Graz: Fallweise Weltklasse

25. und 26. Juni: Helmut-List-Halle, 28. Juni: Schloss Eggenberg

Die Fülle der Styriarte-Veranstaltungen – in Ausnahmefällen gibt es bis zu vier pro Tag – lässt es nicht zu, über jede einzelne gesondert zu berichten. Daher bietet der Opernfreund Sammelberichte. Das Festival-Motto Tanz des Lebens verbindet thematisch das gesamte Programm. Und wenn man beim Verfassen des Berichts chronologisch vorgeht, dann ergeben sich – über das sehr allgemein gehaltene Motto hinaus – Gemeinsamkeiten, die die Zusammenfassung rechtfertigen. Diesmal wird über drei Abende berichtet: zuerst Ginger&Fred.SOAP, dann Celtic Baroque und zuletzt Der König tanzt.

Der Intendant der Styriarte hat eben einer Tageszeitung ein kluges und lesenswertes Interview gegeben. Daraus sei ein Satz zitiert: Ich habe immer bevorzugt, die Musikvermittlung zum Gegenstand der Programmgestaltung zu machen, und sie nicht hinterher dazuzukleistern.

Das Publikum nimmt diese Programmgestaltung begeistert an – die Veranstaltungen in der über 1000 Plätze fassenden Helmut-List-Halle waren immer ausgezeichnet besucht und natürlich fand auch das Schlossfest seine Fans. Das Programm ist ja wahrhaft bunt: nach der spanischen Eröffnung – der Opernfreund berichtete über die rare spanische Barockoper – folgte Amerikanisches des 20. Jahrhunderts, dann Englisches, Schottisches und Irisches des 17. Jahrhunderts und beim Fest im Schloss Französisches aus der Zeit Ludwig XIV.

Aber der Reihe nach:

Die SOAPs sind seit Jahren ein Publikumsmagnet – aber was ist denn eigentlich eine SOAP? Die Styriarte beschreibt das so: Sie durchbrechen auf ihre eigene Art die unsichtbare Wand zwischen Podium und Publikum – durch Lesung und Musik, Warm-Upper und Großaufnahmen ins musikalische Geschehen. Natürlich werden 2017 Geschichten rund um den Tanz erzählt……Aber mit dem nötigen Augenzwinkern … Denn so leidenschaftlich wie unsere Künstler Musik und Wort präsentieren, so humorvoll bleiben sie dabei. Sie lassen sich vom neugierigen Blick der Kameras auch in ganz privaten Momenten einfangen. Unsere Regie erlaubt sich, dem Publikum auch schon mal ein „Applaus“-Zeichen und andere Hinweise zu geben. Und unser Warm-Upper bringt Sie in jene heitere Grundstimmung, in der man die styriarteSOAPs am besten genießt: als den fröhlichen Teil der Festspiele …

Diesmal ging es um Ginger Rogers und Fred Astaire, das legendäre Traumpaar Hollywoods. Beide haben Autobiographien geschrieben – und beide traten gleichsam personifiziert auf: Susanne Konstanze Weber (drastisch-lebhaft) und Thomas Höft lasen klug zusammengestellte Ausschnitte aus den Biographien, Vesna Petkovic (leider recht ausstrahlungslos) und Matúš Uhliarik (effektvoll) sangen Songs von Gershwin, Berlin u.a. – Conny Leban-Ibrakovic und Dado Ibrakovic waren ein äußerst elegantes Tanzpaar zu den Klängen der ausgezeichneten R.S.wing Band unter der Leitung von Reinhard Summerer, von dem auch die effektvollen Arrangements stammten.

Der Jubel des Publikums in der randvollen Halle war sehr groß – dennoch ist für mich das SOAP-Konzept diesmal nicht aufgegangen – und zwar vor allem aus zwei Gründen:

Ein spezieller Reiz der SOAPs war es bisher immer, große Komponisten (Mozart, Schubert, Beethoven, Mahler, Verdi…) durch bedeutende Schauspielpersönlichkeiten und mit den medialen Mitteln unserer Zeit dem Publikum näher zu bringen. Ginger Rogers und Fred Astaire sind durch das Medium des Films weltberühmt geworden – da bringt der mit bescheidenen Mitteln betriebene Live-Medienaufwand nichts Neues.

