Salzburg: „West Side Story“

Felsenreitschule – Aufführung am 29.8.16 (Premiere am 20.8.)

Marias Rückblick

Diese für die Pfingstfestspiele entstandene Produktion war für Cecilia Bartoli, die Leiterin dieser Festspiele, ein großes Anliegen gewesen, da sie sich mit der Interpretation der Maria einen alten Traum erfüllen wollte. So hatten also das klassische Salzburger Sommerfestival als Koproduzent erstmals ein Musical auf seinem Programm.

Bei aller Bewunderung für das Multitalent Leonard Bernstein muss gesagt werden, dass der Zahn der Zeit an diesem seinem Werk genagt hat. Diese Feststellung bezieht sich natürlich nicht auf die ewig gültige Romeo-und-Julia-Story und auch nicht auf die gerade heute wieder so aktuellen Fragen zu Zusammenstößen zwischen „Eingesessenen“ und Zuwanderern, sondern auf die Qualität der Musik, die sich meiner Ansicht nach insofern unterscheidet, als die Ballettmusiken und Ensemblesätze (wie etwa das zynische „Social disease“) noch immer zünden, während die berühmten Gesangsnummern wie etwa „Maria“ oder „Tonight, tonight“ mit ihrem Schlagertouch doch recht ranzig klingen.

Wie hat la Bartoli das Problem gelöst, dass sie nicht mehr das Alter für die Maria hat? Sie zeigt die Figur 20 Jahre nach der seinerzeitigen Tragödie, wie sie sie in der Erinnerung nacherlebt. Die junge Maria wird von einer altersmäßig adäquaten Schauspielerin gegeben, deren Musikstücke aber von Bartoli gesungen werden. Szenisch wird das von Regisseur Philip Wm. McKinley sehr gut gelöst, wenn Maria I die junge Maria II ersetzt. Dennoch funktioniert der Einfall nur bis zu einem gewissen Grad, weil Bartolis reife Stimme nicht zum jugendlichen Tenor ihres Tony passt. Der Klang mag eine logische Konsequenz sein, weil Maria ja aus der Erinnerung schöpft, aber das Endergebnis ist dennoch nicht ideal. Mit Norman Reinhardt wurde für die Rolle des Tony ein veritabler Opernsänger ausgewählt, der sich aber von seinen musicalerprobten Kollegen in der Körpersprache beträchtlich unterschied. Maria II fand in Michelle Veintimilla eine zauberhafte Interpretin, und Anita in Karen Olivo ein Temperamentbündel von Tänzerin und Sängerin. George Akram war ein guter Bernardo, Anführer der Sharks, konnte aber den charismatischen George Chakiris aus der Verfilmung nicht vergessen machen. Hervorragend in seiner herausfordernden Art war Dan Burton als Riff, Anführer der Jets. Von den „Erwachsenen“ gefiel vor allem Cheyne Davidson als menschlich-besorgter Doc.

Die Choreographie von Liam Steel war vom Feinsten und wurde von den hervorragend gecasteten 36 Bandenmitgliedern und deren Mädchen (diese in prachtvollen Vintagekostümen von Ann Hould-Ward) so exakt wie temperamentvoll umgesetzt – man meinte förmlich das Testosteron dampfen zu sehen! Die Bühne von George Tsypin zeigte rechts oben Marias Nähstube, links Docs Drugstore und zog beleuchtungstechnisch (Patrick Woodroffe) die Arkadenbögen der Felsenreitschule bestens ein. Gelungen auch der mit Graffiti verschmierte Vorhang.

Das Simón Bolívar Orchestra of Venezuela unter Gustavo Dudamel hatte die lateinamerikanischen Rhythmen natürlich im Blut und spielte mit mitreißender Freude. Den begeisterten Schlussapplaus begleitete es mit feurigen Klängen, zu denen auch la Bartoli ein Tänzchen wagte.

Eva Pleus 2.9.16

Bilder: Salzburger Festspiele / Silvia Lelli