Klagenfurt: „Die Entführung aus dem Serail“

Vorstellung am 23. 11. 2016, (5. Vorstellung nach der Premiere vom 10. 11. 2016)

Erfreuliches Debut einer jungen Dirigentin

Die im November gerade 27 Jahre alt gewordene Giedrė Šlekytė ist seit dieser Saison die Erste Kapellmeisterin am Stadttheater Klagenfurt. Auf der Website ihrer Agentur kann man über sie folgendes lesen: Das Baltikum überrascht immer wieder mit hochbegabten, exzellent ausgebildeten und doch ganz eigenständigen, faszinie­renden Künstlerpersönlichkeiten: die Litauerin Giedrė Šlekytė zählt zweifels­ohne zu ihnen, begeistert Publikum wie Presse mit »ihrer Präzision und jugendlichen Eleganz fernab jeder Attitüde«, mit »Esprit und mitreißender Energie«.

Das kann man nach ihrer ersten Einstudierung in Klagenfurt vollauf bestätigen. Das Debut von Giedre Slekyte (sie möge mir verzeihen, dass die diakritischen Zeichen auf ihrem litauischen Namen fehlen!) war höchst erfolgreich – vom Publikum freundlich akklamiert und offenbar auch von den Solisten sehr positiv aufgenommen, wie das Foto des Schlussapplauses zeigt. Es besteht kein Zweifel: die Dirigentin war die positive Überraschung des Abends!

Die Ouvertüre begann mit einem sehr temperamentvollen Presto – aber schon beim Andante-Mittelteil zeigte sich das persönliches Mozart-Verständnis von Giedre Slekyte: sie nimmt sich immer wieder Zeit, langsame Passagen ruhig auszumusizieren. Auch in den Arien findet sie immer wieder schöne – manchmal auch ungewohnte – Ruhepunkte, die geradezu ausgebreitet werden und die den Solostimmen (im Orchester und auf der Bühne) genügend Raum zur Entfaltung geben. Nach derartigen Ruhepunkten wird dann in durchaus harmonischem Rhythmuswechsel wieder nahtlos der vorwärtsdrängende Impetus aufgegriffen, mit dem sie den ganzen Abend zusammenhält. Man erlebte gänzlich unmanieriertes, natürlich-frisches Musizieren – für mich ein ideales Mozart-Verständnis in schöner Balance zwischen überholt-romantischem und zeitgeistig überspitztem Artikulieren und Phrasieren. Das Kärntner Sinfonieorchester ging mit dieser Auffassung engagiert mit, zeigte schöne Instrumentalsoli, aber auch die geforderte Spritzigkeit. Dank der klaren (und absolut uneitlen!) Zeichengebung der jungen Dirigentin war der musikalische Zusammenhalt zwischen Orchester und Bühne stets gegeben. Es war für Giedre Slekyte ihre allererste Operneinstudierung – ihre Leistung verspricht sehr viel für die Zukunft und man muss kein großer Prophet sein und kann als sicher annehmen, dass sie wohl sehr rasch an großen Bühnen gefragt sein und in die Reihe jener jungen Frauen treten wird, die bereits jetzt vor großen Orchestern stehen – siehe zu diesem Thema den informativen Beitrag in BR-Klassik.

Ein Operndebütant ist auch der Regisseur Michael Schachermaier – da gibt es allerdings leider kaum Positives zu vermelden. Das Stück ist einem Einheitsszenario (Bühne und Kostüme: Jessica Rockstroh) angesiedelt – durchscheinende Plastikbahnen als Rundhorizont mit Leuchtschnurketten und Palmzweigen. Die angestrebte märchenhafte Stimmung kommt nicht auf, vor allem weil es keine substantielle Personenführung gibt. Der Regisseur sagt im Programmheft u. a.: ….dieser Serail ist ein unglaublich fokussierter Raum, hier liegen die Gefühle offen… die verschiedenen Gefühlsschichten der Liebenden zu überprüfen war mir wichtig… Das klingt durchaus plausibel, wird aber nicht zur szenischen Realität – das Ganze war eher eine bieder bebilderte konzertante Darbietung – und in einzelnen Teilen, etwa bei der Führung des (ambitioniert singenden) Chors geradezu peinlich dilettantisch – schade! Das junge Sängerteam tat sein Bestes – allerdings auch hier gab es so manche Schwächen.

