Sechsmal schöne Gewinne und dreimal Nieten
Defa -Film, 1964: „ Eine fesselnde Opernkostbarkeit aus dem Filmmuseum“
Durch Zufall entdeckte ich diese Kostbarkeit von 1964. Ihr besonderer Reiz liegt im hochmodernen Konzept des auch heute noch bekannten Regisseurs Joachim Herz. Da träumt Senta nämlich das ganze Geschehen nur. Man sieht: alles schon mal dagewesen! Und es geht um die Befreiung Sentas aus den beengenden bürgerlichen Konventionen. Da fielen mir nun sofort recht verdächtige Parallelen ein, und zwar zu Harry Kupfers berühmtem Holländer in Bayreuth, 22 Jahre später! Sind die ein reiner Zufall? Oder hat einer da ein Konzept tüchtig „abgekupfert“? Ein besonders überzeugendes Stilmittel ist dagegen, dass in Schwarzweiß gedreht wurde. Das gibt der recht düsteren Geschichte ganz neue und tiefe Dimensionen. Wunderbare Kamerafahrten führen in romantisch zauberhafte Stimmungen, durch Kirchenruinen und Traumlandschaften, wie sie auf der Opernbühne kaum machbar wären. Das alles ist auch künstlerisch anspruchsvoll. Deshalb ist dem Label „Icestorm Entertainment“ für diese Ausgrabung sehr zu danken. Denn sie ist nicht nur für Nostalgiker hoch interessant, sondern auch im besten Sinn überraschend modern. Gesungen wird durchwegs sehr anspruchsvoll, mit allerdings für unsere Hörgewohnheiten erstaunlich lyrischen Stimmen aus dem renommierten Ensemble der Leipziger Oper unter dem sehr kompetenten Dirigenten Rolf Reuter. Da auch technisch und akustisch kaum Mängel zu bemerken sind und die DVD für wirklich wenig Geld zu haben ist, empfehle ich jedem Opernfreund aufs dringlichste, sich dieses Erlebnis nicht entgehen zu lassen!
München, 1974: „Eine lohnende Opernnostalgie – in echtem Wasser!“
Solche Verfilmungen waren damals sehr „in“ und lockten auch echte Opernmuffel ins Kino. In ihrem braven Realismus hatten sie schon etwas sehr rührend Naives an sich. Die Szene rückt da manchmal recht bieder in Lortzingnähe. Dafür spritzen die Wellen hoch über die armen Sänger und ein wahrhaftiges Holländerschiff rauscht mit blutrotem Segel herein, wie es sich gehört. Musikalisch ist unter Sawallisch wieder alles vom Feinsten. Donald Mac Intyre ist eine bis heute singuläre Traumbesetzung des Holländers, Hermann Winklers ausdrucksstarker Tenor scheute als bestens frisierter Erik keinen Höhenflug, Catarina Ligendza als liebliches Blondchen strahlt mit großartigen Höhen und lässt mit ihrem Sprung vom Pappmachefelsen ins echte Wasser nicht die geringsten Zweifel an ihrem unbedingten Erlösungswillen. Bengt Rundgren, Harald Ek und Ruth Hesse erfüllen ihre Rollen wie immer großartig. Es lohnt sich noch, Opas Oper mal anzusehen. Denn die schwer Regiegeschädigten unserer Zeit werden es nicht für möglich halten: Szene und Oper erzählten doch damals tatsächlich dieselbe Geschichte.
