Klagenfurt: „I Capuleti e i Montecchi“

Premiere am 7. 4. 2016

Konzertant auf der Bühne

Als ich vor fünf Jahren die damalige Münchner Produktion dieses Bellini-Werkes in der Grazer Oper sah, vermerkte ich über die Boussard/Lacroix-Inszenierung lapidar „sehr statisch, schön ausgeleuchtet, fad!“ – und fand mich da durchaus im Einklang mit der Münchner Presse.

Klagenfurt verzichtet nun gleich ganz auf eine szenische Umsetzung und führt das Werk auf der Opernbühne konzertant auf – die fünf Protagonisten tragen prächtige Kostüme, um so ein wenig historisierend-museale Stimmung zu vermitteln. Das Klagenfurter Opernpublikum schien an dieser Sparversion nicht sehr interessiert zu sein – auffallend viele Plätze blieben bei der Premiere frei – und in der Pause verließen weitere Besucher das Haus. Das verbliebene Publikum allerdings spendete am Ende der ambitionierten Aufführung dem jungen Team intensiven, wenn auch kurzen Beifall.

I Capuleti e i Montecchi wurden am 11.März 1830 im Teatro La Fenice uraufgeführt. Am einhelligen Premierenerfolg hatten die beiden Protagonistinnen, die Sopranistin Rosalba Corradori und die Altistin Giuditta Grisi maßgeblichen Anteil. Es war jene Zeit, in der man gezielt für die Primadonnen der italienischen Gesangskunst Werke schrieb – zugleich mit Bellinis „Romeo-und Julia“-Werk war im selben Jahr nach demselben Muster Donizetti mit Anna Bolena in Mailand erfolgreich. Im Mittelpunkt stand im 19.Jahrhundert die virtuose Gesangskunst – das Libretto hatte sich dem unterzuordnen. Und so ist es durchaus legitim, wenn man sich bei heutigen Aufführungen auf den Kern, also auf die Musik fokussiert und auf den (zeitgebundenen und heute nur schwer vermittelbaren) szenischen Aufwand verzichtet.

Das Stück lebt von den beiden Zentralfiguren, die auch das musikalische Zentrum sind. Alles andere ist musikalisch eher beiläufig. Klagenfurt hat für Romeo und Giulietta zwei junge Künstlerinnen im Ensemble, die beim Publikum bekannt und beliebt sind und die mit diesen Belcanto-Partien einen weiteren wichtigen Schritt in ihrer Karriere setzen konnten. Und so hat es durchaus berechtigt, dieses sicher noch nie in Klagenfurt erklungene Werk in konzertanter Form auf der Opernbühne vorzustellen.

Dass der Romeo als Mezzopartie konzipiert ist, geht übrigens auf einen Streit Bellinis mit dem Tenor des Hauses Lorenzo Bonfigli zurück. Damit erzielte aber Bellini gleichzeitig einen subtilen Effekt: die beiden Frauenstimmen heben sich klanglich von der von Männern und kriegerischen Auseinandersetzungen dominierten Umwelt ab. Der sizilianische Mezzo Anna Pennisi verleiht der Romeo-Figur sympathische Natürlichkeit und einnehmende Ausstrahlung. Die Stimme ist wirklich schön timbriert und wird sauber geführt, allerdings fehlt es noch ein wenig an dem gerade für die weitgespannten Bellini-Phrasen so wichtigen, durch den ganzen Körper „durchgezogenen“ appoggiare la voce. So bleibt manche Passage und mancher Spitzenton ein wenig ungestützt und flach. Wenn Pennisi daran konsequent weiterarbeitet, dann steht ihr der Weg auf große Bühnen offen. Die Französin Elsa Benoit ist nicht nur eine bildschöne Giulietta mit spürbarer Bühnenpräsenz, sie singt auch die anspruchsvolle Partie sehr überzeugend. Die leichte Kühle ihres Timbres kontrastiert reizvoll zu den opulenten Bellini-Melodien. Die Koloraturen glänzen, aber es gelingen ihr auch sehr schöne Pianophrasen. Elsa Benoit ist ab nächstem Jahr Mitglied der Bayrischen Staatsoper und war eben in Lille bei der Uraufführung eines Werks von Wolfgang Mitterer sehr erfolgreich – siehe dazu die französische Kritik. Sie wird ihren internationalen Weg machen!

