Dortmund: „Elektra”

am 17. März 2019

Grandioses Opernerlebnis

In seiner Elektra folgte Textdichter Hugo von Hofmannsthal weitgehend klassisch-griechischen Vorbildern, etwa Sophokles, darin, daß die Bühne oft nur eine Fassade oder einen Innenhof etwa eines Palastes darstellt und die dramatische Handlung wie Kampf, Hysterie und Mord nicht auf der Bühne dargestellt sondern zum grossen Teil in Monologen und Zwiegesprächen erzählt wird. Dadurch eignet sich diese Tragödie in einem Aufzuge gut für eine konzertante Aufführung, in der abstruse Regiemätzchen nicht die grausame schauerliche Handlung verfälschen oder abmildern können.

Auf der anderen Seite wird insbesondere für die Sängerinnen die Aufgabe noch schwieriger, gegen das auf der Bühne platzierte Riesenorchester ansingen zu müssen. Erfand doch bekanntlich Richard Strauss anstelle des bei Sophokles die Handlung kommentierenden Chores einen gewaltigen Orchestersatz mit mehr aus vierzig dann noch variierten Motiven, das alles in kühnster Instrumentation und Harmonik. Weiter erschwerend kam vor allem für die drei grossen Frauen- Gesangspartien hinzu, daß gerade zwei Tage zuvor in derselben Besetzung auch mit dem hr-Sinfonieorchester unter der Leitung von Andrés Orozco-Estrada Elektra in der Alten Oper Frankfurt – vom Hessischen Rundfunk übertragen – aufgeführt worden war.Trotzdem geriet die Aufführung vor allem dank dieser drei zu einem grandiosen Opernerlebnis.

Für die Titelpartie verfügte Elena Pankratova über die Riesenstimme, wie Strauss sie sich wohl für die allerhochdramatischste Sängerin vorgestellt hat. Ohne Schärfe und falsches Vibrato überstrahlten ihre Spitzentöne das Riesenorchester – hier sei als Beispiel das hohe c im ersten Monolog bei königliche Siegestänze genannt – begleitet auch von entsprechender Gestik. Im Rahmen des grossen Stimmumfangs ihrer Partie traf sie auch die tiefen Töne und war soweit überhaupt möglich textverständlich. Dazu gelang es ihr, die Stimmfärbung der jeweiligen Gefühlslage anzupassen etwa Ironie auszudrücken beim Gespräch mit ihrer Mutter oder Aegisth. Sie konnte die Stimme auf kantable Legatobögen zurücknehmen, etwa, als sie ihrer Schwester Hilfe beim Eheglück versprach, oder bei den Orest-Rufen der Wiedererkennungsszene endend mit deutlichem Crescendo beim dritten Mal – zum Weinen schön!.

Wie man nur mit stimmlichen und gestischen Mitteln ganz ohne Bühne einen hier psychisch abartigen Charakter vollendet darstellen kann, zeigte Michaela Schuster als Klytämnestra. Notengenau, textverständlich und in ausgereiftem Spiel besang sie ihre geistige Zerrüttung, ihre verzweifelte Suche nach Linderung auch durch die verhaßte Tochter, ihren psychischen Zusammenbruch bei Ankündigung der Rache durch Orest und schließlich den Triumph bei Nachricht von dessen vermeintlichem Tod.. Als Bespiele seien genannt der lange p-Ton bei was ist denn ein Hauch? oder ihr verzweifeltes zerfallen wachen Sinnes wie ein Kleid zerfressen von den Motten?

Wohl eher kurzfristig übernahm Allison Oakes – darin MET-erfahren – die sympathische Rolle von Elektra´s Schwester Chrysothemis. Da in dieser Aufführung das Orchester manchmal zu laut für ihre Stimme tönte, mußte sie dann forcieren. Sehr schön geriet ihr bei Darstellung der Freuden des normalen Frauenlebens die Vokalise auf Weiberschicksal.

Für den Orest war Michael Volle eine Luxusbesetzung. Völlig textverständlich brachte er mit klangvollem Bariton die Ergriffenheit beim Wiedersehen mit Elektra, die Entschlossenheit zum und auch den Schauder vor dem Muttermord zum Ausdruck. Sein Duett mit Elektra geriet so zu einem Höhepunkt des Abends.

Luxusbesetzung war auch Michael Schade in der kurzen Rolle des Aegisth. Mit helltimbriertem Tenor machte er stimmlich und auch darstellerisch den selbstverliebten eingebildeten Charakter der Figur deutlich.

Die vielen Nebenrollen wurden passend gesungen, wobei unter den Mägden Mandy Fredrich als fünfte und Elektra in Schutz nehmende Magd mit langem g auf königlich besonders punkten konnte. Alle Sängerinnen und Sänger der Nebenrollen wirkten hinter der Bühne bei den Orest-Rufen als Schlußchor mit.

Wenn in der Werbung für die Veranstaltung zu lesen war, für Andrés Orozco-Estrada und sein – ?hr-Sinfonieorchester sei es ein besonderes Vergnügen, sich mit einer konzertanten Oper austoben zu dürfen, war man betreffend Lautstärke des Orchesters etwas skeptisch. Das war zum grossen Teil unnötig, denn Dirigent und Orchester versuchten soweit bei der Partitur überhaupt möglich insbesondere die Stimmen der Sängerinnen nicht übermässig zu strapazieren. Dabei half, was man sonst kaum hört, aber bei einer konzertanten Aufführung zu sehen war, daß Richard Strauss etwa die 24 Geigen und 18 Bratschen in drei Gruppen eingeteilt hat, von denen teils nur eine oder zwei Gruppen spielen. In den Zwischenspielen konnten dann Instrumente solistisch und das Orchester insgesamt ihr Können zeigen, also hier sich austoben! Das galt für die lautmalerischen Abschnitte etwa mit dem Klang der Rute in der Szene der Mägde, dem Klirren der Talismane am Kleid Klytämnestras oder Elektras Graben nach dem Beil. Motivisch war die Vorherrschaft des Agamemmnon-Motivs immer deutlich und dann ganz schneidend zum Schluß zu hören. In der Erkennungsszene klangen Wagner-Tuben zu Orests erstem Auftritt und später die Trompeten mit dem Erkennungsthema wunderbar rund und kantabel.

Richard Strauss schreibt die Tempoangaben häufig auf Deutsch, italienisch und als Metronom-Zahl. Soweit zu hören war hielt sich Andrés Orozco-Estrada in etwa daran. Beim grossen Schlußduett zwischen Elektra und Chrysothemis steigerte er Tempo und mit weniger Rücksicht auf die Sängerinnen die Lautstärke enorm. Elektras ekstatischer Schlußtanz war dann rhythmisch exakt – marcatissimo schreibt Strauss – nochmals eine gewaltige Steigerung bis hin zu den beiden fff-Schlußakkorden.

Darauf konnte das Publikum nur mit fast schon hysterischem Applaus und Bravogeschrei reagieren, besonders natürlich für die Darstellerinnen der Hauptrollen, den Dirigenten und das Orchester.

Sigi Brockmann 18. März 2019

Fotos (c) Pascal Amos Rest