CD: „La pricesse jaune“, Camille Saint-Saëns

„Eines der besten Dinge, die ich im Theater gemacht habe“ – so bezeichnete der Komponist viele Jahre später seine „kleine“ Oper La Princesse Jaune. Als sie uraufgeführt wurde, übrigens mit bedeutenden Sängern, die bedeutendste Rollen wie den Don José kreierten, wurde sie schon nach wenigen Jahren abgesetzt. Heute wird sie selten, also immerhin gelegentlich gespielt, bemerkenswert ist beispielsweise eine gewitzt aktualisierende Aufführung in der Neukölner Oper des Jahres 2005, doch studiert man sie, wird man schnell bemerken, dass es sich um nichts weniger als um ein kleines Meisterwerk der Gattung Opéra comique handelt. Dieser Meinung war auch die Artikelschreiberin des betreffenden Eintrags in Pipers Enzyklopädie des Musiktheaters, Dagmar Gilcher – man kann ihr nicht widersprechen (auch wenn die Frage gestattet sein muss, ob ein „Meisterwerk“ nicht immer groß ist).

Nun liegt das Werk in einer ansprechenden Neueinspielung des Labels Palazetto Bru Zane vor. Wer die Reihe kennt, weiß um die höchst liebevoll gestalteten Bücher, in denen die jeweilige CDs eingelegt werden. Wir werden also gründlich und kompetent informiert über die Entstehungsgeschichte, den aufkeimenden Japonismus bzw. Orientalismus, dem das Werk seinen Hintergrund verdankt (und den es befeuerte). Die Einordnung in die Gattungsgeschichte, verbunden mit Analysen der Partitur und Struktur des reizvollen Einakters, der Abdruck der wohlwollenden und nur milde kritischen Rezension, die der Komponist und Kollege Ernest Reyer, immer noch einigermaßen bekannt durch seine Oper Sigurd, im Juni 1872 im Journal des débats veröffentlichte, zuletzt das Libretto und ein halbes Dutzend Bilder: all diese zweisprachig publizierten Texte und Fotos machen aus der Hülle der CD wieder eine kleine bibliophile und inhaltliche Kostbarkeit, die uns, zusätzlich zum Genuss des Werks selbst, begreifen lässt, worin das Besondere der Gelben Prinzessin liegt: in der Modernität der Saint-Saënsschen Musiksprache, die die meisten Kritiker seinerzeit gegen das kleine Meisterwerk giften ließ – aber sie konnten ja schon mit der kurz zuvor komponierten, in den selben Rahmen gehörenden Djamileh George Bizets nichts anfangen. Dass Saint-Saëns, mit Samson et Dalila, allein eine noch dazu oratorienhafte Oper geschrieben habe, die „gut“, also bühnentauglich und musikalisch originell sei, ist, wie die des angeblichen „Akademismus“ des Komponisten, eine jener abgestandenen Legenden, die durch Produktionen wie die vorliegende souverän zurückgewiesen werden. Dagegen sprechen schon die wenn auch seltenen Aufführungen des Werks. „Man nahm das unschuldige kleine Opus mit der wildesten Feindseligkeit auf“, schrieb Saint-Saëns 40 Jahre später, denn der Exotismus der Partitur, mit ihren Ganztonleitern, der Pentatonik und den changierenden Klangeffekten (bei gleichzeitiger brillanter Klarheit und Gegenüberstellung der beiden Sphären Orient / Französische Gegenwart) kam bei den auf „Traditionen“ bedachten Kritikern so gut an wie nur kurz darauf die Carmen.

Das „unschuldige kleine Opus“ zeigt eine so einfache wie sinnfällige Geschichte: ein junger Mann, Holländer, Liebhaber eines japanischen Frauenbildes und – gemäldes, wird von seiner Cousine geliebt, zieht es aber vor, sich mit Hilfe eines Haschischrauschs dem fernöstlichen Wahn hinzugeben – in dem ihm die Cousine plötzlich wie ein Abbild seiner geliebten Bild-Imagination erscheint. Wieder daraus erwacht, erkennt er seinen Wahn, bekennt sich zur jungen Dame und tut sich mit ihr, nach einem kurzen Augenblick des Zögerns ihrerseits, mit ihr zusammen, um sich statt in neue Traumwelten lieber auf die vor der Haustür stattfindende Kirmes zu begeben. Saint-Saëns gelang es schlicht wunderbar, die beiden Typen – den schwärmerischen Kornélis und die leicht kapriziöse Léna – zu charakterisieren. Besonders gelangen ihm die traumhaft anmutenden Episoden der kleinen Oper: also der auskomponierte Liebes- und Drogenrausch. Fast klingt‘s, als hätte ihm Lehár mit der (entzückenden und schließlich bewegenden) Mi aus seinem Land des Lächelns Pate gestanden – aber, wie gesagt, Saint-Saëns und sein kongenialer Librettist Louis Gallet waren Vorreiter des japonisme, nicht seine Epigonen.

Bru Zane hat für die Einspielung gute Kräfte aufgeboten. Das Orchestre National du Capitole de Toulouse spielt unter Leo Hussain einen wunderbar warmklingenden und deliziösen Saint-Saëns heraus. Judith van Wanroij und Mathias Vidal geben die beiden Protagonisten des Stücks so gut, dass man sich die Oper gleich mehrmals hintereinander anhören kann. Gleichsam als Bonus und als integraler Teil dieses bemerkenswerten Konzept-Albums hat Bru Zane der Einspielung die sechs orchestrierten Mélodies persanes, also die Persischen Lieder angehängt, die kurz vor der Komposition von Saint-Saëns‘ dritter, aber zuerst aufgeführter Oper entstanden. Es handelt sich um sechs lyrische Perlen, die den Meister verraten, oder richtiger: nicht verraten, sondern ans Licht bringen – und eine Produktion abrunden, die nach den vier anderen Editionen innerhalb der außergewöhnlich gut gemachten Reihe unser Bild vom großen französischen Komponisten exzellent abrunden.

Frank Piontek, 10. Januar 2023


Camille Saint-Saëns: „La Princesse Jaune“

Palazetto Bru Zane, Nr. 29