DVDs: Fünfmal „Rusalka“, Antonín Dvořák

Von der Angst des Regietheaters vor einem Märchen

Rusalka im Mädcheninternat

Dass die Pubertät eine schwere Belastung ist, und die erste Liebe oft schief geht, das ist ja allen bekannt. Pountneys kühle Regie lässt aus diesen Seelendramen einen surrealistischen Reigen kühler Bilder im Schlafsaal eines Mädchenpensionats entstehen. Mit gefesselten Beinen singt Eilene Hannan auf der Schaukel bewundernswert professionell ihr Mond Lied. Dann kommt ein alter Herr im Rollstuhl (Rodney Maccan) und ermahnt mit dröhnender Bassgewalt, wohl nicht zu viel zu schaukeln.   Die Stiftsvorsteherin alias Hexe entfacht kurz einen kleinen Kulissenzauber. Und erst am Ende des ersten Akts kommt mit dem kraftstrotzenden John Treleaven als Prinz etwas Leben in die intellektuell überfrachtete Bude. So schwer tat man sich schon 1984 mit Märchen. Doch leider plätschert auch die Musik unter Mark Elder etwas sehr distanziert dahin. Zumal auch noch in Englisch gesungen wird, was doch recht eigenartig klingt. Siegmund Freuds Theorien im Opernhaus mit kühler Distanz zu visualisieren und dazu Dvořáks Melodienzauber zu hören: Für den rein intellektuellen Operngenuss ist das zweifellos eine höchst interessante Bildvorlage.

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Rusalka im Pornofolterkeller

Was diese verfremdete Einspielung, trotz allem doch interessant macht, ist die unglaublich intensive Rollenidentifikation von Christine Opolais in der Titelrolle. Vergleicht man nur mal das Psychodrama, das sie aus dem nun wirklich abgelutschten „Lied an den Mond“ macht, mit der verzuckerten Interpretation von Anna Netrebko, dann begreift man, zu welch ungeheurer Bandbreite Oper in der Lage ist. Ansonsten aber hat das alles mit Dvořáks Oper nichts gemeinsam. Denn zu dessen spätromantisch wunderbarer Musik missbraucht hier nicht nur ein Perverser Kinder im feuchten Keller, sondern die Regie gleich die ganze Oper. Und das ist technisch auch noch schrecklich perfekt umgesetzt. Günther Groissböck spielt eklig überzeugend den Kinderschänder und orgelt dazu seine herrlichen Gesänge als Wassermann/Pornograph. Und sogar Klaus Florian Voigts sonderbarer Tenor passt bestens zum unentschlossenen Wesen des Prinzen oder was er hier auch sein mag. Die der Musik aufgepfropfte Schreckenshandlung verfehlt also ihren furchtbaren Eindruck keineswegs. Wer dickfellig genug ist, dass es ihm vor nichts mehr graust, der mag sich das meinetwegen ansehen. Der alte Dvořák aber, der sich ja nicht mehr wehren kann, rotiert bestimmt in seinem Ehrengrab in Prag.

Rusalka auf der Reeperbahn nachts um halb eins

Endlich mal eine moderne Inszenierung, die das Werk zwar durchaus kritisch hinterfragt, aber dennoch auch romantisch-märchenhaften Züge nicht ausgespart und ganz unmodern Gefühle wagt. Zunächst verblüfft zwar die Verortung der Story im Rotlichtmilieu, das aber, wann immer erforderlich, sich sogar mit dem nötigen Kulissenzauber zum fantasievollen Zauberland verwandelt. Eine spannende Personenführung ist bei Stefan Herheim ebenso selbstverständlich wie die notengenaue Verbindung der Regie mit der musikalischen Aussage. Kein Wunder, ist er ja gelernter Musiker. Allerdings würde ich diese Inszenierung nicht unbedingt Neulingen empfehlen. Denn wer Dvořáks Oper nicht ganz genau kennt, der dürfte schnell in der verrätselten Bilderflut ertrinken. Adam Fischer als großartiger Dirigent sorgt für musikalische Spannung und die Sänger lassen keine Wünsche offen: Myrto Papatanasu als auch optisch sensibel – zarte Rusalka mit ätherischen Pianotönen und Pavel Cernon als lyrisch heller Prinz. Willard White gestaltet den Wassermann als märchenhaften Drahtzieher darstellerisch großartig. Nur begreife ich nicht, warum er dauernd in Schlafanzug herumlaufen muss. Insgesamt eine zwar verfremdende doch spannende Inszenierung, die bestimmt reichlich Stoff zum Nachdenken über ihre merkwürdige Logik bietet. Aber sie weist auch zauberhafte und wundervoll emotionale Momente auf.

Rusalka als Opernwunder aus Polen!

