Jüngst hat das Label Naxos einen Livemitschnitt von Gian Carlo Menottis einaktiger, lediglich cirka fünfzigminütiger Oper Amahl and the Night Visitors, auf Deutsch Amahl und die nächtlichen Besucher, auf DVD herausgebracht. Diese Produktion des Theaters an der Wien wurde am 17. und 18. Dezember 2022 im Museumsquartier, Halle E aufgezeichnet. In dieser Oper geht es um das unter einem gelähmten Bein leidende Kind Amahl, das sich zu guter Letzt dazu entschließt, seine Krücke dem neugeborenen Jesus-Kind zu überbringen, und durch diese selbstlose Tat wie durch ein Wunder von seiner Krankheit geheilt wird. Vielleicht war es gerade dieses Thema, das Menotti, der als Kind selbst unter einem gelähmten Bein litt, dazu bestimmte, diesen Stoff für eine Oper zu verwenden. Das Libretto verfasste er selbst. Die Originalsprache ist Englisch. Gesungen wird indes leider in einer von Kurt Honolka verfassten deutschen Übersetzung. Das ist stilistisch problematisch. Man hätte das Werk in seiner ursprünglichen Diktion lassen sollen. Extra für Weihnachten geschrieben wurde der Amahl als Fernsehoper im Jahre 1951 in den New Yorker NBC-Studios erfolgreich aus der Taufe gehoben. Durch die Fernsehübertragung wurde die Oper schnell einem breiten Publikum bekannt und erfreute sich zunehmend allgemeiner Beliebtheit.
Auch Regisseur Stefan Herheim ist mit der Amahl-Oper seit seiner Kindheit vertraut. Zusammen mit seinem Bühnen- und Kostümbildner Sebastian Ellrich hat er die Handlung aus biblischer Zeit in die Gegenwart verlegt. Eine Krücke spielt in Herheims Inszenierung zwar auch eine Rolle, aber nur eine untergeordnete. Im Vordergrund steht die Krebserkrankung des glatzköpfigen Kindes Amahl. Demgemäß siedelt das Regieteam das Geschehen in einem Krankenzimmer auf der Kinderkrebsstation an, in der der kranke Knabe seiner verzweifelten Mutter die Hoffnung gibt, dass sie sich eines Tages wieder sehen werden. Er stirbt hier nämlich. Auf den ersten Blick mag dieser traurige Ausgang, den der Regisseur dem Stück entgegen der Intention des Komponisten angedeihen lässt, tragisch wirken. Dieser Regieeinfall geht indes voll auf. Das Ganze erweist sich als ausgesprochen stimmig und vermag sicher auch Kinder anzusprechen.
Während die Mutter öfters mal einschläft, sind insbesondere ein Arzt, ein Krankenpfleger und ein Priester mit der Pflege des kleinen Amahl befasst. Sie mutieren in der Phantasie des Kindes zu den heiligen drei Königen, die dem Stern von Bethlehem folgen, um dem neugeborenen Jesus-Kind ihre Geschenke zu bringen. Sie sorgen auch für so manche heitere Einlage, wenn sie, alt geworden, auf ihre jungen Alter Egos treffen. Immer wieder fahren die Wände des Krankenzimmers auseinander und geht die Decke in die Höhe. Sichtbar wird der nächtliche Sternenhimmel, an dem der bereits erwähnte Stern von Bethlehem prangt. Eine Schar von ebenfalls dem Krebs erlegenen, mit Flügeln ausgestatteten Engelskindern schreitet über eine Himmelstreppe zur Erde nieder. Darüber hinaus versucht eine Anzahl Tänzer Amahl von seiner tristen Lage abzulenken. Eine Tänzerin händigt ihm zu Beginn eine Flöte aus. Diese tanzenden Gestalten schlüpfen zudem in die Rolle der Eltern der Engelskinder. Diese ansprechende Szene ist ein hoch emotionaler Moment und der Höhepunkt von Herheims gelungener Regiearbeit. Diese weist durch Einbeziehung des Zuschauerraumes, der über eine zu einem Steg führenden Brücke über den Orchestergraben erreicht werden kann, auch ein treffliches Brecht‘ sches Element auf. Am Ende erklimmt Amahl zusammen mit den heiligen drei Königen die zu dem Stern von Bethlehem führende Himmelstreppe, während ein Kinderstatist als Amahl in seinem Krankenhausbett das Zeitliche segnet. Er stirbt friedlich. Trotz dieses traurigen Endes kann man sich der großen emotionalen Wirkung von Herheims Interpretation nicht entziehen. Sie ist modern, gleichzeitig aber auch durchaus kindgerecht.
Überzeugend sind die gesanglichen Leistungen. Tempu Ishijima, ein Wiener Sängerknabe, verleiht dem Amahl mit leichtem Knabensopran und intensivem Spiel ein ansprechendes Profil. Eine prägnant und intensiv singende Mutter ist Dshamilja Kaiser. Auch schauspielerisch erbringt sie eine ansprechende Leistung. Paul Schweinester singt mit solide im Körper verankertem Tenor den König Kaspar. Gut gefällt der voll und rund klingende Bass-Bariton Nikolay Borchev in der Rolle des König Melchior. Dem König Balthazar drückt Wilhelm Schwinghammer mit imposantem Bass einen prachtvollen Stempel auf. Der von Erwin Ortner einstudierte Arnold Schoenberg Chor macht seine Sache gut. Toll wirken die hier aufgebotenen Tänzer sowie die Schüler der Musikschule Liesling als Engelskinder.
Magnus Loddgard ist den Sängern ein umsichtiger Begleiter. Zusammen mit den trefflich disponierten Wiener Symphonikern erzeugt er einen ungemein emotionalen, fast schon sentimentalen Klangteppich, der sich zudem durch eine vorbildliche Transparenz auszeichnet.
Ludwig Steinbach 1. Dezember 2023
DVD: „Amahl an the Night Visitors“
Gian Carlo Menotti
Theater an der Wien im Museumsquartier, Halle E
Inszenierung: Stefan Herheim
Musikalische Leitung: Magnus Loddgard
Wiener Symphoniker
Naxos
Best.Nr.: 2.110763
1 DVD