Bergamo: „Festival Donizetti“

Don Pasquale

Leider hat in dieser Produktion das Regietheater mit voller Wucht zugeschlagen, denn die (auch im Wiener Sprechtheater berüchtigte) Regisseurin Amélie Niermeyer hatte sichtlich mit Gaetano Donizettis genialer opera buffa, Vollendung und Abschluss des Genres vom senilen Alten, der eine junge Frau heiraten will, vor, die Story nicht nur falsch zu erzählen, sondern auch völlig zu diskreditieren.

© Gianfranco Rota

So sehen wir einen Mann in den besten Jahren, der gelangweilt am Pool vor seiner Riesenvilla sitzt und sich vom Personal bedienen lässt. So eine Figur könnte sich natürlich jederzeit eine Jüngere angeln, ohne auf die Intrigen von Freund Malatesta angewiesen zu sein. Dazu die vollkommen verzeichnete Figur der Norina, keine „arme, aber ehrsame Witwe“, sondern ein ziemlich ordinäres Flittchen, das am Schluss der Oper, wenn sie endlich ihren geliebten Ernesto kriegt, kurzerhand abhaut, denn laut Frau Niermeyer ist sie ja eine emanzipierte Frau, was den Inhalt noch mehr ad absurdum führt. Die Norina für ihren Abgang zur Verfügung stehende Rostlaube hat natürlich schon während der Ouverture ihren Auftritt, wo man das mit einem Unbekannten streitende Mädchen sieht, dessen Hab und Gut sich wie bei Clochards im Auto aufgestapelt findet. Nach der Erwähnung des als queere Show inszenierten Dienerchors erspare man mir das Eingehen auf weitere Unsinnigkeiten und Haesslichkeiten dieser total misslungenen, unsinnigen Regie (Bühne und Kostüme: Maria-Alice Bahra). Schade um die von Roger Parker und Gabriele Dotto für Ricordi erarbeitete kritische Ausgabe (wie zu erfahren war, musste sogar das herausgebende Komitee einschreiten, weil Niermeyer oft gesungene Abschnitte durch gesprochene ersetzen wollte!).

© Gianfranco Rota

Der 34-jährige Mexikaner Ivan Lopez-Reynoso leitete das Orchestra Donizetti Opera mit korrekten, wenn auch nicht überwältigend animierenden Tempi und, vor allem zu Beginn, mit Hang zu einer gewissen Lautstärke. Die Titelrolle interpretierte Roberto de Candia mit gut gestütztem, sonorem Bariton und versuchte, der durch die Regie so verzerrt dargestellten Figur die Sympathien des Publikums so gut als möglich zu retten, was ihm auch gelungen ist. Javier Camarena als Ernesto sah aus wie Don Pasquale älterer Bruder; stimmlich war er nicht in allerbester Verfassung und plagte sich ein wenig mit seiner schwierigen Arie im 2. Akt. Norina und Dottor Malatesta waren jungen Schülern der Bottega Donizetti anvertraut: Giulia Mazzola ließ beachtliches lyrisches Material hören und stürzte sich mit Verve in die undankbare Auslegung ihrer Rolle. Dario Sogos wirkte szenisch und vokal nicht so souverän wie seine Partnerin, zeigte aber in beider Hinsicht gute Ansätze. Als Notar ergänzte Fulvio Valenti, und der Chor der Accademia della Scala unter der Leitung von Salvo Sgrò bot eine gute Leistung, obwohl er sich auf die von der Choreographie (Dustin Klein) vorgeschriebenen Verrenkungen konzentrieren musste.

Das internationale Publikum schien leicht konsterniert, aber der Applaus für die Interpreten fiel sehr herzlich aus. E.P.


Roberto Devereux

Die letzte und reifste der drei Tudoropern des Bergamasker Meisters (Uraufführung 1837 am Teatro San Carlo in Neapel) verlangt neben der als Voraussetzung für die Interpretation einer Rolle wie der Königin Elizabeth I. angenommenen vokalen und technischen Souveränität auch beträchtliches schauspielerisches Vermögen. Jessica Pratt, die ihr Rollendebut gab, folgte der von Edita Gruberova oder Mariella Devia vorgegebenen Linie, denn auch sie ist kein soprano drammatico di agilità, wie Giuseppina Ronzi de Begnis, für die Donizetti viele Partien, und so auch diese, komponiert hat. Pratt besticht durch eine Herangehensweise von absoluter gesanglicher Sicherheit, mit der es ihr gelingt, auch die ihrer Stimme nicht automatisch zur Verfügung stehenden tieferen Töne nicht künstlich abzudunkeln, sondern ohne Registerbruch an die Mittellage anzubinden. Die Koloratur ist nicht nur gestochen scharf, sondern auch höchst expressiv und ohne farbliche Verzerrung.