Weder kannte ich bislang eine Stadt namens Bydgoszcz, noch ahnte ich, dass es dort überhaupt ein Opernhaus gibt. Mit recht gespannten Erwartungen sah ich deshalb dieser Aufnahme entgegen und erlebte eine Riesenüberraschung: eine Einspielung, die sich vor allen anderen nicht zu verstecken braucht. Denn auch die Hauptsolisten können sich hören lassen. Magdalena Polkowska als Rusalka etwa, die mit ihrer jugendlich-begeisterten Rollenidentifikation völlig überzeugt. Tadeusz Szlenkiers  gibt dem verkrampft-kühlen Prinzen sein ganz besonderes stimmliches Niveau. Das Orchester unter Maciej Figas hält bis zum Schluss mit großer Einsatzfreude durch. Endgültig begeistert hat mich aber dann die Inszenierung von Kristina Wuss: ohne die üblichen Mätzchen des Regietheaters erzählt sie genau die Geschichte, die Dvořák vertont hat und ist dabei keineswegs nur steril werkgerecht. Denn die psychologisch durchdachten Ausschmückungen zeigen immer wieder ihre sehr persönliche Handschrift. Dazu ließ sich Mariusz Napierala ein romantisch zauberhaftes Bühnenbild einfallen, das die Handlung noch verdeutlicht. Eine alte Brücke verbindet nämlich   sehr sinnvoll das Ufer der Menschenwelt mit dem der Wassergeister. Dahinter ein Nachthimmel von solch poetischer Schönheit, dass diese Optik schon alleine diese Aufzeichnung rechtfertigt. Zumal das Bühnenbild eben nicht (wie zum Beispiel bei Otto Schenk) in geschönter Einheitsstarre verharrt, sondern sich dauernd den jeweiligen Handlungssträngen anpasst, und zwar ebenso poesievoll wie erhellend. Dabei schreckt man auch nicht vor wirksamen Bühnengags zurück, so, wenn Rusalka von der hohen Brücke ins Wasser springt. Wie das technisch derart perfekt gemacht wird, habe ich immer noch nicht enträtselt. Jeder Regisseur von Tosca sollte sich das mal ansehen. Ein extra BRAVO auf die mir jetzt nicht mehr unbekannte Oper von Bydgoszcz!

P.S. Schon allein zur Unterstützung einer so kleinen rührigen Firma wie DUX/Euroarts und damit sie neben den üblichen Giganten nicht untergeht, müssen wir den Opernfreunden diese wunderbare DVD ans Herz legen. Die 22 Euro sind bestens angelegt. Ein werktreuer Märchengenuss – ein Meilenstein.

Mit Rusalka im Opern-Märchenland

Bei den Namen Otto Schenk und Schneider-Siemssen weiß jeder erfahrene Opernfreund sofort, was die Inszenierung bringen wird: ausgefeilte, konservative Gestaltung durch zwei Opernvollprofis. Und das vor schönen Bühnenbildern, die genau zur Musik passen. Irgendwelche modernen Verfremdungen oder gar Neuinterpretationen werden dabei gar nicht erst gewagt. Wenn dann aber die musikalische Darbietung so entwaffnend perfekt geschieht, wie hier an der MET, unter dem wirklich genialen Dirigat von Yannick Nezet-Seguin, sind die erträumten Opernwonnen garantiert. Zumal ja auch noch ein Traumensemble zur Verfügung steht: denn Renee Fleming als „Rusalka vom Dienst“ und Piotr Beczala, als märchenhaft singender Märchenprinz, sind einfach nicht mehr zu toppen. Alle anderen fallen in der Leistung keineswegs ab: insbesondere Emily Magee macht aus ihrer Rolle, der Fremden Prinzessin, eine ausgefeilte Charakterstudie und John Relyea orgelt seinen Wassermann wie es sich halt gehört. Wer aber ein Märchen pur auf der Opernbühne nicht erträgt, und etwas mehr Pfeffer will, der hat ja gleich drei modernere Auffassungen zur Auswahl, siehe oben.

Fazit:

Diesmal ist‘s komplizierter: Wer noch Märchen pur aushält, wird mit der brav-traditionellen Aufnahme bei Decca unter Schenk sehr glücklich sein (Nr. 5). Die verblüffend gekonnte Aufnahme bei DUX (Nr. 4) empfehle ich allen, die sich mal überzeugen wollen, dass auch kleinere Theater mithalten können, also kauft die DVD aus, na wie heißt der Ort, ja aus Bydgoszcz! Wer fantastisches Regietheater erwartet, der wird die Aufnahme von Herheim aus dem LaMonnaie (Nr. 3) wählen. Alle für Märchen inzwischen zu verkopften Regietheaterfans finden sicher die kühl intellektuelle Aufnahme aus der ENO (Nr. 1) besonders „cool“. Und wer wirklich viel vertragen kann, ja der wird zweifellos die schon richtig schmerzhafte Verfremdung aus München kennen lernen wollen. (Nr. 2). Dvořák würde sich darüber aber kaum freuen.

Peter Klier, 15. Mai 2023