Buchkritik: „Barocke Theaterwelten“

Man wird nicht behaupten können, dass es zu wenige Bücher über das Markgräfliche Opernhaus gäbe. Schon vor dem voluminösen Bayreuther Ausstellungs-Katalog zum 250. Geburtstag des Unesco-Weltkulturerbes waren Büchlein über das einzigartige Haus erschienen, doch erst damals nahm die Forschung recht eigentlich Fahrt auf – und spätestens seit der grundlegenden und grundlegend revidierenden Rekonstruktion und Restaurierung wissen wir, was es wirklich mit diesem Haus en detail auf sich hat.

Kann man da, nach gut 12 Büchern, noch Funde machen? Man kann, wie es der ausgesprochen schön und reich gestaltete Begleitband zur neu eröffneten Ausstellung belegt, der pünktlich zur Eröffnung des Opernhausmuseums von der Bayerischen Schlösserverwaltung herausgegeben wurde. Gewiss: Da wird die Geschichte der Oper in Bayreuth so erzählt, dass der sog. Kenner – wer ist das schon? – grundsätzlich wenig Neues erfährt, aber wer sich für eine souveräne Übersicht, für Verbindungslinien zwischen der vorwilhelminischen Oper und dem Theatrum der Markgräfin, für Theatertechnik und Ästhetik des Barocks interessiert, wird den Band, der die Inhalte des Museums gut abbildet, dankbar in die Hände nehmen. Der Kenner aber wird mit Funden beglückt, die er in seiner gut sortierten Markgrafenkultur-Bibliothek nicht entdecken wird. Er erhält also nicht nur eine konzise Studie über die Zusammenhänge von Zeremoniell, Festkultur und Propaganda in den Zeiten des sog. Aufgeklärten Absolutismus, in denen Bayreuth zumindest architektonisch mit den Hoftheatern in Wien und Dresden konkurrieren konnte. Er wird auch darauf hingewiesen, dass das Felsentheater in Sanspareil möglicherweise auf Illustrationen aus einem 1654 gedruckten Theaterbuch Giacomo Torellis zurückgehen könnte. Er darf sich die Seite eines Inventars anschauen, in dem seinerzeit die Bühnenkostüme genau verzeichnet wurden, und er erhält mit dem – vermutlich erstmals – publizierten Gemälde eines anonymen Geigers das Porträt eines markgräflichen Violinisten in die Hand gedrückt. Selbst Wagner-Freunde können noch überrascht werden, da bei den Vorarbeiten zur Einrichtung des Museums immerhin vier Bühnenelemente aus der Bayreuther „Lohengrin“-Inszenierung des Jahres 1894 entdeckt wurden – womit nichts weniger als die einzigen noch existierenden Bayreuther Bühnenkulissen aus dem berühmten Coburger Atelier der Gebrüder Brückner auf uns kamen. Ein Fund!

Die Fehlergrenze hält sich in Grenzen, doch muss es erstaunen, dass die Bauforschungen zum Redoutenhaus, die in einem Band zum „Jüdischen Bayreuth“ vorgelegt worden sind, von der Beiträgerin Maria Blenk missverstanden wurden. Auf dem Dachboden der Synagoge, die baugeschichtlich mit dem alten Redoutenhaus eng zusammenhängt, finden sich mitnichten Teile einer alten Bühnenmaschinerie; auch findet sich an der Ostwand der Synagoge kein „Bühnenbogen“, sondern es finden sich die Spuren der einstigen beiden Logenöffnungen. Auch ist die spekulative Zuweisung des anonymen Porträtgemäldes an den Hofkapellmeister Johann Pfeiffer wohl irrig, da es sich aufgrund des einfachen Geigen-Attributs wohl eher um den Violinisten Johann Wolfgang Kleinknecht handeln könnte. Dass Wilhelmines von Bayreuth Oper „Argenore“ seinerzeit in Bayreuth eine Aufführung erlebte, ist eine kaum beweisbare Behauptung – ebenso wenig die These, dass sich im Redoutenhaus, in dem das Opernhausmuseum eingerichtet wurde, bis zum Umbau „keine originalen Strukturen aus dem Barock“ erhielten, weil es angeblich vor Jahrzehnten entkernt wurde. Das Gegenteil ist, wie es die im Haus verbliebenen Rokoko-Stuckdecken bewiesen, richtig.

Allein das sind Petitessen angesichts der Hinweise auf eine markgräfliche Theaterwelt, die von Erlangen bis Bayreuth und weiter hinaus reicht. Schon das erstgenannte Haus ist ja bemerkenswert, weil es sich um das älteste bespielte Theater im süddeutschen Raum handelt. So öffnet sich die Haupt- und Nachgeschichte des immer wieder staunenerregenden Bauwerks mitsamt seiner ephemeren, zu Deutsch: vergänglichen Theaterkultur. Dass sie so vergänglich nicht ist, weil sie wenigstens in Bruchstücken neu- und wiederentdeckt und ausgestellt werden kann: der schöne Band beweist es so, dass selbst dem letzten Bayreuth-Baroque-Verächter klar werden sollte, wo das Opern-Herz Bayreuths 12 Monate lang schlägt.

Frank Piontek, 10. Mai 2023


Bayerische Schlösserverwaltung (Hrsg.)

Barocke Theaterwelten. Markgräfliches Opernhaus Bayreuth. Welterbe & Museum

128 Seiten, 133 Abbildungen. München 2023

ISBN 978-3-941637-81-8. 13,90 Euro