Die 29-jährige Britin Anna Rajah aus dem Studio der Bayrischen Staatsoper fiel durch reiches, dunkel-timbriertes Stimmmaterial auf – aber die schwierige Partie der Konstanze kommt für sie einfach zu früh. Da ist doch sehr vieles noch recht unausgeglichen – die Pianophrasen klingen flach, die Koloraturen gelingen achtbar, aber haben eine ganz andere Klangfarbe als die Legato-Phrasen. Aber immerhin: ihre Intensität und die spürbare persönliche Betroffenheit lassen hoffen, dass sich bei ihr Erfreuliches entwickeln kann. Simon Bode debütierte in Frankfurt 2011, damals noch Mitglied im Internationalen Opernstudio, mit dem Belmonte in »Die Entführung aus dem Serail«. Er hat seither schon eine Reihe von ersten lyrischen Partien, aber auch Bufforollen gesungen und verfügt über eine helle Tenorstimme, die sehr leicht anspricht – das verleitet ihn wiederholt zu reichlich ungestütztem Singen – und das führt leider immer wieder zu deutlichen Intonationstrübungen. Mathias Frey war ein guter Pedrillo – sein schmaler Tenor sitzt gut und er bewältigt auch die schwierige „Frisch zum Kampfe“-Arie mit Anstand. Das gefürchtete H auf „frisch“ tippte er nur an – aber immerhin, es fiel nicht aus dem musikalischen Zusammenhang heraus. Die Italo-Schweizerin Amelia Scicolone bot als elfengleiche Blonde – fast ein wenig dem Puck aus dem Sommernachtstraum gleichend – für mich die geschlossenste stimmliche Leistung des Abends. Die Arie „Welche Wonne, welche Lust“ war nicht nur sehr ordentlich gesungen, sondern hatte auch ein gewisses stimmlich-souveränes Raffinement, das im Duett mit Osmin noch ein wenig fehlte.

Der erfahrenste Sänger dieses Abends ist wohl Raphael Sigling , der sowohl auf dem Konzertpodium als auch auf der Opernbühne viele wichtige Partien gesungen hat. Er führt seine Stimme sehr schön schlank und technisch sauber und hat auch die Tiefen sicher – aber: ich hatte den ganzen Abend das Gefühl, er singe nur mit halber Stimme. Da war ganz einfach zu wenig Volumen da und außerdem fehlte ihm auch das nötige darstellerische Gewicht. Eben diese darstellerische Präsenz fehlte leider auch gänzlich dem Selim Bassa von Pascal Lalo, der mit seiner brüchig-fahlen Stimme dieser zentralen Figur keinerlei Profil verleihen konnte.

Das Publikum, das in dieser Repertoirevorstellung die rund 800 Plätze des Hauses füllte, konnte sich während der Aufführung kaum zu Szenenapplaus entschließen – am Ende gab es dann freundlichen, nicht allzu langen Beifall für alle – mit einem deutlichen Schwerpunkt für Blonde und für die Dirigentin. Und wegen dieser Dirigentin lohnte sich der Besuch – man wird sie in dieser Saison in Klagenfurt noch in Maria Stuarda und in der Zauberflöte erleben können, aber auch im Land-des-Lächelns . Man darf gespannt sein auf den weiteren Weg von Giedrė Šlekytė – Klagenfurt wird wohl ein Sprungbrett für sie sein, so wie es dies auch für ihren sieben Jahre älteren Vorgänger Alexander Soddy, der als Klagenfurter (Noch-)Chefdirigent (heuer Salome und Otello) nun zum Generalmusikdirektor in Mannheim wurde.

Hermann Becke, 24. 10. 2016

Szenenfotos: Stadttheater Klagenfurt, © Karlheinz Fessl

Hinweis: Zeitungsinterview mit der 26-jährigen litauischen Dirigentin Giedrė Šlekytė