Regensburg: „Tristan und Isolde“

Besuchte Aufführung: 1.11.2014 (Premiere: 27.9.2014)

Rückblick mit Schopenhauer und Novalis – In jeder Beziehung qualitätsvoll

Die Musikdramen Richard Wagners stellten schon von jeher für jedes Opernhaus eine harte Belastungsprobe dar. Die Ansprüche, die sie an sämtliche Ausführenden stellen, sind enorm und nicht gerade leicht zu realisieren. Umso erfreulicher ist es, wenn hochkarätige Produktionen von Werken des Bayreuther Meisters nicht nur an großen Opernhäusern gestemmt werden. Es ist schon bemerkenswert, dass auch an kleinen und mittleren Bühnen immer wieder beeindruckende Wagner-Aufführungen zustande kommen, wie es jetzt bei der Neuinszenierung von „Tristan und Isolde“ am Theater Regensburg wieder der Fall war. Indem Intendant Jens Neundorff von Enzberg nach den „Feen“ in der vergangenen Spielzeit nun auch dieses höchst anspruchsvolle Werk auf den Spielplan setzte, hat er alles auf eine Karte gesetzt und dabei haushoch gewonnen. Die Aufführung geriet in jeder Beziehung zu einer qualitätsvollen Angelegenheit auf hohem Niveau, die dem kleinen Regensburger Theater alle Ehre macht.

Ensemble, oben: Mikhail Gubsky (Tristan), Dara Hobbs (Isolde)

Wagner hat seinen „Tristan“ unter dem bestimmenden Einfluss seines Lieblingsphilosophen Artur Schopenhauer geschrieben und sich dabei insbesondere von dessen Hauptwerk „Die Welt als Wille und Vorstellung“ inspirieren lassen. Für Schopenhauer war Leben gleichbedeutend mit Leiden, das seine Ursache in einem immerwährenden Zustand des Wollens hat und die Erlangung fortdauernden Glücks unmöglich macht. Diesen Grundgedanken hat der Komponist aufgegriffen und geschickt mit Novalis’ „Hymnen an die Nacht“ verwoben. In diesem 1800 erstmals veröffentlichten Gedichtzyklus schildert der Dichter die Entwicklung des Lebens im glücklichen, irdischen Reich des Lichts über eine Zwischenphase entfremdenden Schmerzes bis hin zur Befreiung durch die ewige Nacht, die nichts anderes als den Tod symbolisiert. Diese Rettung aus den Zwängen des Tags durch Nacht und Tod ist auch der Kern der philosophisch tiefgründigen Tag- und Nacht-Metaphorik, die Wagner seinem „Tristan“ übergestreift hat und von der sich auch Lotte de Beer in ihrer von eindringlichen Hell-Dunkel-Kontrasten als Versinnbildlichung von Leben und Tod dominierten Inszenierung leiten lässt.

Michelle Völkl (Double Isolde), Mikhail Gubsky (Tristan)

