Einen aus mehreren Aufführungen der Oper Frankfurt vom Dezember 2021 und Januar 2022 zusammengesetzten Live-Mitschnitt stellt die vorliegende DVD-Veröffentlichung von Nikolai Rimsky-Korsakovs Oper Christmas Eve, zu Deutsch Die Nacht vor Weihnachten, dar. Sie beruht auf einer Geschichte von Nikolai W. Gorgol. Die Uraufführung der Oper, für die der Komponist selbst das Libretto verfasste, erfolgte im Jahre 1895. In Russland gehörte sie zu den selten gespielten Opern Rimsky-Korsakovs. Die erste Aufführung in Deutschland erfolgte im Jahre 1940 unter dem Titel Sonnwendnacht. Dort blieb sie einige Jahre auf dem Spielplan, wurde aber zu Beginn des Russlandfeldzuges wieder abgesetzt. Nach Ende des Krieges führte das Werk auf den deutschen Bühnen eher ein Schattendasein und geriet in Vergessenheit. Es erfolgreich aus der Versenkung geholt zu haben, ist das Verdienst der Oper Frankfurt. Und dem Label Naxos ist großer Dank dafür auszusprechen, dass es diese absolute Rarität jetzt auf DVD gebannt hat.
Zuerst einige kurze Worte zum Inhalt dieser weitgehend unbekannten Oper: Die Geschichte spielt sich am Vorabend der Weihnachtsnacht im ukrainischen Dorf Dikanka ab. Der Schmied Vakula liebt Oksana, wird aber von ihr abgewiesen. Bei einem Weihnachtssingen fordert sie ihn auf, ihr ebensolche Schuhe zu schenken wie sie die Zarin trage. Dann würde sie seine Frau werden. Vakula willigt ein. Zusammen mit dem Teufel, den er sich gefügig macht, begibt er sich an den Hof der Zarin. Dort gelingt es ihm, ihre Gunst zu erwerben und sie zu überreden, ihm ein Paar ihrer Schuhe für Oksana zu schenken. Mit dieser großzügigen Gabe der Herrscherin tritt Vakula den Rückweg nach Dikanka an. Dort hat sich Oksana inzwischen große Vorwürfe gemacht und schwebt in Angst, dass sich Vakula etwas angetan haben könnte. Als er hereintritt und ihr die Schuhe übergibt, eröffnet sie ihm überaus erleichtert, dass sie ihn auch ohne diese großzügige Gabe geheiratet hätte. Das Ende sieht ein glückliches Paar. Über seine Reise erzählt Vakula nichts, verweist aber auf einen phantastischen Dichter, der eines Tages eine Geschichte über diese tolle Nacht vor Weihnachten schreiben wird.
Es ist eine recht hübsch anzuhörende, einfach gestrickte Geschichte, die hier erzählt wird. Auf eindringliche Art und Weise werden hier christliche und heidnische Elemente miteinander vermischt. Trefflich erschließen sich dem Zuschauer die Sitten und Gebräuche rund um die Wintersonnenwende. Und das Wirken der Hexe Solokha und des Teufels sowie Vakulas Pakt mit letzterem bleiben letzten Endes ohne schlimme Folgen. Diese Fakten machen den großen Reiz der Handlung aus, die Regisseur Christof Loy in Zusammenarbeit mit Johannes Leiacker (Bühnenbild) und Ursula Renzenbrink (Kostüme) in sehr gefälliger Art und Weise auf die Bühne der Frankfurter Oper gebracht hat.
