Verschiedene Opern, aber das gleiche Konzept
Regiemoden, die uns immer wieder begegnen
Dieses Phänomen kennt wahrscheinlich jeder Opernfan: Das besucht man eine Opern-Neuinszenierung und sieht ein Konzept, das man erst kürzlich bei einer ganz anderen Oper gesehen hat. Manche Konzepte entwickeln sich zu regelrechten Moden, und Regisseure glauben, sie seien auf jede Oper anwendbar. Die Ergebnisse sind höchst unterschiedlich: Manchmal passt ein Konzept, das auf den ersten Blick gar nichts mit der Handlung der Oper zu tun hat goldrichtig, manchmal wirkt es nur aufgesetzt und ärgerlich. Hier stelle ich Ihnen einige der beliebtesten Regiekonzepte vor:
Backstage-Comedy
Als Backstage-Comedy lassen sich besonders gut Ausstattungsstücke präsentieren, denn hier kann der Regisseur ein opulentes Bühnenbild präsentieren und gleichzeitig intellektuell sein. Ein Teil der Geschichte wird als traditionelle Bühnenhandlung gezeigt, andere Teile als reale Auseinandersetzung der Akteure hinter den Kulissen. Florian Lutz machte so in Bonn aus Bellinis „Norma“ (2012) einen Kampf der Diven um einen Multimillionär. Stefan Herheim konnte Händels „Xerxes“ (2012) an der Komischen Oper Berlin als barockes Ausstattungstheater mit turbulenten Zickereien hinter den Kulissen spielen.
Eine besondere Variante wählte Christof Loy für seine Salzburger „Frau ohne Schatten“ (2011). Er siedelte die Oper in den 50er Jahren in den Wiener Sofiensälen während einer Schallplatteneinspielung des Stückes an. Wenn es zu mythologisch und märchenhaft wurde, sangen die Akteure einfach in die Mikrophone, ansonsten konnten die Sängerpaare ihre ehelichen Zwistigkeiten quasi „off the record“ abhalten. Dank der ausgefeilten Personenführung überzeugten alle drei Inszenierungen.
Nachts im Museum
Pet Halmen, der langjährige Mitarbeiter Jean-Pierre Ponnelle, siedelte bei seiner Düsseldorfer Inszenierung von Verdis „Aida“ (1989) das Stück im Ägyptischen Museum in Kairo an. Giuseppe Verdi streift zwischen den Statuen in ihren Schaukästen als Besucher umher und lässt sich inspirieren. Dann werden die Statuen lebendig und werden zu den Figuren der Oper, die ihre Geschichte spielen. Auch dieses Konzept ermöglicht eine Ausstattung mit prunkvollen Kostümen und Bühnenbildern und bricht die Handlung nur minimal.
Anselm Weber griff die Idee für seinen Essener „Rosenkavalier“ (2004) auf: Hier schlendert Museumswärter Ochs durch ein klturhistorisches Museum und lässt das Wiener Rokoko in seinen Träumen aufleben. Eine besondere Variante des Museums-Konzeptes ist die Verortung in einer Gemäldegalerie. Alvis Hermanis siedelte seinen Salzburger „Trovatore“ (2014) hier an. Das Museumspersonal träumte sich nach Feierabend in die Verdis spanische Eifersuchtsgeschichte. – Ihre Hagener „Zauberflöte“ (2015) verlegte auch Annette Wolf in ein Kunstmuseum: Da wurden die Objekte und Bilder lebendig, was teilweise treffend umgesetzt war, an anderen Stellen aber durch eine langweilige Personenführung ermüdete.
Im Reich der Nazis
Wenn es um die Opernnazis geht, ist zuerst Burkhard Kosminskis einmal gespielte und dann sofort entsorgte Düsseldorfer „Tannhäuser“-Inszenierung (2013) zu nennen. Venus war hier eine KZ-Aufseherin, die Tannhäuser zu Juden-Erschießungen animiert. In der deutschen Nachkriegsgesellschaft des Sängerstreites wird die Vergangenheit der Titelfigur dann aufgedeckt. Vielleicht hätte das Konzept bei einer offensiveren Informationspolitik der Rheinoper funktioniert. Stattdessen blieb der Regisseur bei einem vorab veröffentlichten Pressegespräch nebulös und auch im Einführungsvortrag vor der Premiere wurde das Publikum nicht angemessen vorbereitet. Lange Generalpausen in der Musik gaben dem Publikum reichhaltig Platz zu verbalen Auseinandersetzungen.
