Luzern, Konzert: „Luzerner Sinfonieorchester“, Martha Argerich

Martha Argerich und die Klavierwerke von Robert Schumann – das ist eine positiv konnotierte symbiotische Beziehung der ganz besonderen Art. Selbst mit über 80 Jahren spielt die argentinisch-schweizerische Klavierlegende noch mit einer solchen Selbstverständlichkeit und einer Leichtigkeit, auch und vor allem in den vertracktesten pianistischen Passagen, dass man beim Zuhören weiche Knie bekommt. So auch gestern Abend im KKL-Luzern, wo sie mit Schumanns Klavierkonzert in a-Moll die Zuhörer in ihren Bann zog, wo man atemlos dem hochromantischen Kampf der beiden Kunstfiguren Schumanns lauschte, dem kühnen Florestan und dem wehmütig in sich gekehrten Eusebius. Martha Argerich versteht es beiden Charakteren gerecht zu werden, ja sie regelrecht in allen Facetten auszuloten. Feinfühlig nimmt ihr Spiel das Hauptthema auf, spannt es selbstbewusst weiter, hält aufmerksame Zwiesprache mit dem Orchester, gibt manchmal träumerisch nach und setzt sich dann aber auch wieder mit aller Vehemenz durch. Kraftvolle Akkordfolgen und zartes Umspielen, stets mit adäquatem Einsatz des Pedals, wechseln sich ab, Rubati werden klug gesetzt und vom aufmerksamen Dirigenten Michael Sanderling und dem Luzerner Sinfonieorchester einfühlsam aufgenommen.

(c) Philipp Schmidli

Überhaupt scheint der Kontakt der Pianistin mit dem Orchester ausgezeichnet, ja geradezu freundschaftlich zu sein; immer mal wieder blickt sie sich zu den ersten Violinen um, nickt ihnen zu – und allzu gerne hätte man gehört, was sie während des frenetischen Applauses zu dem Musiker gesagt hatte. Doch zurück zur Musik: Ein Höhepunkt des ersten Satzes ist natürlich die von Argerich mit so organischem Accelerando attackierte Kadenz, mit säuselnden Arpeggien und fulminanten Steigerungen. Zwischen dem ersten und dem zweiten Satz wird nur einmal kurz Atem geholt, dann geht’s gleich mit weit ausschwingenden Phrasen weiter, traumverloren, wunderschön, ein kurzes und graziles Intermezzo, bevor es mit fallenden Linien ad attaca in das Finale mündet, fröhlich, ausgelassen, stets glasklar und flink artikulierend die Pianistin, tänzerisches Vergnügen verströmend das Luzerner Sinfonieorchester. Schumanns einziges Klavierkonzert ist eines der Werke der Konzertliteratur, derer man nie überdrüssig wird, schon gar nicht in einer solchen Interpretation. Mit den Zugaben aus Schumanns Kinderszenen „Von fremden Menschen und Ländern“ und einem Stück von Bach ließ Martha Argerich erneut mit finessenreichem Spiel den träumerischen Eusebius und den vorwärtsdrängenden Florestan aufblitzen.

Vor der Pause erklang die dritte Sinfonie von Johannes Brahms, einem Komponisten der von Robert und Clara Schumann stark gefördert worden war und der Clara sein Leben lang auch nach dem Tod Roberts treu ergeben war. Michael Sanderling bevorzugte eine klar akzentuierte, markige Interpretation der Ecksätze, die geprägt sind von der dreitönigen Keimzelle f – as -f, ein Dreitonmotiv, welches die gesamte Sinfonie durchzieht, ihr einen wunderbaren, auch in den Ecksätzen im Piano verklingenden Bogen verleiht. Sehr schön, doch nie weichgespült wurde die ländliche Stimmung im zweiten Satz heraufbeschworen. Mit wunderbarer Schlichtheit erklangen die Klarinette und das Fagott, führten eine Art Trauermarsch ein, verhalten und ohne Pomp. Der dritte Satz ist und bleibt ein grosser Hit von Johannes Brahms, kein Wunder tauchte er in der Françoise Sagan Verfilmung von Aimez-vous Brahms? mit Ingrid Bergman und Anthony Perkins immer wieder auf. Er verfehlte auch unter dem einfühlsreichen Dirigat Sanderlings seine wehmütig-melancholische Wirkung nicht. Wunderbar warm intonierten die Streichergruppen dieses eingängige Hauptthema. Scharfe Konturen erhielt der Finalsatz, dramatisch aufwallendes Lodern, aufgewühlte Unruhe, schnelle, ausgezeichnet gespielte Passagen der Flöte, starke Einwürfe des Blechs und feinstes Verklingen in stiller Ruhe. Diese Dualität zwischen Kampf und Verträumtheit hat Brahms von Schumann gelernt.

Das Festival Le Piano Symphonique geht noch heute, morgen und übermorgen weiter. Hingehen und sich vom vielfältigen Klang des Pianos und herausragenden Solisten verzaubern lassen!

Kaspar Sannemann, 10. Februar 2023


Luzern KKL

Martha Argerich

8. Februar 2023

Brahms, Schumann

Dirigat: Michael Sanderling

Luzerner Sinfonieorchester