Das Ganze spielt sich in einer Art Kachelraum ab. Auf den Hintergrund wird das Weltall mit all seinen Sternen und Planeten projiziert. Der stets auf der linken Seite der Bühne hereinragende Mond stellt dabei einen Fixpunkt im Universum dar. Die kosmischen Dimensionen der Inszenierung sind mannigfaltiger Natur. Die Bühne stellt rein farblich gleichsam ein Negativ des Weltalls dar. Die gelungenen Kostüme sind zeitlos. Daraus ergibt sich, dass das Regieteam die Geschichte in keiner konkreten Epoche verankert. Eine Ausnahme stellt die einen ästhetischen Bruch darstellende Szene am Hof der in sinnliches Rot gekleideten Zarin dar, die in das Zeitalter Katharinas der Großen verlegt wird und in der historische Kostüme den Ton angeben. Dieses Bild deutet der Regisseur gekonnt als Zeitreise. Die Schwerkraft scheint hier des Öfteren aufgehoben zu sein. Der Teufel läuft einmal schräg an einem Schrank hinunter und es gibt zahlreiche beeindruckende Flugeinlagen. Komödiantische Elemente kommen ebenfalls nicht zu kurz. So beispielsweise, wenn Solokha ihre Verehrer nacheinander in Säcken versteckt, die sie aus dem bereits erwähnten Schrank hervorholt. Auch aus den Säcken heraus gefallen sich die Liebhaber in munterem Agieren. Das fällt ihnen indes nicht allzu schwer, denn in diesen Säcken gibt es Löcher, durch die sie ihre Köpfe hindurchstecken können. Komisch wirkt auch der sehr dicke und mit einem riesigen Wasserkopf versehene Patsyuk. Stark für sich einnehmen tun die choreographischen Einlagen, die im regen Zusammenhang mit den Frühlingsgöttern Kolyada und Ovsen stehen. Die Liebesverbindung dieser beiden Gottheiten interpretiert Loy als Parallelhandlung zu der Geschichte von Vakula und Oksana. Er sieht die Göttin als eine auf der Erde verhaftete Jungfrau, der es nicht gelingt, einen Mann zu finden. Dann aber trifft sie auf Ovsen, und ihr Problem ist behoben. Ihre Vereinigung ist quasi die Voraussetzung dafür, dass auch Vakula und Oksana schließlich zusammenkommen können. Deren unschuldige Erotik schafft inmitten der anderen Arten von sexueller Lust, die hier eine Rolle spielen, einen versöhnenden Ausgleich. Im letzten Akt erscheint schließlich zeitgemäß ein Weihnachtsbaum auf der Bühne. Eine am nächtlichen Himmel auftauchende Sternschnuppe fordert die Beteiligten auf, sich still etwas zu wünschen. Am Ende wird ein Bild des Dichters Gogol gezeigt. Er ist der von Vakula angekündigte Dichter, der über die Nacht von Weihnachten schreiben wird. Das ist alles sehr überzeugend. Hier ist Loy eine famose, stark für sich einnehmende Inszenierung gelungen.
Auch die musikalische Ausbeute von Rimsky-Korsakovs Partitur ist enorm. Im Zentrum der Oper stehen die Koljadki-Gesänge. Hier werden geschickt die Eigenarten der russischen Volksmusik mit Kontrapunkttechniken und homophoner Satzweise der Kunstmusik verbunden. Ferner spielt die ukrainische Volksmusik eine große Rolle. Es ist eine aufblühende, klangfarbenreiche und aufwühlende Musik, die Rimsky-Korsakov hier geschrieben hat und die bei GMD Sebastian Weigle und dem hoch motiviert spielenden Frankfurter Opern- und Museumsorchester in besten Händen ist. Gut verstehen es Dirigent und Musiker, den Zuhörer in einen regelrechten Klangrausch zu versetzen. Weigles Herangehensweise an das Stück ist von großer Eleganz, enormem musikalischem Impetus und großer Spannung geprägt.
Von den Sängern ist an erster Stelle Julia Muzychenko hervorzuheben, die mit bestens fokussiertem, weich und geschmeidig sowie sehr emotional klingendem Sopran eine hervorragende Oksana singt. Als Vakula ist mit ebenmäßig geführtem, elegant dahinfliessendem lyrischem Tenor Georgy Vasiliev zu erleben. Weniger überzeugend ist sein stark in der Maske singender Stimmfachkollege Andrei Popov in der Rolle des Teufels. Dem Diakon von Peter Marsh fehlt es ebenfalls an der nötigen Körperstütze seines flachen Tenors. Eine robuste, sehr imposant intonierende Solokha ist Enkelejda Shkoza. Die Mezzosopranistin gibt auch die Frau mit der violetten Nase. Als Frau mit einer normalen Nase gefällt die tadellos singende Barbara Zechmeister. Trefflich geeignet für den Chub ist das profunde Bass-Material von Alexey Tikhomirov. Anthony Robin Schneider singt mit markantem Bass den Panas. Von Thomas Faulkners voll und rund klingendem Patsyuk hätte man gerne mehr gehört. Der Bürgermeister und Tsarina sind bei Sebastian Geyer und Bianca Andrew in bewährten Händen. Aus den zahlreichen in dieser Produktion eingesetzten Mitgliedern des Tanzensembles ragen Ayelet Polne (Kolyada) und Gorka Culebras (Ovsen) heraus. Mächtig legt sich der von Tilman Michael einstudierte Chor der Oper Frankfurt ins Zeug.
Fazit: Trotz einiger kleiner Mängel bei den gesanglichen Leistungen stellt diese sehr zu empfehlende DVD einen heißen Tipp für die Weihnachtszeit dar. Die Anschaffung lohnt sich!
Ludwig Steinbach, 10. November 2022
Erste Besprechung
Nikolay Rimsky-Korsakov: Die Nacht vor Weihnachten)
Oper Frankfurt 2021/22
Musikalische Leitung: Sebastian Weigle
Frankfurter Opern- und Museumsorchester
Inszenierung: Christof Loy
Naxos 2022, Best.Nr.: 2.110738