Und mein Haupteinwand: Thomas Höft ist seit Jahren ein erprobter und beliebter „Warm upper“, aber als Verkörperung von Fred Astaire ist er einfach nicht geeignet. Er ist kein Schauspieler – etwa vom Rang eines Peter Simonischek (Verdi) oder eines Johannes Silberschneider (Mozart, Mahler), Thomas Höft ist vor allem er selbst und sicherlich nicht das, was er über Fred Astaire im Programmheft schreibt: ein sehr zurückhaltender, stets an sich selbst zweifelnder, aristokratisch-vornehmer Mann. (Siehe dazu das unvergleichliche Original Ginger&Fred im Video )

Der zweite Abend hingegen brachte Weltklasse nach Graz!

Unter dem Titel Celtic Baroque gastierte ein großartiges Ensemble bei der Styriarte: die derzeit wohl weltweit führende Blockflötistin Dorothee Oberlinger tat sich zusammen mit dem exzellenten italienischen Gambisten Vittorio Ghielmi und seinem Ensemble Il-Suonar-Parlante , das diesmal aus Fabio Biale (Violine und die irische Trommel Bodhrán), dem Dudelsackvirtuosen Fabio Rinaudo und der Harfenistin Johanna Seitz bestand.

Das war musikantische Musizierfreude und technische Meisterschaft auf höchstem Niveau

„Masters and Ladies, welcome!” Willkommen im Reich der höfischen Vergnügungen, die im frühen 17. Jahrhundert nirgends üppiger blühten als
am Hof der Stuart-Könige in London. Es war nicht alles englisches Gold, was hier glänzte: Auch die „Reels“ der Iren und die „Highland Dances“
der Schotten erstrahlten dank der königlichen „Private Musick“ in hellem Glanz. Dorothee Oberlinger und Vittorio Ghielmi treten in die
Fußstapfen jener höfischen Elite-Musiker, die keine Berührungsängste mit der „Folk Music“ kannten.

Im sehr lesenswerten Programmheft – siehe den Hinweis am Ende – gibt es umfassende Informationen über die Stücke, sodass ich mich auf die Wiedergabe beschränken kann – und diese war wirklich großartig. Man kennt die Virtuosität der Dorothee Oberlinger – ihr Musizieren verband sich ideal mit den italienischen Erzmusikanten. Oberlinger hat nicht nur den nötigen ruhigen und schier endlosen Atem, um die großen lyrischen, meist melancholischen Melodiebögen zu spannen – etwa bei Henry Purcell. Sie beweist in einem der wohl virtuosesten Beispiel eines „Ground“ im England der Purcell-Zeit – den Diverse Bizzarrie des in England wirkenden Neapolitaners Nicola Matteis – ihre wahrhaft atemberaubende Kunstfertigkeit, die nie zum Selbstzweck wird, sondern immer die Frische des Werks vermittelt. Das Programm enthielt auch Improvisationen und Variationen über irische und schottische Volksmelodien in der Bearbeitung von Vittorio Ghielmi – da kamen die vielfältigen Klangfarben der Bagpipes ideal zur Geltung. Es war ein großer, ein vom Publikum umjubelter Abend. Jenen im Opernfreund-Leserkreis, die Facebook nutzen, sei unbedingt das Kurzvideo empfohlen, das die Styriarte hier mit dem Vermerk anbietet: Zugabe Nummer 3 im famosen Konzert "Celtic Baroque" – bravi!!

Dem kann man sich nur uneingeschränkt anschließen!

Der dritte Abend, über den hier zu berichten ist, war ein vierstündiges Fest für Ludwig XIV. in und um das Schloss Eggenberg – der größten und bedeutendsten barocke Schlossanlage der Steiermark.

Es war überaus reizvoll, nun – gleichsam als Gegenüberstellung zur englisch/schottisch/irischen Barockmusik – Französisches dieser Zeit zu hören: Lully, Marais, Couperin, Hotteterre und weniger bekannte französische Kleinmeister – und das verbunden mit gelesenen Texten, vor allem aber mit Tanz.

Den größten Teil des musikalischen Programms bestritt sehr qualitätsvoll die Neue Hofkapelle Graz (NHG ) unter der straffen Doppelleitung durch die „Maestra di capella“ Lucia Froihofer (Violine) und den „Maestro al cembalo“ Michael Hell, der sich auch als Blockflötist bewährte und sich bei der einleitenden Lully-Ouvertüre des damals üblichen großen, auf den Boden stampfenden Dirigierstabes bediente (Gott sei Dank ohne dabei jenen Unfall zu erleiden, der bekanntlich Lully zu Tode gebracht hatte!). Die beiden waren auch für die wohl gelungene und ausgewogen-überzeugendende musikalische Gesamtkonzeption des Festes verantwortlich.