Bayreuth, 1986: „ Sentas Traum zerschellt am Dorfplatz“
Der DGG ist sehr zu danken, dass sie diese ehemalige Kultinszenierung auch über 30 Jahre später noch im Repertoire hat. Sie ist es wert, weil sie bis heute fast konkurrenzlos ist. Und zwar gleich dreifach: nämlich sowohl im zeitlos spannenden Konzept, wie in der technischen Realisierung der vielen Umbauten und in der musikalischen Darbietung. Kupfers Idee, die Handlung als Sentas Traum darzustellen schafft auch heutigen romantikfernen Realisten einen begreifbaren Zugang zu den romantischen Handlungsebenen. Leider weicht er am Schluss von seinem Konzept ab. Er lässt nämlich Senta nicht „zwecks Erlösung“ ins Wasser springen. Oh nein! Sie muss suizidal am Pflaster des Dorfplatzes zerschellen. Und die Spießer knallen demonstrativ ihre Fenster zu. Mit so viel westlicher Dekadenz wollen sie nichts zu tun haben. Dieser sozialkritische Schluss scheint mir ein Zugeständnis an seine Ideologie zu sein! Aber sonst: alle Achtung! Musikalisch dominiert Simon Estes als singuläres Holländerereignis. Bis heute unerreicht in Stimmgewalt und Ausdruckskraft. Lisbeth Balslev gestaltet die wahnhafte Senta mit geradezu schmerzhafter Eindringlichkeit. Sie allein wäre es schon wert, sich mit dieser Aufnahme auseinanderzusetzen. Daland und Erik finden in Matti Salminen und Robert Schunk stimmgewaltig eindrucksvolle Gestalter. Die Aufnahme ist in absolutes Muss und moderner als viele spätere Einspielungen.
München 1991: „Wunderschöne Opernlegende für staatlich geprüfte Romantiker!“
Am Markt ist sie nicht leicht aufzutreiben, diese im besten Sinn konservative Einspielung. In ihr bilden Bühne und Musik noch eine wunderbare sensible Einheit mit herrlichen Bühnenbildern des Malers Henning von Giercke, der auch die Regie führte. Zwar ist die Personenführung der große Schwachpunkt, dafür bleiben dem dankbaren Zuschauer aber auch alle albernen Regiemätzchen erspart. Es gibt also Wagner pur. Dafür sorgt auch schon Sawallisch, der damalige Holländerdirigent vom Dienst. Julia Varady ist eine mädchenhaft schöne Senta, die mit der ihr eigenen unglaublichen Intensität bald zur Legende wurde. Bis heute, als romantischer Held mit dunkler Heldenstimme, noch zu bewundern ist Robert Hale, und Peter Seiffert war mit dem Erik damals schon mehr als nur ein Heldentenorversprechen. Jakko Ryhänen Ulrich Ress und Anny Schlemm beweisen die damalige Qualität der Münchner Oper. Der herrliche Schluss mit der strahlenden Sonne, die aus dem Meer aufsteigt, bleibt jedem Romantiker unvergessen. Übrigens: die einzige Aufnahme mit der später nachkomponierten Schlussapotheose.
Madrid/Lyon 2016: „Atemberaubend bildgewaltig!“
Da habe ich mich aber wirklich sehr gefreut: endlich mal wieder tobt das Meer und ein Schiff ist auf der Bühne! Wenn’s auch nur ein rostiger Abwrackkahn ist. Aber dann begann schon die Verwirrung: der Holländer scheint im gleichen Schiff wie Daland zu reisen. Nanu??? Fährt der Schrecken aller Frommen mit seinem zukünftigen Schwiegersohn schon seit Ewigkeiten umher? Das Feuilleton jubelte wieder mal von „interessantem Ansatz“. Aber im 2. Akt kam es noch dicker: Norwegen liegt wohl in der Wüste? Und die wird als eine Art riesiger gelber Luftmatratze dargestellt. Auf ihr fällt allen das Gehen sichtlich schwer, und ich wartete immer ängstlich darauf, ob sie nicht gleich durcheinanderpurzeln, wie auf einem Riesentrampolin. So spannend kann modernes Regietheater sein. Die Spinnerinnen waren dann als bunte Orientalen verkleidet und ein lustiger Sonnenschirm machte das dramatische Geschehen gleich viel erträglicher. Erst zum Schluss wogte das Meer dann wieder atemberaubend hoch auf und schien außer dem Holländer auch gleich das ganz Theater zu verschlingen. Das war technisch brillant gekonnt und hier passte die Bühne endlich mal wieder zur Musik. Ein extra lautes Bravo für die Projektionen! Doch die Regie schießt wieder quer: denn die opferbereite Senta, versinkt nicht etwa in diesem herrlichen Meer, wie es sich gehört! Nein, sie begnügt sich, ihr Gesicht genau so weiß einzuschmieren, wie der Schrecken aller Frommen. Und schon ist er erlöst! Naja Wagner ist nicht umzubringen und musikalisch war es schon außerordentlich gut. Allen voran wiederum Angela Bremsberg, als derzeit wohl unerreichte Senta mit jubelnden Spitzentönen, die nicht glauben lassen, dass sie eigentlich vom Mazzon herkommt. Sie hält dem Vergleich mit meinen Erinnerungen an ehemalige Senta legenden ohne weiteres stand. Sehr interessant Nikolai Schuko als ebenso standsicherer wie enorm höhenstarker Erik und Benjamin Bruns als äußerst erfreulicher Steuermann. Kwangchoul Youn als erfahrener Wagnerkämpe mit balsamischem Stimmklang, bleibt seiner Rolle nichts schuldig. Sein Namensvetter dagegen zeigt uns wieder mal, wie schwer Wagner zu singen ist. Und dann ist er auch noch ausstaffiert wie ein in seine Farbe gefallener Tüncher. Vielleicht tut er Senta deshalb so leid, dass sie ihn unbedingt erlösen will? Facit: atemberaubende Bühnenbilder machen die Einspielung zum singulären Ereignis. Die Regie gibt sich alle Mühe, diesen guten Eindruck kaputt zu machen, um interessant zu sein.
