztheater in München übernimmt – mit einer einhellig positiv aufgenommenen Produktion von Richard Wagners romantischer Oper. Er hat dafür ein ausgezeichnetes Team zusammengestellt.

Der erfahrene Berliner Regisseur Torsten Fischer erzählt eine neue Geschichte, die das Erlösungsthema durchaus schlüssig in die Probleme unserer heutigen Zeit verlagert. Senta und der Holländer führen das gestrandete Boatpeople in eine positive Zukunft.

Alle Bilder, wenn nicht anders erwähnt © Stadttheater Klagenfurt / Helge Bauer

Dem Regisseur gelingen gemeinsam mit seinem Bühnenbildner Herbert Schäfer und dem Kostümbildner Vasilis Triantafillopoulos eindringliche Bilder. Vor allem aber schafft er durch den Kunstgriff, die gestrandete (Holländer)-Schiffsbesatzung durch einen Bewegungschor mit Menschen aller Ethnien darzustellen, einen überzeugenden und berührenden Theatereffekt. Die Führung dieses Bewegungschors ist nie platt oder gar peinlich – und noch dazu sehr dem Musikgeschehen entsprechend! Der Bewegungschor der Heimatsuchenden in seiner Buntheit kontrastiert zur Uniformität der Einheimischen – gebildet von Dalands Matrosen und den sekretärinnenhaften Damen.

Von ihnen hebt sich schon durch die Kleidung Senta als Individuum klar ab. Astrid Weber (heuer Bayreuths Elsa) führt das sehr gute Sängerensemble an. Sie gestaltet von Anfang an – schon während der Ouvertüre! – die dominierende Frauenfigur mit ausdrucksstarkem Spiel und einer hervorragenden stimmlichen Leistung. Das ist überzeugendes modernes Musiktheater!

Renatus Mészár ist ein melancholischer Holländer mit dunklem Bassbariton, der manchmal in den dramatischen Ausbrüchen seine Stimme schlanker und zentrierter führen sollte, den aber auch sehr schöne Pianophrasen gelingen und der als Figur überzeugt.

Der junge Daland von Gábor Bretz hat ein reiches Material, das sich noch zu mehr Differenzierung entwickeln kann. Die Deutung als Schmiergeldempfänger ist plausibel. Wunderschön ist vom Regisseur die Szene entwickelt, wie der Holländer dem Schlepper Daland neben einem Packen Banknoten ganz einfach Menschen als „kostbare Perlen, edelstes Gestein“ anbietet. Die Wandlung Dalands zum Unterstützer Senta und des Holländers schien mir von der Regie allerdings nicht vollends überzeugend gelöst.

Den Steuermann singt Daniel Prohaska sprachlich sehr gut artikuliert und fallweise in der Höhe unnötig forciert. Er ist der erste, der sein Menschenbild ändert und sich dem Boatpeople des Holländers zuwendet.

Den Erik verkörpert der amerikanische Tenor Daniel Brenna. Er taucht schon von Anfang an auf – der Jäger als Grenzwächter, der das Boatpeople nicht in sein Heimatland lassen will. Der Regisseur hat ihn als „Couch-Potato“- artige Figur gezeichnet, die offenbar ihre Minderwertigkeitskomplexe mit Waffengewalt übertünchen möchte. Brenna gelingen durchaus eindrucksvolle heldische und metallene Stimmausbrüche. Sein Mentor John Treleaven, der ihn auf Siegfried, Tannhäuser und Parsifal vorbereitet, wird allerdings noch intensiv daran arbeiten müssen, dass auch lyrische Legatophrasen gelingen. Der Beginn der Kavatine im letzten Bild („Willst jenes Tags du nicht dich mehr entsinnen“) war leider fast peinlich…

Die Mary von Anna Agathonos war sicher und solide. Da die Chordamen nicht spinnen, sondern mit Laptop und Kopierautomaten umgehen – einer der wenigen nicht überzeugenden Regiemomente – muss sie anstelle von „Ich spinne fort“ „Ich muss nun fort“ singen.

Für den Chor (Leitung: Günter Wallner) war das Regiekonzept eine praktische Hilfe für die musikalische Bewältigung:

Da der „Holländer-Chor“ ein stummer Bewegungschor ist und seine Pasagen am Schluss von den vier männlichen Solisten übernommen werden, konnten sich Chor und Extrachor mit voller Stimmkraft und eindrucksvollem Erfolg auf die „Einheimischen“ konzentrieren. Die Damen im zweiten Bild waren leider zu sehr im Hintergrund positioniert – da hats zwischen Orchestergraben und Bühne beträchtlich gewackelt!

Das Kärtner Sinfonieorchester unter Chefdirigent Peter Marschik war ambitioniert am Werk, wenn auch nicht alles gelang – man vermisste so manchen schwärmerischen Streicheraufschwung und bemühte sich, über trockene Blechbläser hinwegzuhören. Der Dirigent hätte auch nicht zulassen dürfen, dass die Aufführungspause vor den Beginn des großen Duetts Senta/Holländer hineingezwängt wird. Es ist nicht nur eine musikalische Sünde, den Kontrast zwischen Dalands Geschäftigkeit und dem berührenden Mezza-Voce-Beginn von Holländers „Wie aus der Ferne längst vergangner Zeiten“ durch eine Pause am Buffet zu unterbrechen – es war auch eine unnötige Störung des sonst so stringenten Handlungsflusses.

Dies tut aber dem Gesamterfolg keinen Abbruch:

Es war ein großer Abend des Klagenfurter Stadttheaters. Es war einer der (leider seltenen) Fälle, dass ein aktualisierendes und das Libretto veränderndes Regiekonzept nicht nur nicht gegen den Geist der Musik wirkt, sondern sogar Wagners jugendlichen Sozial – und Erlösungsimpuls in einem heute uns alle bewegenden Sinne trifft!

Hermann Becke

P.S. Noch zwei Hinweise:

Im Rundfunk hat der Regisseur sein Konzept erläutert – wen es interessiert, hier ist der link dazu: http://oe1.orf.at/artikel/286091

Und wer das Stadttheater Klagenfurt nicht kennt, dem sei durchaus der Besuch empfohlen:

Es ist ein Bau von Helmer und Fellner, der zum 60-Jährigen Regierungsjubiläum von Kaiser Franz-Josef in den Jahren 1908 bis 1910 errichtet wurde, knapp 1000 Plätze hat und in sehr schöner Form restauriert und durch einen Anbau des bekannten Architekten Günther Domenig erweitert ist. Das Theater wird als Dreispartenhaus geführt

Credo vom Regisseur Torsten Fischer

Bei seiner Operninszenierung handle es sich nicht um eine Mitleidsveranstaltung – das müsse, so Fischer, absolut klar sein. Klar sei auch, dass er mit seiner Inszenierung informieren, etwas bewegen wolle. Fischer: "Wir machen Theater nicht für Lob. Wir machen Theater, um Farbe zu bekennen, ein Thema anzupacken, Stellung zu nehmen, eine Oper ins Heute zu bringen, die 1847 komponiert wurde, aber heute noch ihre Gültigkeit behalten muss. Das Theater ist kein Museum, sondern einer der lebendigsten politischen Orte".
Genau an diesem Ort wird sichtbar, dass wir alle irgendwie, wie auch Richard Wagner selbst, Heimatsuchende sind.