Zwei gewichtige Programmpunkte wurden im wunderbaren Planetensaal des Schlosses gespielt. In der Mitte des Deckengemäldes strahlt die Sonne (es lohnt unbedingt, sich über die Symbolik der Planetenbilder näher zu informieren) – und unter dieser Sonne trat der französische Spezialist für Barocktanz Bruno Benne als personifizierter Sonnenkönig in mehrfachen Szenen auf – ganz unter dem Motto: Le Roy danse.

Das Eggenberger Deckengemälde stammt übrigens aus dem Jahre 1685 – der legendäre „Sonnentanz“ des damals 15-jährigen Ludwig XIV fand rund 30 Jahre früher statt (Bruno Benne verkörperte geradezu ideal den jugendlichen König) – 1669 trat Ludwig XIV zum letzten Male als Tänzer öffentlich auf. Damals erklang wie heute Lullys „Ballet Royal de la Nuit“, das erst zum 300.Todestag des Sonnenkönigs im Jahre 2015 vom französischen Musikologen Sébastien Daucé rekonstruiert worden war. Wenn sich auch das äußere Erscheinungsbild des prächtigen Schlosses Eggenberg (trotz der enormen Unterschiede in der Dimension) stilistisch eher am Madrider Escorial als an Versailles orientiert, so ist gerade wegen der prächtigen Innenausstattung das Schloss zweifellos prädestiniert für ein Fest für den Sonnenkönig.

Das Publikum – organisatorisch geschickt in acht Gruppen geteilt, die so durch die Räume im Schloss sowie durch Park und Schlossgraben geleitet wurden, dass alle Programmpunkte erlebt werden konnten – war begeistert und feierte alle Ausführenden, ob dies die Neue Hofkapelle Graz mit dem Barocktänzer Bruno Benne war oder der Gambist Lorenz Duftschmid mit dem Lautenisten Rolf Lislevand mit stilvoll-elegantem Marin Marais in der Kirche, die köstlichen Volksmusikanten A lbin Paulus und Roman List mit Dudelsack, Schalmei und Tambour im Schlossgraben oder die Schauspielerin Gabriele Schuchter, die (solange es das Wetter zuließ) im Park aus den Briefen der Schwägerin des Sonnenkönigs – der berühmt-berüchtigten „Liselotte von der Pfalz“ – las und dabei die ideale Balance zwischen drastischer Direktheit und distanzierter Noblesse fand. Nicht zu vergessen sind auch die stilgerechten Kostüme aller Ausführenden – von Bettina Dreissger effektvoll gestaltet.

Und damit komme ich an den Anfang dieses Sammelberichtes zurück.

So wie der Styriarte-Dramaturg Thomas Höft drei Tage davor bei Ginger Rogers & Fred Astaire für Konzeption und Regie verantwortlich war, so war er dies auch bei dem Fest für den Sonnenkönig. Es war eine sehr kluge und anregende Programmzusammenstellung, die das Publikum den König einen Tag lang vom Aufstehen bis zum Schlafengehen begleiten ließ.

Und auch diesmal trat Thomas Höft wieder selbst auf – er war der Maître de Plaisir, der durch die Ensemblestücke leitete und die Auftritte des Königs ankündigte. Natürlich war er auch in dieser Rolle ganz der seit Jahren gewohnte „Warm upper“, aber ehrlich gesagt: als schrulliger, zwar sich selbst stets in Szene setzender, aber sich doch nicht allzu sehr in den Vordergrund drängender Haushofmeister war er diesmal jedenfalls viel eher passend.

Schade, dass das Wetter nicht ganz mitspielte – Beginn und Ende, beides für das Freie geplant, mussten gekürzt werden, aber dennoch: es war ein würdiges Fest mit einem qualitätsvollen künstlerischen Programm. Sicher wird die Wiederholung am zweiten Tage ebenso ausverkauft sein wie die Premiere.

Weitere Styriarte-Sammelberichte für den Opernfreund kann ich gerne ankündigen – das Festival endet ja erst am 23. Juli!

29. 6. 2017, Hermann Becke

Nochmals ein Hinweis auf die informativen Programmhefte, die alle online verfügbar sind:

Programmheft Ginger&Roger.SOAP

Programmheft Celtic Baroque

Programmheft Der König tanzt