Klagenfurt: „Don Giovanni“

29. Dezember 2017 (4. Vorstellung nach der Premiere vom 14. Dezember 2017)

Einförmig-düsteres Roadmovie

„Wir haben ein Auto auf der Bühne und wir spielen mit dem Mythos des Roadmovie. Aber der Inbegriff der Bühne ist ja ein statischer, das heißt, wir leihen uns das Tempo und den Wunsch nach der Weite, aber das Stück gehorcht trotzdem den statischen Gesetzen der Bühne. Unser Auto auf der Bühne, das steht ja, das fährt ja nicht.“ Solches äußert die Regisseurin Florentine Klepper in einem ausführlichem Zeitungsinterview . Wikipedia beschreibt den Begriff Roadmovie so:

Roadmovie ist die Bezeichnung für ein in den 1960er Jahren in den Vereinigten Staaten aufgekommenes Filmgenre. Die Handlung spielt dabei überwiegend auf Landstraßen und Highways, die Reise wird zur Metapher für die Suche nach Freiheit und Identität der Protagonisten.

Das klingt als Ausgangspunkt für eine zeitgemäße Interpretation des Don Giovanni zunächst recht plausibel – aber der Abend beweist: die Idee ist einfach zu simpel, zu eindimensional, ja zu vergröbernd – die Idee wird der unendlichen Vielfalt und Subtilität von Mozarts Meisterwerk nicht annähernd gerecht!

Das Stück spielt vor und in einer Autobahnraststation – die Szene wechselt dank Drehbühne (Adriana Westerbarkey) und Videoeinspielungen (Heta Multanen) permanent, die Kostüme (Martina Segna ) vermitteln uns die amerikanische Provinz. Die verschiedensten Fahrzeuge sollen wohl signalisieren, dass alle „unterwegs“ sind – Don Giovanni in Lederweste und fettiger Haarpracht kommt im chromblitzenden Straßenkreuzer, der sich im Laufe des Abends in seine Teile zerlegt und im Schlussbild über allem schwebt, Donna Anna erwartet ihren Liebhaber an die Tankstelle gelehnt, die hysterisch-überdrehte Donna Elvira kommt auf der Vespa, der spießig-steife Don Ottavio erscheint in Anzug und Krawatte mit dem Fahrrad. Die Bauernschar mit Cowboy-Hüten wird im Bus zur Raststation gebracht, um die Hochzeit Zerlina/Masetto zu feiern. Fast alle haben ständig Flaschen, Dosen, Zigaretten in der Hand – zum Fest trägt Don Giovanni eigenhändig eine Kiste mit österreichischem Wieselburger Bier herbei……

Und alles wird noch ständig mit Videoeinspielungen überlagert, die die Bühnenfiguren gleichsam verdoppeln. Das alles sorgt zwar für ungeheures Tempo und ständige Aktion – es fehlt aber jeglicher Charme, und es fehlt vor allem völlig die subtile Zwiespältigkeit und Mehrdeutigkeit, die in allen Figuren von da Ponte und vor allem in Mozarts Musik angelegt ist. Alles ist grob und vordergründig – Don Giovannis Höllenfahrt endet offensichtlich in der Psychiatrie. Der Chor und der Komtur mutieren da zum Pflegepersonal, das den im Delirium befindlichen Don Giovanni in einer Zwangsjacke an das Bett fesselt. Zuvor besingt Don Giovanni noch den eccellente marzimino – nimmt dabei anstelle des köstlichen Rotweins eine Flasche Mineralwasser aus dem Kühlschrank und schluckt neuerlich Tabletten.

Im eingangs erwähnten Wikipedia-Beitrag heißt es zum Roadmovie u.a. auch: Oft wird in diesen Filmen die erzählende Wirkung von Liedern aus der Pop-und Rockmusik eingesetzt.

Nun gut: Pop- und Rockmusik wurde in dieser Inszenierung zwar nicht eingesetzt, aber ganz offensichtlich hat das Regiekonzept maßgeblich auf die musikalische Interpretation eingewirkt. Die junge, hochbegabte litauische Dirigentin Giedrė Šlekytė leitete den Abend zwar temperamentvoll und ständig vorwärtsdrängend – aber leider gingen dabei allzu viele klangliche und rhythmische Feinheiten der Partitur verloren. So waren z. B. schon im einleitenden Andante der Ouvertüre die Streichersynkopen zu ungenau, zu wenig federnd.

