Düsseldorf: „Schade, dass sie eine Hure war“

Zum Zweiten

Uraufführung am 16.02.2019

Hinter diesem etwas sperrigen Titel, verbirgt sich ein Werk von John Ford aus der Zeit um 1625. Vom Landsmann Shakespeares ist nicht sonderlich viel überliefert, in kompletter Gänze sind sogar nur wenige seiner Werke erhalten geblieben. Eines ist „‘Tis Pity She´s a Whore“, ein Theaterstück, dem man die Entstehungszeit durchaus anmerkt und welches erstaunlich viele Parallelen zu Shakespeares Werken aufzeigt. Zum Teil ist diese sicherlich der Zeit geschuldet, allerdings sind diverse Anspielungen auf „Romeo und Julia“ wohl auch kein Zufall. Eine verbotene und daher unmögliche Liebesbeziehung, ein darum besorgter Mönch, eine durchaus schwatzhafte Amme, eine aus der Not geborene Blitzhochzeit sowie ein Straßenkampf, all diese Dinge greift Ford in „Schade, dass sie eine Hure ist“ auf und treibt sie sogar noch auf die Spitze, indem er das Liebespaar mit Bruder und Schwester besetzt. Allgemein kann einem beim Lesen der Handlung der fünf Akte fast schwindelig werden, von all den Intrigen die hier gesponnen werden.

Der römische Soldat Grimaldi wirbt genauso um die Gunst Annabellas wie Bergetto, Bürger von Parma oder der Edelmann Soranzo. Letzterer will daher von seiner früheren Geliebten Hippolita nichts mehr wissen, obwohl diese ihm zuliebe ihrem Gatten Richardetto den Laufpass gab. Hippolita will mit Hilfe von Soranzos Leibwächter Vasquez Rache nehmen, doch dessen Rolle und seine Motive wollen noch genauer entdeckt werden. Gleichzeitig ist auch Richardetto mit seiner Nichte Philotis zurückgekehrt und sinnt auf Rache, während seine Nichte Gefallen an Bergetto findet. Als Annabella von ihrem Bruder Giovanni schwanger wird, muss schnell eine Hochzeit her, der perfekte Schauplatz, um lang geplante Intrigen endlich in die Tat umzusetzen. Doch zunächst stirbt, man hätte es erahnen können, erst einmal die falsche Person.

Dieser dramatische Stoff klingt geradezu prädestiniert für eine Umsetzung als Oper. Dies dachte sich auch der 1979 in Aachen geborene Komponist Anno Schreier, der zusammen mit Librettistin Kerstin Maria Pöhler diesen Stoff nun erstmals auf die Bühne brachte. Schreier bediente sich hier der ganzen Bandbreite des Genres und komponierte oftmals pompöse Klangbögen in musikalisch schön anzuhörenden Melodien, die dann bei Bedarf auch gerne mal in große dramatische Orchestereinsätze übergehen.

Allgemein hat man den Abend über oftmals ein vertraut bekanntes Gefühl, obwohl es sich um eine Uraufführung handelt. Das Kindermädchen singt operettenhaft, fast ein wenig schlagerlastig und irgendwie scheint jeder Figur eine bestimmte Art der Oper zugeteilt zu sein. Insbesondere in Kombination mit der wunderbaren Inszenierung von David Hermann, gelingt eine fast schon großartige Hommage an das Genre Oper. Beim Betreten des Saales ist der Vorhang bereits geöffnet, diverse Bühnenarbeiter arbeiten scheinbar noch am Bühnenbild, im Hintergrund werden derweil Vorhänge rauf und runter gefahren. Bis zur Pause ist das Bühnenbild von Jo Schramm vor allem von hinten zu sehen, hinzu kommt ein großer Fliegenpilz, ein Motiv das sich u. a. auch in den Kostümen von Annabella und Giovanni wiederfindet und an der ein oder anderen Stelle später auch nochmal Erwähnung findet. Der erste Akt wirkt hierdurch fast wie eine Märchenoper, die Umbauten des Bühnenbildes bis zur Pause erinnern derweil mehr an die Tradition des altertümlichen Reisetheaters. Des Weiteren fließt in Hermanns Inszenierung auch immer wieder das Aufeinandertreffen von moderner Regietheater-Kulisse auf traditionelles Theater mit ein. Dies klingt erstmal merkwürdig und scheint auf den Fotos auch nicht immer ganz stimmig zu sein, ergibt aber beim Livebesuch einen ganz eigenen Charme.

Auch die Kostüme von Michaela Barth spielen hier mit hinein, es treffen historische Gewänder bei Bergetto und Grimaldi auf den modern gekleideten Großunternehmer Soranzo samt Bodyguard in schwarzem Anzug mit Sonnenbrille und Mikrophon im Ohr. Die Figuren sind hinreißend überzeichnet und bringen eine ganz eigene Komik in den ansonsten nach wie vor dramatischen Stoff. Da alle Darsteller mit einer enormen Spielfreude ans Werk gehen, kommt an diesem Abend nicht einmal Langeweile auf. Im Gegenteil, es macht viel Spaß diese Oper bis zum Ende zu erleben. Nach der Pause wechselt das zuvor absichtlich sehr gestückelte Bühnenbild dann im vierten Akt zur großen Ausstattungsoper, hier wird bei der Hochzeitsfeier auch erstmals das großartige Gesamtwerk in ganzer Pracht von vorne offenbart. Auch das dem entgegenstehenden modernen Bühnenbild, welches vor der Pause nur von der Seite auf großen Gestellen hereingerollt wurde, wird nun im fünften Akt komplett aus der Unterbühne hochgefahren, so dass sich auch hier der Kreis schließt.

Am Pult der Düsseldorfer Symphoniker zeigt Lukas Beikircher einmal mehr, dass man sich in Innsbruck bereits jetzt auf den Herbst freuen kann, wenn Beikircher Chefdirigent der Musiksparte am Tiroler Landestheater wird. Alle Darsteller sind wie bereits erwähnt mit sehr großer Spielfreude am Werk und können auch gesanglich das anwesende Premierenpublikum begeistern. Lavinia Dames (Annabella), Jussi Myllys (Giovanni), Günes Gürle (Florio, Vater der beiden), Bogdan Talos(Mönch), Richard Sveda (Soranzo), Sergej Khomov (Grimaldi), Florian Simson(Bergetto), David Jerusalem (Richardetto), Sarah Ferede (Hippolita), Paula Iancic (Philotis), Sami Luttinen (Vasquez) und Susan Maclean (Amme Putana) erhalten zu Recht zusammen mit dem Kreativ- und Autorenteam rund 10 Minuten begeisterten Beifall für diesen sehr unterhaltsamen Abend. Da nur relativ wenige Termine auf dem Spielplan der Rheinoper stehen, sollte man hier mit dem Blick in den eigenen Kalender nicht allzu lange warten, es wartet ein Opernbesuch der zumindest mir lange in Erinnerung bleiben wird.

Markus Lamers, 20.02.2019