Aufführung am 14. Januar 2019
Gürzenich-Orchester
Pablo Gonzáles (Leitung), Yeol Eum Son (Klavier), Jennifer Holloway (Sopran), Michael Nagy (Bariton)
Das Hauptwerk der jüngsten Gürzenich-Abo-Reihe war Alexander von Zemlinskys „Lyrische Symphonie“ auf Texte des bengalischen Dichters Rabindranath Tagore. Das ist schon deswegen hervorzuheben, weil die letzte Aufführung (Mai 2000) unter James Conlon stattfand, dem Chef des Klangkörpers (auch in der Oper) von 1989 bis 2003. Er entdeckte in seiner Kölner Zeit Zemlinsky eher zufällig, doch wurde bald daraus eine musikalische Liebesbeziehung. Viele Aufnahmen mit Zemlinskys Werken entstanden damals, von denen derzeit leider nur noch die Oper „Der Zwerg“ greifbar ist, welche Conlon später auch in Los Angeles herausbrachte (Aufführung auf DVD). Der Dirigent wird übrigens in dieser Spielzeit an das Gürzenich-Pult zurückkehren, freilich nicht mit Zemlinsky, sondern der siebten Sinfonie von Dmitri Schostakowitsch.
Die Widergabe der „Lyrischen Symphonie“ oblag jetzt dem Spanier Pablo Gonzáles . Mit seiner schlanken Gestalt und seiner vehementen, auf Exaktheit und Vielfalt des Ausdrucks zielenden Gestik wirkte er wie ein Feuergeist, Emotionen immer neu schürend. Im ersten Gedicht deckte er den Gesang des Baritons
Michael Nagy denn auch einige Male zu, aber die Glut der großorchestrierten Musik ist nun mal kaum zu bändigen. Eine Studioaufnahme mit akustisch steuernden Mikrophonen würde das sicher besser ausbalancieren können.
Die Texte, welche heute fraglos leicht angegilbt wirken, aber gerade deswegen auch einen besonderen nostalgischen Reiz besitzen, sind eine eigentümliche Mischung aus erotischer Extase und Leidenschaftsunterdrückung. Das Mädchen, welches im zweiten Lied einem geliebten, sie aber nicht beachtenden Prinzen ihr Geschmeide lockend vor die Füße wirft (es wird freilich von der Kutsche zermalmt), bewegt sich fast schon im Bereich des Wahnsinns. Der männliche Protagonist der weitgehend zäsurlosen Symphonie (es ist nicht der Prinz) strebt zuletzt auf ein „süßes“ Scheiden zu. „Laß es nicht ein Tod sein, sondern Vollendung.“ Das klingt nach Wagners „Tristan“, dessen harmonisch schillernde Musik von Zemlinsky aufgegriffen, aber in die aktuelle Zeit fortgeführt wird. Für die Zwölftontechnik seines späteren Schwagers Arnold Schönberg war er aber nicht zu haben, was sogar zum Bruch zwischen beiden Männern führte. Das Gürzenich-Orchester gab der Musik starke Impulse, bewährte sich im theatralischen Überschwang ebenso wie in der Intimität etwa des vierten Liedes, welches besonders stark von deinem ausgiebigen Violinsolo lebt.
Nicht erst hier fand Jennifer Holloway zu berückender Tonschönheit. Der Amerikanerin merkt man nicht an, daß sie ihre Karriere im Mezzofach begann, so unforciert bewältigte sie selbst extreme Höhen. Auch bei ihrem Bariton-Kollegen waren immer wieder Spitzentöne gefordert. Michael Nagy bot sie souverän, mit maskulinem Wohllaut. Bestechend dann wieder die subtilen Piani, speziell im finalen Lied. Die hochbeeindruckende Aufführung ließ den Wunsch aufkommen, in Köln auch mal wieder einer Oper von Zemlinsky zu begegnen.
Die vor der Pause gespielten Stücke hatten zu Zemlinsky und auch untereinander eigentlich keinerlei Beziehung. Verbindungslinien, wie im Programmheft („Das Konzert auf einen Blick“) herbei argumentiert, sind eher äußerlicher Art. Romantik und ihre Ausläufer wäre möglicherweise eine passendere Überschrift gewesen.
Den Auftakt des Abends bildete Robert Schumanns Ouvertüre zu „Genoveva“. Die einzige Oper des Komponisten hat sich im Theateralltag leider nicht durchsetzen können. Dabei läßt schon die Ouvertüre viele musikalische Schönheiten erkennen. Und wie bei seiner „Rheinischen“ Sinfonie und dem Konzertstück opus 86 jubeln die Hörner im Orchester unwiderstehlich. Unter der Leitung von Pablo Gonzáles wurde die Musik enthusiastisch ausgeformt
In die Mitte plaziert war Frédéric Chopins zweites Klavierkonzert (f-Moll, opus 21), ein Werk, bei welchem das Orchesters eine etwas sekundäre Rolle spielt, ungeachtet etlicher farbprägender Details wie den Fagott-Passagen im Larghetto. Gonzáles machte daraus so viel als möglich. Als Solistin erlebte man die junge Koreanerin Yeol Eum Son. Sie gab ihren Part mit klarer tonlicher Formulierung und brilliant im Anschlag, ohne auf vordergründige Virtuosität zu setzen. Die Diskantläufe im Finalsatz ließen dann aber ein leichtes erotisches Glitzern spüren. Gleichwohl: eine bei allem manuellen Drive angenehm disziplinierte Interpretation. Bei der zugegebenen „Chopiniata“ von Clément Doucet ließ die Pianistin freilich die Funken sprühen.
Foto (c) Philharmonis / Benjamin Ealovega
Christoph Zimmermann 17.1.2019