TadW Wien, 2017/19: „Endlich die Urfassung – aber von Py statt Wagner!“
Der Naxos Gruppe wäre wirklich sehr zu danken, dass sie die Urfassung zum „Holländer“ von 1841 jetzt in technisch perfekter Aufnahme auch den DVD-Freunden zugänglich gemacht hat. Aber Olivier Py fasst die Oper leider nur als „Parabel über die Kunst“ auf. Dabei tönen doch aus jeder Note das Meer und die menschliche Not. Wieso die angebliche „Kunst“ aber dann in Bretterwänden angesiedelt wird, und alle Herren im grauen Anzug mit Weste, Krawatte und Hut, wie beim seligen Surrealisten Rene Magritte, einhergehen, bleibt wieder mal ein Rätsel des modischen Regietheaters. Trotzdem gebe ich aber gerne zu, dass mich die DVD gefangen nahm. Lag es an der großartigen Personenregie, der Neugier auf die Urfassung oder halt einfach wieder Mal am großen Zauberer Wagner? Viel trägt auch der Dirigent Marc Minkowski bei, mit den Originalinstrumenten klingt die Musik schärfer und härter, auch aufwühlender. Das geht natürlich auf Kosten des schönen romantischen Klangbildes. Ja und alles spielt in Schottland. Folgerichtig singt der Daland, der da Donald heißt auch „Gastfreundschaft kennt der Schotte“. Erik ist Georg. Senta sollte zunächst Anna und auch mal Minna heißen. Ja, und ihre Ballade ist in dieser Urfassung gleich einen ganzen Ton (!) höher, also in a-Moll. Ingela Brimberg, als der unbestrittene Star der Aufnahme, allerdings packt diese aberwitzige Höhe überwältigend souverän. Diese großartige Sängerin ist inzwischen so eine Art „Senta vom Dienst“, ich wüsste auch keine Bessere. So brilliert sie auch bei der Aufnahme aus Madrid von 2016. Bernhard Richter singt den verzweifelten Georg/Erik ebenso ausdrucksstark wie mutig. Lars Woldt gibt dem polternden Donald/Daland persönliches Profil, und Ann Solvang hebt die Mary gekonnt aus der Nebenrolle heraus. Samuel Youn ist inzwischen auf 3 Einspielungen als Holländer vertreten. Er verlegt sich notgedrungen oft aufs reine Charakterisieren, da er viele Phrasen stimmlich nicht anders packt. Ich glaube nicht, dass es heutzutage wirklich keinen besseren als ihn gibt, wenn es auch kein George London, Simon Estes oder Mac Intyre ist, die ich halt immer noch im Ohr habe.
Die letzten 3 Aufnahmen ärgern mich: denn man bekommt musikalische Darbietungen von Wagners Holländer zu hören und sieht Handlungen und Charaktere zu 3 ganz anderen neuen Opern. Nun hat aber Wagner jeden Charakter und jede Szene genau in seiner Partitur geschildert. Mich stört es gewaltig, wenn seine großartigen Musikschilderungen und die neu erdachten Handlungen der Regie derart schmerzhaft auseinanderklaffen!
