Graz: „Los Elementos“, Barockoper von Antonio de Literes

Helmut-List-Halle am 24. Juni 2017

Effektvoller Styriarte-Auftakt

In diesem Jahr steht das Festival styriarte (23. Juni bis 23.Juli 2017) unter dem Motto Tanz des Lebens. Bei hochsommerlichen Temperaturen – samt einem kurzen Gewitter zu Beginn (Motto: Ein bisschen Regen kann uns nicht erschüttern!) – gab es am Abend des Eröffnungstages ein frei zugängliches und sehr gut besuchtes Fest in der seit 1999 zum Weltkulturerbe zählenden Altstadt von Graz – Zitat aus der Ankündigung: Dabei kann man viel erfahren über das Programm der kommenden Wochen und sich inspirieren lassen, wenn ein Pferd die Hohe Schule des Rossballetts zeigt oder der Sonnenkönig Ludwig XIV. zum Menuett auffordert. Vom Rock’n’Roll bis zum Wiener Walzer, vom Fruchtbarkeitstanz bis zum klassischen Ballett entfaltet sich zum Festivalauftakt die ganze Welt des Rhythmus.

Am Tag darauf folgte in der Helmut-List-Halle die erste der insgesamt 33 Festival-Produktionen – die Oper Los Elementos des spanischen Komponisten Antonio de Literes (1673 bis 1747).

Wer unter den Opernfreunden weiß wohl etwas über ihn??

Ich kannte Antonio de Literes bisher nicht und war froh, mich bereits vor der Aufführung im Abendprogramm vorinformieren zu können. Die styriarte ist nämlich ein vorbildlicher Veranstalter: alle Programmhefte sind von Anfang an online verfügbar – und so sei daraus zitiert:

Antonio de Literes stammt aus Mallorca, im 17. Jahrhundert nicht gerade der Hotspot der damaligen Welt, allerdings als Hafen durchaus belebt und international angebunden. An eine Karriere als Künstler wäre dort allerdings nicht zu denken, also wird der hochbegabte Jüngling in den Chor der Capilla Real in Madrid aufgenommen, wo er eine gründliche Ausbildung erfährt. Literes wählt die tiefen Streichinstrumente – Violone, Gambe und Cello – zu seinen wichtigsten Instrumenten, allerdings komponiert er sehr bald auch selbst. Eine Anstellung als Hofcellist ermöglicht ihm den Kontakt in höchste Kreise in Madrid, und bald werden seine Musiktheaterwerke häufig aufgeführt und hoch gelobt. Literes und seinen Förderern geht es darum, eine genuin spanische Musik zu entwickeln, die sich an den nationalen Eigenheiten orientiert, vor allem der Sprache und den Tanzrhythmen. So entsteht eine ganz eigene Kunstform, zu der Literes einiges Entscheidende beigetragen hat, die Zarzuela.

Die Handlung der Kurzoper ist im Original einfach und entspricht der damaligen Vorliebe für allegorische Gestalten: jede der vier Frauengestalten – Feuer, Wasser, Erde und Luft – erzählt in ihre Arien vom Warten auf die Morgenröte im Dunkel der Nacht, ständig von der Figur der Zeit (Bariton) an die Vergänglichkeit erinnert.

Das Ensemble Le-Tendre-Amour aus Barcelona und sein Regisseur Adrián Schvarzstein verlegen das Stück in eine spanische Bar der 50-Jahre des vorigen Jahrhunderts mit einem hektisch-griesgrämigen Wirt: Und hier treffen sich nicht nur die leichtlebigen Frauen auf der Suche nach ein wenig Amüsement, sondern auch ein Tanzpaar, das eine veritable Liebesgeschichte ohne Worte erzählt. Dazu haben die Musiker von Le Tendre Amour eine ganze Reihe zeitgenössischer Tänze in das Stück von Literes integriert, eine typische Verfahrensweise, die Literes durchaus selbst oft angewandt hat.

Mit dieser Produktion ist der styriarte 2017 ein schwungvoller und vom Publikum freudig akklamierter Auftakt gelungen. Es ist eine Produktion, die schon aus dem Jahre 2011 stammt – damals allerdings ohne das nun eingefügte Flamenco-Tanzpaar. Immerhin sind drei Sängerinnen und drei Instrumentalisten und natürlich der szenische Motor Adrián Schvarzstein von Anfang an dabei.