© Gianfranco Rota

Damit entsteht ein hochüberzeugendes Porträt der unglücklich liebenden Königin (die laut dem Libretto von Salvatore Cammarano am Schluss zugunsten Jakob VI. abdankt!), dem es weder an Hoheit, noch an Leidenschaftlichkeit fehlt. Die Rolle des Titelhelden war John Osborn anvertraut, dessen Auftreten zunächst steif, um nicht zu sagen, linkisch war, was er aber mit samtigen Tenortönen bald vergessen ließ. Und seine große Arie „O tu che m’involasti“ gestaltete er ab dem berührenden Rezitativ „E ancor la tremenda porta“ bis zur Cabaletta „Bagnato il sen di lagrime“ mit einer stimmlichen Hingabe und Schönheit, die das Haus fast zusammenbrechen ließ. Schließlich musste er dem Orkan von Applaus und Bis-Rufen nachgeben und strömte beim Dacapo nicht weniger Stimmglanz aus. Als Sara, ungewollt Rivalin der Königin, passte Raffaella Lupinacci mit ihrem hellen Mezzo sehr gut in die Rolle der „seconda donna“ und sang mit schönem, rundem Klang. Ihren Gatten, den Herzog von Nottingham, zunächst Freund und Verteidiger Devereux‘, dann in einer Situation, die an Renato im „Ballo in maschera“ denken lässt, wurde von Simone Piazzola korrekt interpretiert, ohne an die zu Beginn seiner Karriere gemachten großen stimmlichen Versprechen anknüpfen zu können. Die für Devereux‘ Todesstrafe agitierenden Lord Cecil und Sir Walter Raleigh wurden von David Astorga bzw. Ignas Melnikas (letzterer Schüler der Bottega Donizetti) bestens verkörpert. Als Diener bei Nottinghams ergänzte Fulvio Valenti. Riccardo Frizza erwies sich am Pult des Orchestra Donizetti Opera als ausgezeichneter Sachwalter des Komponisten, dessen reichen Melodienstrauss er zum Erblühen und Funkeln brachte. Auch der Chor der Accademia della Scala war unter der Leitung von Salvo Sgrò erneut bestens disponiert.

© Gianfranco Rota

Angesichts der Katastrophe bei „Don Pasquale“ will ich mich über die fehlende Regie von Stephen Langridge in keiner Weise beschweren. Für das Bühnenbild und die originellen, historisch inspirierten Kostüme sorgte Katie Davenport, der einige grellrot lackierte Versatzstücke zur Illustration der Szenen genügten, die von Peter Mumford geschickt ausgeleuchtet wurden. Von Zeit zu Zeit wurden Texte aus von Devereux verfassten Originalbriefen projiziert. Den mit dem Holzhammer evozierten Tod in Form einer großen Puppe führten Poppy Franziska.

Viel Beifall während der Vorstellung und Jubelstürme am Schluss. Ein überaus befriedigender Abend. E.P.


Zoraida in Granata

In der Schiene der Donizettiopern, die heuer 200 Jahre alt wurden, wurde nun das Werk des 27-Jaehrigen aufgefuehrt, das eine kuriose Geschichte hat. Entstanden war es ursprünglich bereits 2022 und bei seiner Uraufführung im Teatro Argentina in Rom zum ersten großen Erfolg unseres Komponisten geworden. Dabei hätte ein tragischer Unfall fast dazu geführt, dass es zu dieser Aufführung gar nicht gekommen wäre, denn der für die Rolle des Abenamet vorgesehene Tenor war ein paar Tage zuvor einem Aneurysma erlegen. Da kein anderer gleichwertiger Sänger zur Verfügung stand, schrieb Donizetti die Rolle in aller Eile für einen Mezzosopran um. Als die Wiederaufnahme des Werks am selben Ort 1824 geplant wurde, war dafür die berühmte Altistin Rosmunda Pisaroni gewonnen worden, für die Donizetti sein Werk kurz überarbeiten wollte. Von kurz konnte aber keine Rede sein, weil der mit dem Text beauftrage Jacopo Ferretti (u.a. Librettist von Rossinis „Cenerentola“) zum bis dahin gesungenen Text des Bartolomeo Merelli jede Menge neuer Szenen hinzufügte, was der Komponist zähneknirschend akzeptierte.

© Gianfranco Rota

In dieser Form gelangte die Koproduktion mit dem Festival in Wexford in Bergamo auf die Bühne (während man sich in Wexford an die Fassung aus 1822 gehalten hatte). Die Handlung spielt 1480 in Granada in den letzten Tagen der Maurenherrschaft in Spanien. Seltsamerweise geht es in den kriegerischen Konflikten nicht um Mauren gegen Spanier, sondern um die Fehde zwischen Abercerragen und Zegris, zweier maurischer Stämme (welches Thema auch von Luigi Cherubini in seinem „Nachtlager von Granada“ vertont wurde). Jedenfalls liebt der unrechtmäßige König Almuzir (Tenor) Zoraida (Sopran), die dem gegnerischen Abenamet (Mezzo) versprochen ist. Almuzir ist zwischen der Liebe zu dem Mädchen und seinem Hass auf sie, weil sie gegen seine Avancen standhaft bleibt, hin- und hergerissen. Schließlich soll sie auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden, nur ein für sie und ihre Unschuld fechtender Ritter („Lohengrin“ lässt grüßen) kann sie befreien. Einer Reihe von Intrigen des grausamen Koenigs entkommen, ist es natürlich Abenamet mit herabgelassenem Visier, der Zoraida befreit. Das Volk, das ihn immer als seinen Anführer verehrte, will sich nun auf den König stürzen, aber unser Mezzo rettet ihn vor der Wut des Mobs, erhält damit die Vergebung Almuzirs und seine Vereinigung mit Zoraida.

