DVD: „Der Schatzgräber“, Franz Schreker

Bei dem Label Naxos ist ein im Jahre 2022 an der Deutschen Oper Berlin entstandener Live-Mitschnitt von Franz Schrekers Oper Der Schatzgräber auf DVD erschienen. Hierbei handelt es sich um eine sehr beachtliche Angelegenheit. Diese sensationelle Oper stellt eine absolute Rarität dar! 1920 in Frankfurt am Main erfolgreich aus der Taufe gehoben, stellte der Schatzgräber eine der meistgespielten Opern der Weimarer Republik dar. In Berlin war er zuerst 1922 an der Staatsoper Unter den Linden zu sehen. Überall war der Erfolg riesig. Bemerkenswert ist, wie schnell es dem Schatzgräber gelang, die anderen berühmten Opern Schrekers Der ferne Klang und Die Gezeichneten zu übertrumpfen. Der Siegeszug dieses phantastischen Werkes sollte praktisch bis zum Tode des Komponisten im Jahre 1934 andauern. Dann aber ereilte es dasselbe Schicksal wie so vielen anderen Opern jüdischer Komponisten dieser Zeit: Es wurde von den Nationalsozialisten auf die schwarze Liste gesetzt, als Entartete Musik deklariert und mit einem Aufführungsverbot belegt. Nach Kriegsende konnte der Schatzgräber nicht mehr an seine alten Erfolge anknüpfen und sein Bekanntheitsgrad verebbte. Lediglich sieben Produktionen waren nach 1945 zu verzeichnen. Man vergaß ihn. Das sollte sich erst 1989 ändern, als die Hamburger Staatsoper das Werk in einer bei Publikum und Presse begeistert aufgenommenen Neuinszenierung herausbrachte. Von dieser Aufführung existiert ein CD-Mitschnitt. In den 1990er Jahren kam es dann zu einer Schreker-Renaissance, innerhalb derer einige der Opern des Komponisten den Weg zurück auf die Spielpläne der verschiedenen Opernhäuser schafften, was sehr begrüßenswert ist. Die Musik Schrekers hat ihre Meriten, und das nicht zu knapp.

Schreker hat eine sehr vielschichtige Partitur geschrieben, die sich insbesondere im dritten Aufzug stark an Wagners Tristan und Isolde orientiert. Mehrmals vernimmt man in der großen Liebesszene den berühmten Tristan-Akkord – original und auch variiert. Nicht nur hier entwickelt die geniale Musik eine unheimliche Sogwirkung, in die der Zuschauer regelrecht hineingezogen wird und der er sich gerne hingibt. Insgesamt ist Schreker eine ungemein üppige und berauschende Musik im spätromantischen Stil gelungen, die sich neben den Bezügen zu Wagner an einigen Stellen auch mal an Debussy anlehnt. Diese Huldigung an die Impressionisten weist bereits stark in die Moderne, an deren Schwelle sich Schreker deutlich bewegt. Dabei bleibt er aber immer der Tonalität verhaftet. Schräg wird seine musikalische Sprache nie. Marc Albrecht und dem Orchester der Deutschen Oper Berlin gelingt eine hervorragende Auslotung der Partitur. Alle ihre Finessen werden von dem Dirigenten herausgearbeitet und gekonnt in den großen musikalischen Zusammenhang gestellt. Dabei geht es im Orchestergraben nie allzu pompös zu. Albrecht wahrt stets eine gewisse Durchsichtigkeit und Klarheit des Klangteppichs, der sich obendrein durch eine reichhaltige Farbpallette auszeichnet.