Amsterdam, 2010: „Das Drama im Schwimmbad“
Immerhin hat der Regisseur Kusej begriffen, dass in der Oper Wasser vorkommt. Also sieht man einen Swimmingpool mit Badenixen. So flach geht es weiter, nicht die eigentliche Handlung wird geboten, sondern wirre Assoziationen der Regie, die sich, wenn man sie denn endlich enträtselt hat, als ebenso flach erweisen. Zum Schluss erschießt dann irgendjemand den Holländer und die Senta. Leider hat er den Regisseur vergessen! Mein Rat: Bild aus und nur zuhören, denn musikalisch ist es eine der besten Wiedergaben überhaupt. Der Star ist wieder mal Hartmut Hähnchen. Juha Uusitalo ist vom Stimmtyp her der ideale Holländer und Catharine Naglested eine interessante Senta. Und Marina Prudenskaja ist die reinste Luxusbesetzung für die Mary, aber Robert Lloyd als Daland zeigt doch schon Verschleißerscheinungen. Marco Jentsch singt sehr achtbar den Erik. Also: Augen zu und Ohren auf!
Bayreuth, 2013: „Senta und der Handelsreisende im Pappkarton!“
Wer hätte jemals geahnt, dass Digitalisierung und Turbokapitalismus die Ursache fürs Drama des Holländers sind? Man muss dem Regisseur Gloger sehr dafür danken, dass er uns diesen Zusammenhang aufzeigte. Allein wären wir doch nie darauf gekommen! Realisiert wird diese Welt, na wodurch? Na durch Pappschachteln, was sonst. Da denkt man doch auch gleich ans Meer. Der Holländer scheint eine Art Handelsvertreter für Ventilatoren zu sein. Drum singt er ja auch: „Ich bin der Schrecken aller Frommen!“ Ja wenn es noch als Parodie gedacht wäre wie Konwitschnys genialer Lohengrin. Nein, todernst wird der Unfug lahm realisiert. Da hat ein Jahrtausendgenie wie Wagner die tollsten szenischen Phantasien und ein Ignorant füllt die Bühne mit Pappschachteln als Bühnenbild, in denen ein offenbar verrücktes Weib herumwühlt. Und wieder muss die musikalische Darbietung den Abend retten. Obwohl Thielemann mir etwas zu viel Rücksicht auf seinen stimmschwachen und auch persönlichkeitsarmen Titelhelden zu nehmen scheint, so dass die nötige Gefühlswucht doch sehr gebremst daherkommt. Franz-Josef Seligs und Ricarda Merbeths Riesenstimmen haben diese Rücksicht natürlich nicht nötig. Und Senta hätte sicher statt des lahmen Holländers eher den herrlich singenden Erik Tomislav Muzek genommen. Benjamin Bruns wurde inzwischen zu einer Art Steuermann vom Dienst, was durchaus verständlich ist. Fazit: Gäbe es diese Aufnahme nicht, würde ich sie nicht vermissen.
Zürich, 2015: „ Die graue Büromaus und der wilde Zottelpelz!“
In einem altmodischen Kontor sitzen Buchhalter an ihren Tischen und singen: „Hisst die Segel! Anker fest!“ Obwohl weit und breit in dem Kontor kein Schiff zu sehen ist! Plötzlich steht dann ein dicker unrasierter Mann mit Zottelpelz und Zylinder da und behauptet, dass die Frist um ist. Das begeistert die graue Bürovorsteherin Senta so, dass sie ihn unbedingt erlösen will. Absurdes Theater? Nein, Andreas Homoki was here! Genug des Unfugs. Musikalisch ist die Aufnahme sehr interessant, obwohl gerade Bryn Terfel in der Titelrolle nicht so überzeugt. Eine wunderschöne Riesenstimme ertönt, aber sonst tut sich wenig. Vielleicht hat ihn sein Outfit so frustriert, Wunder wäre es keins. Überwältigend die Senta Anja Kampes wie in allen ihren Rollen! Packend intensiv Matti Salminen trotz der Stimmeinbußen, helltönend Marco Jentzsch in der undankbaren Rolle des Erik und eine Offenbarung Chor und Orchester unter Alain Altinoglu. Was für eine Freude für die glücklichen Ohren und was für ein Ärgernis für die armen Augen!
Peter Klier, 19. Mai 2023