© Gianfranco Rota

Die Komposition ist stark dem Stil Rossinis verhaftet, dem damals nicht zu umgehenden König des Belcanto. Dennoch finden sich bei Donizetti immer wieder Stellen, die auf seinen künftigen hochromantischen Stil verweisen, vor allem hinsichtlich der lyrischen Momente. Interessant ist auch, dass nicht der titelgebende Sopran das übliche virtuose Schlussrondo singt, sondern der Mezzo, was natürlich auf die bedeutenden musikalischen Änderungen zugunsten der Pisaroni zurückzuführen ist.

Musikalisch handelte es sich um eine hochkarätige Wiedergabe. Cecilia Molinari ist eine authentische Belcantistin von hoher Expressivität, die ihren Koloraturen nicht nur schoenstimmig, sondern auch der jeweiligen Situation entsprechend Sinn verleiht. Der im Sinn von Rossinis „Boesen“ für einen Baritenor geschriebenen Rolle des Almuzir verlieh der Koreaner Konu Kim nicht nur gesanglich, sondern auch szenisch scharfe Kontur. Seine Darstellung ließ wiederholt an zeitgenössische Despoten denken… Die Tschechin Zuzana Markova gestaltete die Titelrolle mit großer Innigkeit und guter technischer Basis. Für die kleineren Rollen waren Schüler der Bottega Donizetti aufgeboten, wobei sich ein weiteres Mal herausstellte, dass man ein gutes Ohr für interessante Stimmen hat und deren Ausbildung merklich ernst nimmt. Als Alì, der eigentliche Bösewicht, der Almuzir immer wieder zu seinen Handlungen anstachelt, weil er hofft, mit seinem Einfluss auf den Thron der eigentlich Machthaber hinter den Kulissen zu werden, hörte man mit dem obertonreichen, blutjungen Bassbariton Valerio Morelli einen auch die Bühne beherrschenden Sänger. Die Partie des Almazor, Freund und Vertrauter Abenamets, war für eine endgültige Beurteilung zu kurz, aber Tuty Hernandez klang vielversprechend. Am wenigsten interessant war vielleicht die Ungarin Lilla Takacs als spanische Sklavin Ines, Vertraute von Zoraida, aber jedenfalls präzise und präsent. Alberto Zanardi, Assistent des Bergamasker Musikdirektors Riccardo Frizza, machte mit dem Originalklangensemble Gli Originali ausgezeichnete Figur und erwies sich als stilistisch sattelfester, die Sänger behutsam begleitender Dirigent.

© Gianfranco Rota

Der in Casablanca geborene Regisseur Bruno Ravella, Sohn italienischer und polnischer Eltern, bezog die aktuelle Situation kriegerischer Konflikte mit ein und lies sich von Gary McCann (verantwortlich auch fuer die Kostueme) ein aus Trümmern bestehendes Ambiente bauen, das den Widersinn der Auseinandersetzungen spiegelte. Eine an sich richtige Entscheidung, die allerdings den Zuschauer dieser über dreistündigen Oper auch ermüden ließ. Die Kostueme  zu entwerfen stellte keine besondere Herausforderung dar, denn neben dem König in Anzug und Krawatte war das männliche Personal in aktuelle Uniformen gekleidet, während Zoraida im einfachen Kleidchen und die versklavte Ines mit biederer Strickjacke auftraten. Der Gesamteindruck war der einer praktikablen Regie ohne spezielle Einfälle.

Insgesamt hat das Festival heuer musikalisch gute bis hervorragende Leistungen gezeigt, die der RegisseurInnen pendelten sich zwischen schlecht und passabel ein. Jedenfalls hat der nach zehnjähriger Tätigkeit scheidende Intendant Francesco Micheli ausgezeichnete Arbeit geleistet, die eine gute Basis fuer seine/n noch unbekannte/n Nachfolger/in bildet.

Eva Pleus, 15. Dezember 2024


Bergamo: „FESTIVAL DONIZETTI“:

Don Pasquale
Gaetano Donizetti

Teatro Donizetti

22. November 2024

Inszenierung: Amélie Niermeyer
Musikalische Leitung: Ivan Lopez-Reynoso
Orchestra Donizetti Opera


Roberto Devereu
Gaetano Donizetti

Teatro Donizetti

23. November 2024

Inszenierung: Stephen Langridge
Musikalische Leitung: Riccardo Frizza
Orchestra Donizetti Opera


Zoraida di Granata
Gaetano Donizetti

Teatro Sociale

Dezember 2024

Inszenierung: Bruno Ravella
Musikalische Leitung: Alberto Zanardi
Orchestra Gli Originali