Interview: „Christiane Lutz“, Regisseurin

„Salome ist eine Oper der Blicke“ – Christiane Lutz im Gespräch

(c) Homepage Christiane Lutz

Eine der aufsehenerregendsten Inszenierungen in der aktuellen Spielzeit des Theaters Lübeck ist Richard Strauss´ „Salome“ in der Inszenierung von Christiane Lutz; die Premiere war am 18. November 2022. Unter GMD und Operndirektor Stefan Vladar spielt das Philharmonische Orchester der Hansestadt Lübeck.

Die solistisch und orchestral herausragende Produktion setzt in Regie und Requisiten stark auf Symbole, Andeutungen und Querverweise. So gibt es beispielweise zwei Szenen, in denen sich Herodes die Hände wäscht und darin an Pontius Pilatus erinnert. In der Tat steht dieses symbolische Schuld-Abwaschen jeweils in Zusammenhang mit dem Tod eines Unschuldigen – das erste Mal bei der Entdeckung des Leichnams von Narraboth, der sich aus Verzweiflung und unglücklicher Liebe zu Salome selbst getötet hat, das andere Mal, als er dem Wunsch von Salome nachgibt, Jochanaan das Haupt abzuschlagen. Zur inhaltlichen Vielschichtigkeit der Lübecker „Salome“ gibt Christiane Lutz im Interview tiefergehende Auskunft.

Liebe Frau Lutz, am 18. November haben Sie im Theater Lübeck eine bejubelte Salome-Premiere hingelegt. Bei allem Minimalismus des Bühnenbildes gibt es in dieser Produktion zahlreiche Bilder, Zeichen und Vorausdeutungen. Das passt natürlich hervorragend zum biblischen Hintergrund der Oper, zumal das Libretto ja auch auf das sprachbildmächtige Hohelied Salomos rekurriert, bei aller Freiheit im Umgang mit dem Originaltext. Im Libretto geht es viel um das Sehen, um das Nichtsehen- oder Sehen-Wollen oder auch um das Nicht Sehen-Können, daher drängt sich auch schon deshalb das Spiel mit Bildern und Zeichen auf. Sie verwenden dabei mitunter mehrere Ebenen. Es gibt ja das Bullauge in der Verbindungs- oder Trennungstüre zwischen Thronsaal und Küche. Von der Form her entspricht dem die beleuchtete Scheibe, die mal den Mond, mal die Silberschale für das Haupt des Täufers, mal einen Spiegel darstellt. Eines der schönsten Bilder der Inszenierung ist, wenn sich Salome wie eine Sphinx stumm darüber beugt und dort hineinstarrt. Sucht sie da nach Selbsterkenntnis, als Mädchen auf dem Weg zur Frau, will sie das Bild des Jochanaan sehen oder ist die Oberfläche wie die des Wassers, in dem der egomane Narziß sich in sein Abbild verliebt?

C. L: Salome ist in der Tat eine „Oper der Blicke“, der begehrlichen, sehnsüchtigen und verträumten Blicke, und vor allem des Blickes der Salome auf sich selbst. Wenn Salome in die leuchtende Scheibe blickt, wie in einen Spiegel, dann ist das im Stückverlauf der Moment wo Jochanaan sie gerade verflucht hat. Sie betrachtet sich selbst – stumm, minutenlang – und macht während der großartigen Musik des Zwischenspiels einen inneren Prozeß durch: sie weigert sich, länger das zu sein, was andere in ihr sehen. Sie emanzipiert sich und sammelt im Blick auf sich selbst die Kraft für das, was sie in der nachfolgenden Szene tun will: die Abrechnung mit Herodes, wo sie seine Übergriffigkeiten im Tanz ans Tageslicht ziehen wird.

Wie der kleine Säbel zum „Köpfen“ der Champagnerflasche bzw. für das Entfernen der Stanniol-Kapsel auf das spätere blutige Ende vorausweist, wirft Salome wie ein Todesbote schwarze Federn von sich. Hatten Sie dabei den großen schwarzen Vogel wie bei Ludwig Hirsch im Kopf oder ist Salome ein gefallener Engel, gleichsam Luzifers kleine Schwester, mit imaginierten schwarzen Schwingen?

C. L: Herodes spürt einige Male die unsichtbare Präsenz eines „ungeheuren schwarzen Vogels“ und beschreibt das schreckliche Rauschen seiner schwarzen Flügel. Die Metapher ist nicht neu, Sie haben recht: Ludwig Hirsch ersehnt sich den sanften schwarzen Vogel, Herodes fürchtet ihn – aber für beide ist er ein Todesbote. Salome ermächtigt sich dieses Symbols, um Herodes zu schwächen: die übermächtige Angst dieses mächtigen aber furchtsamen Mannes ist Salomes Chance, hier kann sie ihm schaden.

Jochanaan trägt schwarze Handschuhe, die Distanz zwischen ihm und denen, die er eben nicht berührt, schaffen. Ein bißchen erinnern sie auch an die Handschuhe eines Kämpfers wie einem Musketier oder Zorro. Einige Male zeigt er mit dem behandschuhten Finger wie anklagend auf sein Gegenüber. Hatten Sie da das Grünewald-Gemälde auf dem Isenheimer Altar im Kopf, auf dem Johannes auf den gekreuzigten Jesus zeigt, gleichsam als Umkehrung des Inhalts der Geste?