Für die nicht sehr dankbare Tenor(neben)rolle des Tebaldo – sie sang bei der Uraufführung jener Tenor, mit dem sich Bellini zerstritten hatte… – hat man in Klagenfurt den aufstrebenden jungen Italiener Giordano Lucà engagiert. Er verfügt über einen gut sitzenden, manchmal etwas nasal gefärbten kompakten Tenor- kräftig attackierend mit sicheren Spitzentönen. Er führt zwar nicht jene feine Belcanto-Klinge, die ich mir eigentlich für Bellini wünschte, aber vielleicht ist er gerade deshalb als kampfbereiter Tebaldo passend besetzt. Als gütiger Arzt und um Vermittlung bemühter Lorenzo überzeugt Nikos Kotenidis mit warmem, gut sitzendem Bariton – ihn würde man gerne ihn einer größeren Belcanto-Partie hören. Michael Schober als Oberhaupt des Capuleti kann man wackeres Bemühen bescheinigen. Der Chor (Einstudierung: Günter Wallner) machte seine Sache gut.

„Mit Giacomo Sagripanti leitet die Produktion einer der talentiertesten jungen Dirigenten, der bereits international an zahlreichen großen Opernhäusern tätig ist“ – das schreibt das Stadttheater Klagenfurt bei der Ankündigung dieser Premiere. Und tatsächlich: wenn man liest, wo und was der 33-jährige Italiener bereits dirigiert hat und was seine

Agentur alles für die nächsten Jahre ankündigt, dann ist das schon sehr eindrucksvoll. Mir erschien an diesem Premierenabend allerdings sein Dirigat nicht so überzeugend – Sagripanti dirigierte mit klarer Zeichengebung und auf sichere Koordination bedacht, aber doch eher steif-distanziert und nicht allzu engagiert. Das Kärntner Sinfonieorchester konnte mit einigen schönen Instrumentalsoli (Horn, Klarinette, Violoncello) aufwarten, aber auch hier fehlten mir diesmal ein wenig das intensive Engagement und die Musizierfreude, wie man es zuletzt immer wieder unter seinem Chefdirigenten erlebt hatte. Diesmal wirkte alles eher solid-routiniert.

An dieser Stelle sei letztlich noch ein grundsätzlicher Einwand gegen die Aufstellung von Solisten, Orchester und Chor erhoben:

Der Orchestergraben war überdeckt, die Solisten standen ganz vorne unmittelbar vor der ersten Parterre-Reihe. Sie standen damit schon außerhalb des Bühnenraums, sozusagen direkt im Zuschauerraum. Damit fehlte ihnen der akustische Raum und Rückhalt, den sonst die Bühne bietet. Die Stimmen waren isoliert und fügten sich nicht in den Klang des Orchesters. Ich bin überzeugt, dass sich ein einheitlicheres Klangbild hätte entwickeln können, hätte man den Chor nicht auf der Bühne hinter dem Orchester aufgestellt, sondern ihn in den Seitenlogen positioniert. Damit hätte das Orchester auf der Bühne weiter nach hinten rücken können und die Solisten wären dort gestanden, wo erfahrungsgemäß für sie die beste Akustik ist und die beste Mischung mit dem Orchesterklang erzielt wird, nämlich im Bühnenportal.

Aber wie auch immer:

Die Auseinandersetzung mit der wunderbaren Bellini-Musik hat sich gelohnt. Das Klagenfurter Musik-Publikum möge seine bei der Premiere gezeigte Scheu vor Unbekanntem – und vielleicht auch vor konzertanter Oper – ablegen und die weiteren Aufführungen besuchen. Es lohnt sich – nicht zuletzt wegen der Leistungen des jungen, aufstrebenden Sängerteams

Hermann Becke, 8. 4. 2016

Szenenfotos: Stadttheater Klagenfurt, (c) Arnold Pöschl

Hinweise:

– 9 weitere Termine im April und Mai 2016

Zeitungsbericht über Elsa Benoit