Um eine Live-Aufnahme aus dem Nationaltheater München handelt es sich bei dieser Fledermaus, die bei dem hauseigenen Label der Bayerischen Staatsoper auf DVD erschienen ist. Rein von der Inszenierung her haben wir es hier mit einer hochkarätigen Angelegenheit zu tun. Regisseur Barrie Kosky, dem Rebecca Ringst (Bühnenbild) und Klaus Bruns (Kostüme) zur Seite stehen, ist voll in seinem Element. Seine Herangehensweise an Strauß‘ Meisteroperette ist von Tempo, Witz, Esprit und Elan geprägt, was eine ziemlich kurzweilige Aufführung ergibt. Dazu haben auch die von Otto Pichler choreographierten tänzerischen Einlagen einen erheblichen Anteil. Insgesamt ist Koskys Personenregie sehr stringent, flüssig und abwechslungsreich, aber das war ja schon immer eine große Stärke von ihm.
Auch konzeptionell kann man mit Kosky vollauf zufrieden sein. Nach seinem Bekunden im Booklet kommt es ihm nicht darauf an, die Fledermaus naturalistisch ins Heute zu versetzen und mit einer reinen Aktualisierung aufzuwarten. Vielmehr laufen in seiner Interpretation verschiedene Stile zusammen. Seine unterhaltsame Inszenierung ist eine Gratwanderung, die unterschiedlichen Deutungsmustern Rechnung trägt. Der erste Akt spielt sich am Judenplatz des Ersten Wiener Bezirks ab. Mit dieser Verortung gibt Kosky wohl einen Hinweis auf seine eigene jüdische Herkunft. Eine Fassade von beweglichen Häuserwänden und ein riesiges Bett prägen den Bühnenraum. Drinnen und Draußen vermischen sich miteinander. Fulminant geht es bereits während der ausinszenierten Ouvertüre zu, in der Eisenstein einen Alptraum erleidet, in dem er von einer ganzen Anzahl famos tanzender Fledermäuse aus dem Schlaf gerissen und gehörig malträtiert wird. Auslöser dieses nicht gerade angenehmen Traums ist offensichtlich Eisensteins schlechtes Gewissen. Sein Inneres ist im Aufruhr. Es tut ihm doch irgendwie leid, dass er seinem Freund Dr. Falke einen derartig schlimmen Streich gespielt hat. Hier findet nach Kosky eine Ehrung der Traditionen, gleichzeitig aber auch ihre Brechung statt.
Der Walzer erscheint hier als Politikum. Damit bezweckt der Regisseur, wie er im Booklet betont, ein Ausbrechen aus dem gesellschaftlichen Korsett. Auf dem Ball des Prinzen Orlowski, der als Drag-Queen erscheint, geht es ausgesprochen bunt und farbenfroh zu. Die opulenten Kostüme sind wahrlich eine Augenweide. Insbesondere Federboas werden hier geradezu überstrapaziert. Auch Genderklischees sind in diesem Akt reichhaltig vertreten.
Im dritten Akt macht Kosky aus einem Frosch gleich sechs. Einer davon führt einen geradezu atemberaubenden Stepp-Tanz auf. Sämtlichen Sliwowitz-Blödeleien erteilt der Regisseur eine Absage, ohne aber der Komik irgendetwas schuldig zu bleiben. Erheiternd wirkt in diesem Akt insbesondere der Auftritt des fast nackten, nur mit Pumps und Glitzer-Strip bekleideten Gefängnisdirektors Frank. Ursprünglich glatzköfpig, gönnt Kosky ihm insbesondere im zweiten Akt eine ausgesprochen unansehnliche, strähnige Perücke. Eisenstein zeigt sich im dritten Akt ebenfalls nur leicht bekleidet. Er trägt lediglich seine Unterwäsche, bevor er in der Kleidung Dr. Blinds Rosalinde und den hier als Tennislehrer gedeuteten Alfred mit seiner wütenden Eifersucht gehörig irritiert. Am Ende sind zahlreiche Champagnerflaschen auf dem Bühnenboden verteilt, die ihrer Ehrung durch die Handlungsträger harren. Froh über den guten Ausgang des Geschehens fallen sich Eisenstein und Rosalinde in die Arme.
Die von Dirigent Vladimir Jurowski angeschlagenen Tempi sind schon sehr eigen. Manchmal zerdehnt er sie regelrecht, an anderer Stelle scheint er mit dem gut disponierten Bayerischen Staatsorchester geradezu davon zu laufen. Indes sind seine Tempi an jeder Stelle erfüllt. Und das Spritzige von Strauß‘ Partitur wird ebenfalls vorbildlich gepflegt.
Bei den Sängern sind die Damen den Herren eindeutig überlegen. Diana Damrau ist eine ausgelassen spielende und mit ihrem gut sitzenden, silbern schimmernden Sopran auch gesanglich ansprechende Rosalinde. Weit entfernt von jeder soubrettenhaften Leichtigkeit singt Katharina Konradi die Adele. Hier haben wir es mit einem voll und rund klingenden, echten lyrischen Sopran zu tun, von dem man in Zukunft wohl noch einiges erwarten kann. Miriam Neumaier ist eine vokal unauffällige Ida. Die Männer sind dagegen größtenteils enttäuschend. Georg Nigl spielt den Eisenstein zwar ungemein aufgedreht, fetzig und intensiv, kann mit seinem eher flachen Bariton aber nicht sehr überzeugen. Auch der Dr. Falke von Markus Brück könnte besser im Körper singen, ebenso wie der Alfred von Sean Panikkar, dessen Tenor in gleicher Weise dünn und ausgesprochen maskig klingt. Nicht gerade zu gefallen vermag Andrew Watts‘ in der Höhe etwas schrill klingender Countertenor in der Partie des Prinzen Orlowsky. Zudem transponiert er in seinem Couplet einige Male das hohe as einfach um eine Oktave nach unten, was nicht sein sollte. Da gefällt Martin Winkler, der dem Gefängnisdirektor Frank mit robustem Bass treffliche stimmliche Konturen zu geben vermag, schon besser. Solide mutet Kevin Conners in der kleinen Rolle des Dr. Blind an. Als die sechs Frösche sind Max Pollak, Franz Josef Strohmeier, Danilo Brunetti, Giovanni Corrado, Deniz Doru und Oliver Petriglieri zu erleben. Mächtig ins Zeug legt sich der von Christoph Heil einstudierte Bayerische Staatsopernchor.
Ludwig Steinbach, 20. September 2024
DVD: Die Fledermaus
Johann Strauss
Inszenierung: Barrie Kosky
Musikalische Leitung: Vladimir Jurowski
Bayerisches Staatsorchester
Bayerische Staatsoper Recordings
Best.Nr.: LC 96744
2 DVDs