Buchkritik: „Isolde – Richard Wagners Tochter“, Eva Rieger

Vor zehn Jahren befasste Eva Rieger sich mit dem Schicksal der Wagner-Enkelin Friedelind, nun ist ihr neuestes Buch erschienen und ist der Wagner-Tochter Isolde gewidmet. Beiden Nachkommen gemeinsam ist der ihr gesamtes Leben überschattende Zwist mit den in Wahnfried ansässigen und die Festspiele leitenden Wagners, beiden gemeinsam ist aber auch die offensichtliche künstlerische Begabung, die Isolde nie ausbilden, geschweige denn vor den Augen der Welt offensichtlich machen konnte, während Friedelind, eine Generation weiter, eher an ihrer Unfähigkeit, mit Geld umzugehen, scheiterte. Während Friedelind um ihr Erbe kämpfte, stritt Isolde um den Namen Wagner. Während sie gezeugt wurde, war ihre Mutter Cosima bereits die Geliebte Wagners, lebte aber noch, wenigstens zeitweise, mit ihrem Gatten, dem Dirigenten Hans von Bülow, unter einem Dach. Auch ihre Geschwister Eva und Siegfried wurden geboren, ehe Cosima und Richard einander heiraten konnten, die Eintragung Siegfrieds beim Standesamt wurde erst nach der Scheidung und Wiederverheiratung Cosimas vorgenommen.

Das Buch von Eva Rieger liest sich wie ein spannender Roman, genügt aber streng wissenschaftlichen Ansprüchen, indem er im Wesentlichen aus Briefen, Zeitungsartikeln, Bekenntnissen besteht, die geschickt zu einer fortlaufenden Handlung miteinander verknüpft werden und so das Werk zu „Eine(r ) unversöhnliche(n) Familiengeschichte“ machen. Geht es einmal ins Reich der Spekulation, dann wird das auch mit einem „vielleicht“ betont. Da gerät der Leser immer wieder ins Staunen darüber, wie viel Schriftliches die damalige Generation verfasste, aufbewahrte und damit der Nachwelt zukommen ließ. Bewundernswert ist auch die Beherrschung der Sprache, die manchen Brief geradezu zu einem literarischen Kunstwerk werden lässt. Genauso bemerkenswert ist aber auch die Gefühlsseligkeit, ist das Pathos, das aus den Briefen zum heutigen Leser spricht, so dass er fast beschämt darüber ist, so tief in das Gefühlsleben fremder Menschen einzudringen, die ihm mit zunehmender gelesener Seitenzahl immer vertrauter werden.

Für Isolde scheint das Leben zunächst nur Positives bereit zu stellen, sie gilt als „Lieblingstochter“, als „wunderliches Wunderkind“, nach zwei Halbschwestern, deren Vater der ungeliebte von Bülow ist, als erstes in Leidenschaft empfangenes und mit Freude geborenes Kind Cosimas, wenn auch „nur“ ein Mädchen. Und so wird auch nur für den nach vier Mädchen geborenen Siegfried Wert darauf gelegt, dass er auch für das Standesamtsregister als Kind Wagners gilt.

Nicht nur die Wagner-Familie wird portraitiert oder portraitiert sich durch die überlieferten Zeugnisse selbst, auch viele berühmte Zeitgenossen wie natürlich der Großvater Franz Liszt oder Malwida von Meysenbug begegnen dem Leser, der natürlich, was die frühen Lebensjahre Isoldes betrifft, nur das akribisch aus Zeitzeugenberichten Herausgefilterte zur Kenntnis nehmen kann, der aber gerade darin die Redlichkeit der Verfasserin erkennt, die sich nicht in Spekulationen ergeht. Wenn sie einmal mutmaßt, Isolde habe eine Aufführung besonders genossen, dann lässt sich das durch die Zeichnungen, die die Wagner-Tochter Jahre später davon anfertigte, schon fast beweisen. Ein kleiner Exkurs, der nicht von der Autorin zu verantworten ist, stellt Siegfried über Brünnhilde, eine fragwürdige Parallele zum Verhältnis des Wagner-Sohnes zu seinen Schwestern ziehend.             

Erfreulich ist auch der umfangreiche Bildteil, in dem auch Isoldes Kostümentwürfe für die Blumenmädchen in Parsifal zu sehen sind und der beweist, dass sie nicht nur die begabteste, sondern auch die attraktivste der vier Cosima-Töchter war. Ein bisschen dünn ist die Beweislage für die Behauptung, Isolde „blieb… unbeirrt in ihrer Suche nach einem Lebensinhalt“, und deutet sich bereits das nächste Buch von Rieger mit folgendem Absatz an: „Die schwärmerische Idealisierung von Diven durch homosexuelle Männer ist ein Phänomen, das bislang wissenschaftlich nicht eindeutig erklärt werden kann“?

Sehr bald taucht am Horizont mit Houston Chamberlain eine verhängnisvolle Figur auf, der nacheinander der verwitweten Cosima, Isolde und, schließlich mit Erfolg, Eva den Hof macht und einen extremen Antisemitismus in das ohnehin nie den Juden zugetane Wahnfried bringt. Noch ist das Verhältnis zwischen Cosima und Isolde gut, bittet die Tochter die Mutter, ihr bei der „Wegfindung“ zu helfen. Sie heiratet den Dirigenten Franz Beidler, der, selbst hochbegabt, dem angeblichen Genie Siegfried, weder dem Komponisten noch dem Dirigenten, angemessen huldigen mag und deshalb aus dem Festspielhaus verbannt wird, in Russland, England oder Spanien sein Auskommen suchen muss. Da ihm Isolde dorthin nur selten folgt, gibt es einen interessanten Briefwechsel zwischen den beiden Gatten, von dem das Buch profitieren kann. Zum endgültigen Bruch und um einen Prozess um den Namen Isoldes kommt es, nachdem die Homosexualität Siegfrieds ins Spiel gebracht wurde, ihre Gegner Isolde am liebsten in eine Nervenklinik einweisen lassen würden. Das empört die Autorin so sehr, dass sie sich zu einem unbewiesenen „Das (die Offenlegung der Homosexualität Siegfrieds) hätte Isolde niemals zugelassen“, hinreißen lässt. In diesem Konflikt sieht die Verfasserin und sie belegt es eindrucksvoll, entgegen der bisherigen Meinung nicht nur ein „erbrechtliches Kalkül“, sondern den Versuch, den Sohn Isoldes generell von der Erbfolge auszuschließen. Schließlich war er bis zur späten Ehe Siegfrieds und der Geburt Wielands der einzige Enkel Wagners.

Was am Schluss des Buches die Zuordnung von Kaiserreich und Nazizeit zum Männlichen, der Weimarer Republik zum Weiblichen soll, ist nicht ganz auszumachen und eigentlich überflüssig, mindert aber den Wert des Werks nur geringfügig.

Bibliographie, Abkürzungsverzeichnis, Bildnachweise, Personenregister, Stammtafel und Bilderverzeichnis vervollständigen den Band.          

Ingrid Wanja, 6. März 2023


Eva Rieger: „Isolde – Richard Wagners Tochter“

Insel Verlag 2022

345 Seiten

ISBN 978 3 458 64292 3