Live von der Oper Rom kommt ein Video-Mitschnitt von Sergey Prokofievs phänomenaler Oper The fiery Angel (Der feurige Engel). Aufgezeichnet wurde eine Aufführung vom 23.5.2019. Prokofiev hatte bereits im Jahre 1919 die Komposition des von ihm selbst verfassten Librettos aufgenommen, die er indes erst 1925 vollenden konnte. Zu seinen Lebzeiten war es dem 1953 verstorbenen Komponisten nicht mehr vergönnt, seine Schöpfung auf der Bühne zu erleben. Das Werk kam vollständig erst viel später zur Aufführung, setzte sich aber schnell durch. Heute gilt diese Oper als Prokofievs Hauptwerk – und das zu Recht, denn hier haben wir es mit einem gewaltigen Stück zu tun.
Mit dieser DVD wäre Prokofiev sicher in hohem Maße zufrieden gewesen. Das Niveau der aufgezeichneten Produktion ist hoch. Das beginnt schon bei der Inszenierung von Emma Dante in dem Bühnenbild von Carmine Maringola und den Kostümen von Vanessa Sannino. Das Regieteam siedelt die Handlung in einem konventionellen Rahmen an. Im Gegensatz zu vielen anderen traditionellen Regisseuren wartet Frau Dante mit einer überaus gelungenen Regiearbeit auf. Sie inszeniert nicht nur gleichsam mit dem Reclamheft in der Hand brav am Stück entlang, sondern hat sich durchaus eigene gute, tiefschürfende Gedanken zu dem Feurigen Engel gemacht, die sehr überzeugen. Darüber hinaus versteht sie sich trefflich auf Personenregie, die spannend und stringent ausfällt.
Die Regisseurin sieht die Oper als eine explosive Mischung aus fantastischem Realismus und endlosem Durcheinander von Alpträumen, Wahnsinn, sexuellen Impulsen und kulturellen Zusammenstößen. Der geistige Gehalt ihrer Ideen ist nicht zu verachten. Den von einem Break-Dancer dargestellten feurigen Engel versteht sie als Projektion, der eine gute und eine böse Seite in sich trägt. Beide Aspekte existieren nebeneinander in einer überzeugenden Koexistenz und sind gleichermaßen darauf bedacht, Renata nachhaltig zu manipulieren. Diese leidet unter einer ausgeprägten Schizophrenie, deren Ursache ihre geistigen Sehnsüchte sind und die manchmal in surrealen Dialogen münden. Sie liebt die Musik, liest Noten und spielt Geige. Die Befindlichkeiten Renatas und des Soldaten Ruprecht werden von Emma Dante hervorragend herausgearbeitet. Ihre Arbeit geht manchmal stark unter die Haut. Dazu tragen auch die gelungenen Bühnenbilder bei. Das Wirtshaus des ersten Aktes verlegt das Regieteam in gotische Katakomben mit lebendigen Körpern. Der zweite Akt wird von einem gewaltigen Bücherhaufen geprägt, der Renatas übersteigertes Interesse an verbotenen magischen Inhalten symbolisiert. Agrippa von Nettesheim seziert Leichen, darunter auch ein Baby. An die Stelle von Heinrichs Kölner Haus treten zwei Blöcke von übereinander gelagerten romanischen Rundbögen. In der Wirtshausszene des vierten Aktes sind diese zu einem einzigen Bogen zusammengeschoben. Der fünfte Akt, in dem Renata Opfer der Inquisition wird, spielt wieder in den Katakomben. Geprägt wird dieses eindringliche Bild von einer Frau, die statt Jesus am Kreuz hängt. In dieser Inszenierung wird Renata nicht auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Dennoch erleidet sie ein Martyrium. Letztlich gelingt es ihr, sich von dem feurigen Engel zu befreien. Sich erstechend opfert sie sich selbst und wird zur Ikone – ein eindrucksvolles Bild! Insgesamt kann man die Inszenierung als rundum gelungen bezeichnen.
Auch die gesanglichen Leistungen bewegen sich insgesamt auf hohem Niveau. Ewa Vesin vermag mit gut sitzendem, markant und ausdrucksstark klingendem Sopran die hysterische Seite der Renata gut zu vermitteln. Neben ihr bewährt sich mit ebenfalls gut verankertem Bariton Leigh Melrose in der Rolle des Ruprecht. Übertroffen wird er von seinem Stimmfachkollegen Andrii Ganchuk, der eine prächtige, überaus klangvolle und bestens italienisch fokussierte Baritonstimme für den Faust und den Diener mitbringt. In jeder Lage voll und rund singt Sergey Radchenko den Agrippa von Nettesheim. Maxim Paster gibt mit baritonal anmutendem Tenor einen trefflich charakteristischen Mephistopheles. Einen volltönenden, sonoren Bass bringt Goran Juric für den Inquisitor mit. Als Wirtin gefällt mit profundem Mezzosopran Anna Victorova. Auch Mairam Sokolova besticht mit tiefsinniger Mezzo-Stimme in der Doppelrolle von Wahrsagerin und Äbtissin. Größtenteils solide klingen die Nebenrollen. Einen guten Tag hat der Chor.
Am Pult bewährt sich Alejo Pérez, der die Strukturen von Prokofievs Musik bestens herausarbeitet und zusammen mit dem gut disponierten Orchestra del Teatro dell`Opera di Roma den Schwerpunkt auf eine prägnante Rhythmik und ausgeprägte Dramatik legt.
Fazit: Eine in jeder Beziehung hervorragende DVD, deren Anschaffung sehr zu empfehlen ist!
Ludwig Steinbach, 31. Dezember 2022
NAXOS
Best.Nr.: 2.110663
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