Gelungen ist die Inszenierung von Christof Loy im Bühnenbild von Johannes Leiacker und den Kostümen Barbara Drosihns. Das Regieteam hat die ursprünglich dem Mittelalter entstammende Handlung behutsam modernisiert und an den Beginn des 20. Jahrhunderts verlegt. Diese Vorgehensweise tut dem Stück gut. Für Loy ist Schrekers Oper nicht nur eine dramatische Liebesgeschichte, sondern zugleich auch ein Gesellschaftsstück sowie ein Künstlerdrama. Alle diese verschiedenen Aspekte werden vom Regisseur vorzüglich beleuchtet. Als Ausgangspunkt für seine Interpretation dient Loy das Bankett des vierten Aufzuges. Die dort versammelte Gesellschaft in ihren schicken Anzügen und hübschen Abendkleidern ist die ganze Aufführung über in einem Bankett-Saal als Einheitsbühnenbild präsent. Mit ihr treibt der König, der stark an seiner Sissi nachempfundenen Königin hängt, ein kühles Spiel. Aus dieser Gemeinschaft schälen sich allmählich die unterschiedlichen Handlungsträger heraus, so der Künstler Elis und die Kellnerin Els. An Els interessiert den Regisseur insbesondere der Fakt, dass auch einer hoch kriminellen Täterin am Ende Verzeihung zukommen kann. Bei Elis wird einfühlsam das Thema des Glückssuchers abgehandelt, der versucht, seinem Leben in irgendeiner Form eine positive Ausrichtung und damit einen Sinn zu geben. Hier findet seitens der Regie eine Verallgemeinerung statt. Dieser Aspekt betrifft alle und jeden. Die Liebe zwischen den beiden Protagonisten wird vom Regisseur mit Hilfe einer stringenten Personenregie eindrucksvoll vermittelt. Diese erreicht ihren Höhepunkt im dritten Aufzug, in der die Erotik einen Ausweg aus den gesellschaftlichen Wirrnissen bietet. In dieser Szene betritt nicht nur das Liebespaar gefährliche Pfade, auch die Gemeinschaft begibt sich in Gefahr. Sicherheit vermag die Liebe hier nicht zu geben, das destruktive Element ist immer vorhanden und ragt wie ein Damoklesschwert über den Handlungsträgern. Eros und Tod sind in Loys Deutung untrennbar miteinander verbunden. Das ist alles bestens durchdacht und spannend auf die Bühne gebracht.

Fast durchweg zufrieden sein kann man mit den gesanglichen Leistungen. Mit trefflich fokussiertem Tenor, kraftvoll und mit großer Ausdrucksintensität singt Daniel Johansson einen guten Elis. Eindrucksvoll schneidet die über beachtliches, substanz- und farbenreiches sowie höhensicheres jugendlich-dramatisches Sopranpotential verfügende Elisabet Strid in der Rolle der Els ab, die sie auch ansprechend spielt. Eine darstellerische Glanzleistung erbringt der schauspielerisch ausgesprochen vital agierende Michael Laurenz als Narr. Gesanglich vermag er mit seinem überhaupt nicht im Körper verankerten, flachen Tenor indes nicht zu überzeugen. Bei dem markant singenden Thomas Johannes Mayer ist der Vogt in trefflichen Händen. Mit strahlendem, imposantem Tenor wertet Patrick Cook die kleine Partie des Albi auf. Tuomas Pursio ist ein profund singender König. Recht maskig klingt Clemens Biebers Kanzler. Volle, runde Bariton-Stimmen nennen Michael Adams (Graf, Herold) und Joel Allison (Magister, Schultheiß) ihr eigen. Einen stimmlich perfekten Junker gibt Seth Carico, von dem man gerne mehr gehört hätte. Vokal etwas robuster legt Stephen Bronk den Wirt an. Vokal wenig auffällig gibt Gideon Poppe den Schreiber. In der stummen Rolle der Königin ist die Schauspielerin Doke Pauwels zu erleben. Eine famose Leistung erbringt der von Jeremy Bines einstudierte Chor der Deutschen Oper Berlin.

Ludwig Steinbach, 3.September 2023


DVD: „Der Schatzgräber“
Franz Schreker

Inszenierung: Christof Loy
Musikalische Leitung: Marc Albrecht
Orchester der Deutschen Oper Berlin

Naxos
Best.Nr.: 2.110761