Vielleicht war es nicht genau das, was man sich von einer Meisterschülerin des großen Peter Konwitschny, eines der ersten Vertreter des modernen Musiktheaters, erwartet hätte. Dennoch ist ihre gut durchdachte und handwerklich mit großem Können umgesetzte Inszenierung in hohem Maße gelungen. Sie erzählt die Handlung als Rückblende aus der Perspektive des in weiße Totenhemden gekleideten Liebespaares, das sich von Anfang an in einem Zwischenstadium von Leben und Tod bewegt und sterbend noch einmal auf die wesentlichen Stationen seines Lebens zurückblickt, bevor sie der ebenfalls weiß gewandete Hirt als Todesbote sanft ins Jenseits geleitet. Das Ausstattungsduo Clement & Sanou, von dem auch die gelungenen Kostüme stammen, hat ihr dazu einen auf einem gläsernen Rechteck aufragenden, mit Hilfe der Drehbühne ständig rotierenden mächtigen Kubus auf die Bühne gestellt, der im Dunkel des Raumes wie ein Mausoleum wirkt und dessen Dach von einer Schiffsreling begrenzt wird. Insbesondere im zweiten Aufzug mutiert die Plattform zur Spielfläche, von der aus Tristan und Isolde den Strom der Ereignisse Revue passieren lassen. Sie erfahren in Frau de Beers Deutung eine Verdoppelung durch zwei historisierende Gewänder tragende Schauspieler, die immer wieder sequenzartige Bruchstücke der Handlung und auch der Vorgeschichte zum Besten geben. So sieht man Isolde mit dem abgeschlagenen Kopf Morolds. Dann kann man beobachten, wie der Blick des von ihr als Mörder ihres Verlobten erkannten Tristan sie daran hindert, ihn zu töten. Wenig später wird man Zeuge, wie die irische Königin die unwillig wegrennende Tochter für die Reise nach Kornwall einkleidet und ihr die Zaubertränke übergibt. Dass Isolde für Marke nur Ekel fühlt, wird zu Beginn des zweiten Aufzuges deutlich, wenn sie nach einer Liebesnacht aus dem Bett des Königs steigt und sich angewidert das Geschlecht abwäscht. Von ihrer erhöhten Warte aus sehen Tristan und Isolde sich in Gestalt ihrer Doubles heftig küssen und splitternackt langen, ausgedehnten Sex miteinander haben. An dieser Stelle sei den beiden Schauspielern Michelle Völkl und Alexander Benedikt ein großes Lob für ihre mutige Ausführung dieser heiklen Szene ausgesprochen, die in der Rezeptionsgeschichte des Werkes wohl einmalig ist.

Dara Hobbs und Michelle Völkl (Isolde), Alexander Benedikt und Mikhail Gubsky (Tristan)

Diese szenischen Bruchstücke spielen sich alle im Innern des aus Plexiglas bestehenden und mit naturalistischen Elementen versehenen Mausoleums ab, das sowohl als Spiegel der Realität als auch als Projektionsfläche für die Erinnerungen des Paares aufzufassen ist. Seine variable Transparenz ist Ausdruck einer zeitweise verzerrten Wahrnehmung des auf der Schwelle des Todes stehenden Liebespaares, dessen Blick getrübt ist und die Vergangenheit in ihren konkreten Einzelheiten nicht mehr ganz korrekt abzubilden vermag. Dabei sind die Übergänge zwischen den Welten fließend. Immer wieder verschmelzen die Ebenen an zentralen Stellen miteinander. Die todgeweihten Liebenden mischen sich dann unter ihre lebenden Doubles, wobei ihnen jetzt nicht mehr lediglich eine beobachtende Funktion zukommt. Vielmehr versuchen sie die Schatten der Vergangenheit nachhaltig zu beeinflussen, begangene Fehler im Nachhinein wieder auszubügeln, was ihnen indes nicht gelingt. So ist beispielsweise Tristans Versuch, sein Alter Ego dazu zu bewegen, Marke um Verzeihung für seine Tat zu bitten, zum Scheitern verurteilt. Gerade in solchen Augenblicken gelingen der Regisseurin sehr einfühlsame Blicke in das Seelenleben der beiden Protagonisten, die konkordant auf das Spiel ihrer Doppelgänger reagieren. Dieses Mit- und Ineinander von Wirklichkeit und Surrealität ist sehr eindrucksvoll. Das innere Erleben des Paares wird dadurch mehr als sinnfällig. Dass Tod hier Leben bedeutet – diese Interpretation geht ganz konform mit Wagners Intentionen – wird am Ende deutlich, wenn sich Tristan und Isolde während des Liebestodes wieder auf das Dach des Kubus zurückzuziehen und gänzlich im Einklang mit buddhistischem Gedankengut der Erfüllung ihrer Liebe nach erfolgter Wiedergeburt entgegensehen. Dieses gelungene Ende entspringt ebenfalls gänzlich der Mentalität Wagners, der bekanntermaßen ein großer Anhänger der Lehren Buddhas war. Man merkte, dass Frau de Beer sich gewissenhaft mit Wagner, seinem Werk und dessen gedanklichem Subtext auseinandergesetzt hat. Ihre stringent und atmosphärisch sehr stimmungsvoll durchgeführte szenische Retrospektive mit starken philosophischen und psychologischen Einschlägen ist vollauf gelungen und kann getrost als Aushängeschild für das Theater Regensburg betrachtet werden, das eine Fahrt immer lohnt.