C. L: Das ist sehr schön, wie Sie das lesen. Für mich war diese Geste das Bild für Jochanaan als Ankläger: seine Urteile sind hart und vernichtend. Der Beginn der großen Szene zwischen Salome und Jochanaan ist von ihrer Seite her eigentlich sehr offen: Salome möchte mit Jochanaan in Dialog treten, sie ist ein Teenager und fordert ihn ganz aufrichtig „Sag mir, was ich tun soll“ – doch Jochanaan kanzelt sie ab und wirft sie zurück auf ihre Herkunft: „Tochter der Sünde“. Er treibt sie in die Enge und läßt sie sich nicht entwickeln. Bis sie sich von ihm löst und sich selbst neu entwirft.

Salome besingt, ganz im Hohelied-Duktus, das schwarze Haar Jochanaans. Das lange Haar ist ja im Alten Testament – man denke nur an Simson – Symbol männlicher Kraft und Vitalität. Bo Skovhus hat eine Glatze, Anton Keremidtchiev als Zweitbesetzung ist grau meliert; man hätte beiden Sängern natürlich eine Perücke aufsetzen können. Zeigen die Worte Ihrer Salome hier schon die Anzeichen eines krankhaften Realitätsverlustes und sie träumt von einem Ideal Jochanaan?

C. L: Der Moment, wo Salome das Haar zum ersten Mal beschreibt, ist einer der literarisch schönsten und musikalisch wehmütigsten Passagen der Oper. Sie singt von dem Haar, das so schwarz sei wie die „Zedern des Libanon, die den Löwen und Räubern Schatten spenden. Die langen schwarzen Nächte, wenn der Mond sich verbirgt, wenn die Sterne bangen“ – man fragt sich doch, warum sie die Nächte so hoffnungslos beklemmend empfindet, woher kommen diese Ängste der 16-jährigen Salome? Daher bezieht es sich bei uns auf Salomes eigenes Haar – einmal greift Herodes hinein, als Bild seiner Übergriffe. Und einmal streicht Herodias ihrer Tochter über den Kopf, eine hilflose Geste ihrer verlorenen Beziehung.

Auf dem Bühnenhintergrund wirft Jochanaan hinter Salome und Herodes gleichsam seinen Schatten voraus bzw. dominiert er die Szene nur als Schemen. Man assoziiert da ein bißchen Murnaus „Nosferatu“. Haben Sie das bewußt so gewählt, um den bei Ihnen ohnehin optisch eher düsteren Jochanaan mit seinem dunklen Anzug und den schwarzen Handschuhen noch mehr ins Dunkel-Mysteriöse zu rücken? Die Figur hat ja in der Inszenierung auch durchaus menschlich-angreifbare Züge. Ist das Dunkle ein Schutz für diesen Jochanaan?

C. L: Bei uns erwächst Jochanaan bei seinem ersten Auftritt ja aus Salomes eigenem Schatten heraus. Diese aus Salome Heraustreten impliziert, dass die Kraft des Jochanaan in gewisser Weise auch die Kraft der Salome ist. Sie spielt mit dem Gedanken, was wäre, wenn sie die Kraft hatte, die Zisterne zu öffnen und das Unausgesprochene und Verdrängte ans Licht zu ziehen. Jochanaan ist bei uns auch ihr alter ego, ihr stärkeres Selbst – ihr von Zuschreibungen befreites Selbstbild.

Die Art, wie die Personen miteinander interagieren, Beziehungen durch direkte Berührungen darstellen oder auch mal Nähe suchend hintereinanderstehen, dann wieder durch Bänder aus Kleidungsstücken wie Salomes Schleier oder anderen Kleidungsstücken Dominanz oder Abhängigkeit andeuten – das läßt manchmal an Johann Kresniks Figurenkonstellationen denken, in denen oft weniger die unmittelbare Handlung als vielmehr eine tiefere Ausdrucksebene wiedergegeben wird. Hat Kresniks tänzerische Semiotik da in irgendeiner Weise Pate gestanden?

C. L: Nicht bewußt. Aber sein Theater war von unheimlicher Kraft und Schönheit, darum ehrt mich Ihr Vergleich. Ich denke es ist das Stück, das diese Zeichenhaftigkeit und Bildkraft einfordert.

Zum blutigen Schluß wird Salome das abgeschlagene Haupt des Täufers nicht auf der sprichwörtlichen Silberschale präsentiert, sondern ihr in einem schwarzen Netz gereicht. Es gibt ja im Libretto die Granatapfel-Symbolik bzw. in der Lübecker Inszenierung die große Schale mit diesen Früchten auf der Tafel des Herodes, wovon Jochanaan eine teilt. Im Hohelied steht der Granatapfel für den Mund der Geliebten, ein Bild, das Salome aufgreift und auf Jochanaans Mund anwendet. Die Konnotation des Granatapfels im Alten Testament ist vielfältig, aber unbedingt positiv, wenn nicht sogar sakral. Ist das schwarze Geflecht nur ein Netzstrumpf Salomes oder läßt sie sich hier die von ihr begehrte, reife und nun abgehauene Frucht im hier dunklen Apfelsinennetz bringen?

C. L: Im Tanz der Salome mit Herodes spielen ihre Netzstrümpfe eine große Rolle. Sie sind Teil der Verführung, aber auch der Verstrickung der beiden miteinander. Man weiß nicht, wer hier wen bindet. Wenn Herodias am Ende den abgeschlagenen Kopf Jochanaans in einem dieser Netzstrümpfe bringt, ist das Vieles: in Bezug auf Salome stellt es den Zusammenhang zwischen Tanz und Mordforderung her, in Bezug auf Herodias ist es ein Zurückerobern dieses erotischen Accessoires, in Bezug auf Herodes ein Rückschluß auf den mitvollzogenen Vatermord.

Liebe Frau Lutz, haben Sie herzlichen Dank für das anregende Gespräch.

Andreas Ströbl, 6. März 2023