Für mich gab es in dieser Produktion überhaupt ein entscheidendes akustisches Grundproblem:

Das szenische Geschehen entwickelt sich den ganzen Abend hindurch hinter einem transparenten Vorhang, der als Filmleinwand genutzt wird. Das sorgte (zumindest von meinem Platze in der 12. Reihe Parterre aus) für ein deutliches akustisches Ungleichgewicht – die Solisten waren durch diesen Vorhang, aber auch immer wieder durch ihre Positionierung auf der Bühne nur gedämpft zu hören, das Orchester im diesmal hochgefahrenen Orchestergraben war ganz einfach zu dominant und schlichtweg zu laut. Dazu kam, dass der Orchesterklang zwar dynamisch und rhythmisch geradezu „aufgeheizt“, aber gleichzeitig zu wenig differenziert und präzise war. Nikolaus Harnoncourt wird in seinem Buch „…es ging immer um Musik“ zitiert, dass er sich für die ungefähr vierzig verschiedenen Tempi im Don Giovanni eine detaillierte Tempo-Dramaturgie mache. Die hat an diesem Klagenfurter Abend wohl gefehlt – durch das filmisch-hektische Regiekonzept wurde allzu einseitig nur auf eine einzige Facette der Partitur gesetzt. Das wunderschöne Masken-Terzett und das ganze Finale des 1. Aktes gingen in übertriebener szenischer Aktivität völlig unter – die Stimmen fügten sich nicht zusammen, musikalische Brillanz und Präzision fehlten im Orchester und auf der Bühne.

Zwei sehr positive Ausnahmen seien ausdrücklich erwähnt: im 2. Akt fand man sowohl in der großen Elvira-Arie Mi tradi quell’alma ingrata als auch in der Anna-Szene Crudele! Ah no, mio bene zu adäquater musikalischer Ruhe. Da gab es keine ablenkenden Video-Überlagerungen – und außerdem waren die Stimmen durch den in diesen Szenen geschlossenen Kulissenraum gebündelt. Da stimmte plötzlich auch die Balance zwischen Orchester und Solisten.

Die acht Solisten haben durchaus achtbares Stimmpotential – durch das szenische und musikalische Konzept wurden allerdings zweifellos nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Der Russe Rodion Pogossov war der durch die Regie vorgegebene schmierige Giovanni mit markantem, etwas einförmigem Bariton. Der Waliser Nicholas Crawley blieb mit seinem an sich schön geführten, aber etwas kleinen Bassbariton stimmlich zu sehr im Hintergrund. Der sehr junge englische Tenor Josuah Owen Mills als Ottavio ist bei seinem Il mio tesoro wohl noch überfordert (und durch Radfahren und Videos störend beeinträchtigt). Aufhorchen ließ die markige Stimme des Masetto von Davide Giangregorio. Gebührend voluminös und dunkel sang J isang Ryu den Komtur. Die Damen des Abends waren insgesamt achtbarer und differenzierter als ihre männlichen Kollegen. Anna Rajah war eine koloraturensichere Donna Anna, der ihre letzte Arie mit sehr schönen Pianophrasen hervorragend gelang. Die Mezzosopranistin Paola Gardina bewältigte die heikle Elvira-Partie mit Anstand und mit der von der Regie übertrieben gezeichneten Hysterie. Keri Fuge war eine selbstbewusste Zerlina mit überzeugend gestalteten Arien.

Das sehr gut besuchte Haus reagierte mit zögernden Beifall – bereits in der Pause hatten in meiner Umgebung viele die Vorstellung verlassen. Zusammenfassend:

Klagenfurt hatte schon wesentlich überzeugenderes modernes Musiktheater geboten. Das Niveau der letzten beiden Premieren (La Traviata und Werther) wurde diesmal leider nicht erreicht.

Hermann Becke, 30. 12. 2017

Szenenfotos: Stadttheater Klagenfurt, (c) Aljoša Rebolj

Hinweise:

Trailer (1:23 Min)

– Noch neun weitere Aufführungen bis 10. 2. 2018

– Nächste Klagenfurter Opernpremiere am 1.3. 2018: Lady-Macbeth-von-Mzensk