Umso überraschender ist, dass es da im Bereich der Operette glaubhafte Übertragungen in die Nazi-Zeit gab und gibt. Michael Sturminger machte in seiner Essener „Czardasfürstin“ (2010) aus dem Variete-Star Sylvia Varescu eine Jüdin, die von der Nazi-Verwandtschaft ihres Verlobten Edwin Ronald nicht akzeptiert wird. Und Sabine Hartmannshenn lässt im gleichen Haus ihre aktuelle Inszenierung von „Das Land des Lächelns“ (2019) in einem deutschen Revuetheater während der Endphase der Weimarer Republik spielen: Ein von Nazis durchsetztes Publikum schimpft hier über Ausländer auf den deutschen Bühnen.
Jüngstes Beispiel eines Nazi-Konzeptes ist Robert Carsens Züricher „Arabella“ (2020): Carsen siedelt das Stück im Jahr 1938 an, als Österreich an das 3. Reich angeschlossen wurde. Beim Ball im 2. Akt sieht man Hakenkreuzfahnen, und auch Arabellas drei erfolglose Verehrer treten in Nazi-Uniform auf. Wirklich erhellend für die Liebesgeschichte zwischen Arabella und Mandryka sind diese Einfälle aber nicht, sondern sie bleiben bloß Dekoration.
Das Sanatorium auf dem „Zauberberg“
Besondere Beliebtheit erfreut sich seit einigen Jahren das Sanatorium auf der Opernbühne. Bei Stücken wie Verdis „La Traviata“, in denen die Krankheit einer Figur im Zentrum der Geschichte steht, ist dies plausibel. So verortete Josef Ernst Köpplinger die Geschichte der Violetta in Essen in ein Sanatorium des Dr. Grenville. (Mai 2012) Für das Essener Publikum war dies innerhalb von 10 Monaten der zweite Sanatoriums-Aufenthalt, denn bereits im Juli 2011 hatte Andreas Baesler Donizettis „Liebestrank“ in die Optik von Thomas Manns „Zauberberg“ verlegt. Von dem Roman-Klassiker ließ sich Johannes Erath bei der deutschen Erstaufführung von Joby Talbots „Everest“ (2018) in Hagen inspirieren. Eigentlich geht es hier um ein Unglück am höchsten Berg des Planeten, doch Erath gelang das Kunststück, durch eine glaubhafte Personenführung die Geschichte in ein Sanatorium zu verlegen.
Jüngere Beispiele für Opernklassiker in der Heilanstalt sind Jan Bosses Umsetzung von Rossinis „Reise nach Reims“ (2018) an der Deutschen Oper Berlin und Mozarts „Don Giovanni“ (2015) in der Regie von Philipp Kochheim in Erfurt.
„Der Ring des Nibelungen“ als Reise durch die Epochen
Zum Abschluss unseres kleinen Streifzugs durch die Regiemoden kommen wir zu einem Konzept, das gerne bei Wagners „Ring des Nibelungen“ angewendet wird: Die Reise durch verschiedene Epochen der deutschen Geschichte: Siegfried Schoenbohm setzte dieses Konzept bereits bei seinen Ring-Inszenierung in Bonn (1997-2000) um: „Das Rheingold“ spielte zwischen Rokoko und Industrialisierung, in „Die Walküre“ ging es um die Kriege des 19. und 20. Jahrhunderts, „Siegfried“ spielte in der Nachkriegszeit, und in der „Götterdämmerung“ war man in der Gegenwart angekommen.
Auch Kay Metzger folgte bei seinem Detmolder „Ring“ (2006-2009) dieser Idee, wählte allerdings andere Epochen: „Das Rheingold“ war im Absolutismus angesiedelt, „Die Walküre“ während des 1. Weltkrieges, Siegfried spielte in den Flower-Power-Zeiten der 60er Jahre und „Götterdämmerung war ein Science-Fiction-Opus. Die letzte Ring-Zeitreise gab es im benachbarten Minden (2015-2018) zu erleben: „Das Rheingold“ spielte in prähistorischen Urzeiten, „Die Walküre“ im Mittelalter, „Siegfried“ während der „Industrialisierung“ und die „Götterdämmerung“ in unserer Gegenwart. Bemerkenswert hierbei war, dass mit Detmold und Minden auch zwei kleine Theater einen „Ring“ auf die Bühne bringen konnten, der durch eine genaue und spielfreudige Regie die Zuschauer auf der Stuhlkante gefangen hielt.
Falls der Leser dieses Textes selbst Opernregisseur ist und gerade keine eigenen Ideen hat, wie er seine nächsten Inszenierungen auf die Bühne bringen soll, kann er sich hier natürlich bedienen: Wie wäre es mit „Carmen“ als Backstage-Tragedy, dem „Fliegenden Holländer“ im Schifffahrtsmuseum, mit einer „Zauberflöte“ unter Nazis oder einer „Elektra“ im Sanatorium?
Rudolf Hermes, 16.4.2020