Dara Hobbs und Michelle Völkl (Isolde), Alexander Benedikt (Double Tristan)

Im Graben versetzten GMD Tetsuro Ban und das insgesamt brillant aufspielende Philharmonische Orchester Regensburg das Publikum in einen regelrechten Klangrausch. Ban wartete mit einem sehr kompakten, intensiven Zugriff auf Wagners vielschichtige Partitur auf und erwies sich als echter Theaterdirigent. In zügigen, vorwärtsdrängenden Tempi animierte er die Musiker zu einer prägnanten, äußerst gehaltvollen und große Kraft atmenden Tongebung, wobei er das Sehrend-Sehnende von Wagners herrlicher Musik trefflich herausstellte. Es war schon ein Klangteppich von enormer Dichte und glutvoller Spannung, den Dirigent und Orchester da erzeugten. Einzelne kleine Unebenheiten waren zu vernachlässigen.

Von den Sängern war es in erster Linie Dara Hobbs, die nachhaltig für sich einzunehmen wusste. Sie erwies sich als absoluter Glücksfall für die Isolde und qualifizierte sich an diesem Abend für die größten Häuser. Nicht nur darstellerisch ging sie voll in ihrer Partie auf, auch gesanglich stellte sie an diesem gelungenen Abend so manche, auch berühmtere, Rollenvertreterin in den Schatten. Mit ihrem in jeder Lage bestens durchgebildeten, profunden, warmen und zur sicheren Höhe hin prachtvoll aufblühenden dramatischen Sopran und hohem technischem Können meisterte sie sämtliche Klippen der irischen Königstochter mit enormer Versiertheit und sehr ausdrucksstark. Rein gesanglich war der Tristan bei dem ebenfalls gut fokussierten und kraftvoll geführten Tenor von Mikhail Gubsky, der sogar in den kräftezehrenden Fieberausbrüchen des dritten Aufzuges noch über genug stimmliche Reserven verfügte, gut aufgehoben. Mit dem deutschen Text tat sich der aus Russland stammende Sänger indes ausgesprochen schwer. Da gab es immer wieder Gedächtnislücken. Seine Diktion wirkte von Anfang an etwas verschwommen. Manche Nebensilben wurden überbetont, andere einfach verschluckt, was sich recht störend auswirkte. Darüber hinaus schien er nicht immer alles zu verstehen, was er sang. Vor der nächsten Aufführung sollte er seinen Part unbedingt noch einmal mit einem deutschen Sprachcoach durchgehen. Einen volltönenden, profunden und vorbildlich gestützten Mezzosopran brachte Vera Egorova für die Brangäne mit. Ein bis zu den eklatanten Spitzentönen mit großer Frische, ausdrucksstark und markant singender Kurwenal war Adam Kruzel. Dass Mario Klein die große Betroffenheit und Erschütterung König Markes nicht sonderlich gut vermittelte, lag daran, dass er oftmals vom Körper wegging, woraus ein recht hohler Klang resultierte. Eine ziemlich maskige Angelegenheit war der Melot von Matthias Wölbitsch. Mit kräftigem Tenor sang Matthias Ziegler den Hirten. Reichlich dünnstimmig gab Cameron Becker den jungen Seemann. Der nicht gerade ausgeprägt klingende Bariton von Mert Öztaners Steuermann saß ziemlich im Hals. Gut schnitt der von Alistair Lilley einstudierte Herrenchor ab.

Fazit: Wieder einmal hat sich die Fahrt nach Regensburg voll gelohnt. Der Besuch der Aufführung ist sehr zu empfehlen!

Ludwig Steinbach, 2.11.2014
Die Bilder stammen von Jochen Quast