Da merkt man die ungeheure Routine und Erfahrung und freut sich, dass dennoch die unmittelbare Spielfreude und Frische erhalten ist. Das liegt natürlich auch daran, dass die Inszenierung immer auf das Publikum und seine Reaktionen eingeht – im Schlussteil werden sogar einzelne Gäste aus dem Zuschauerraum auf die Bühne geholt.

Die Musik des Antonio de Literes ist barock-konventionell – das Instrumentalensemble unter der Leitung des Ehepaars Katy Elkin (Oboe) und Esteban Mazer (Cembalo) musiziert nicht nur engagiert und auf hohem Niveau, sondern ist auch animierter und animierender Bestandteil des szenischen Arrangements. Ihnen gelingt perfekt das, was sie generell in ihrer Arbeit anstreben: das gemeinsame Vorhaben, Musik des späten 17. und 18. Jahrhunderts so auf die Bühne zu bringen, dass sie auf das Publikum von heute inspirierend wirkt. Ja – es war erfrischend-inspirierendes Musizieren!

Das gleiche ist vom gesamten Gesangsensemble zu berichten, wobei stimmlich die beiden Sopranistinnen Luanda Siqueira (Luft) und Maria Hinojosa-Montenegro (Wasser – und als Aurora mit dem auch musikalisch sehr reizvollen Stück Dormida fatiga) noch speziell hervorgehoben seien.

Publikumslieblinge waren das exzellente Flamenco-Tanzpaar Carolina Pozuelo und Miguel Lara. Sie gestalteten die sehr geschickt eingebauten Tanzstücke der Literes-Zeitgenossen Santiago de Murcia, Gaspar Sanz und Antonio de Santa Cruz virtuos und publikumswirksam.

Adrián Schvarzstein war nicht nur der szenische Leiter, sondern auch der auf der Bühne und im Auditorium gleichsam omnipräsent-herumwieselnde Wirt, der einerseits gerne die Handlungsfäden ziehen will und andererseits von der weiblichen Armada und dem Tanzpaar geradezu hinweggefegt wird – im Finale gelingt es ihm als virtuos-artistischer Feuerschlucker und Möchte-gern-Stierkämpfer nochmals kurz die Aufmerksamkeit ganz auf sich zu ziehen, aber letztlich endet der Abend mit einer Apotheose der Weiblichkeit.

Bevor wir uns dem einhelligen Schlussbeifall zuwenden, sei doch ein prinzipieller Einwand formuliert:

Die Helmut-List-Halle fasst über 1000 Plätze – das ist einfach für das subtile Kammerspiel zu groß. Akustisch half eine durchaus geschickt gesteuerte Tonanlage, optisch konnte man aus den hinteren Reihen allerdings so manche der liebevoll gestalteten szenischen Details kaum wahrnehmen und auch die Übertitel waren schwer lesbar.

Zuletzt war die Produktion sehr erfolgreich bei den Musikfestspielen Potsdam-Sanssouci . Der Saal im Orangerie Schloss Sanssouci fasst maximal 200 Plätze – die Helmut-List-Halle ist rund fünfmal so groß – da müssen szenische und musikalische Details ein wenig untergehen. (Übrigens ist der Kritik in Potsdam ein kleiner Irrtum unterlaufen, wenn über die Produktion berichtet wurde: eine barockexotische Ausgrabung, wie sie in unseren Breiten neuerlich nur bei den Musikfestspielen Potsdam-Sanssouci angeboten wird…….)

Aber genug der einschränkenden Anmerkungen:

Die Grazer Aufführung war ein riesiger Publikumserfolg, der zwei Zugaben erzwang – eine effektvolle Eröffnung der Styriarte 2017!

Hermann Becke, 25. 6. 2017

Aufführungsfotos: styriarte, © Sandra Wanderer

Hinweise:

– Ein Video-Ausschnitt – allerdings aus 2011. Da wurde die Produktion zum ersten Male bei der Trigonale in St. Veit/Glan präsentiert und seither wiederholt bei europäischen Festivals gezeigt.

– Die einzige CD-Aufnahme des Werks aus dem Jahre 2002 (ohne die in dieser Produktion eingelegten Tanznummern)