Vorstellung am 6.3.2012
Schwarze Masken
Wer der Opernfreunde im deutschen Sprachraum kennt den slowenischen Komponisten Marij Kogoj und sein Oper „Schwarze Masken“ ??
Ich wußte jedenfalls gar nichts und bin durch die Ankündigungen der europäischen Kulturhauptstadt 2012 Maribor/Marburg auf diese Rarität aufmerksam geworden. Und ich habe ein außergewöhnliches Werk in einer ausgezeichneten Aufführung kennengelernt!
Das wird nun zweifellos ein längerer Bericht – aber ich garantiere dem geduldigen Leser: Es lohnt sich unbedingt, sich mit Werk, Aufführung – und natürlich auch mit der Stadt Laibach – zu beschäftigen!
Also der Reihe nach:
Zum Komponisten Marij Kogoj:
Er entstammt jener unvergleichlichen altösterreichischen Kulturmischung („mishmash“ existiert im Triestinischen als lebendige Vokabel !) – als Slowene geboren 1892 im italienischenTriest, 1914 bis 1917 Studium in Wien bei Ernst Schreker und Arnold Schönberg, nach dem ersten Weltkrieg Musikschriftsteller und Korrepetitor an der Laibacher Oper, ungeheuer beliebter Komponist in den Zwanzigerjahren, gestorben in geistiger Umnachtung im Jahre 1956 in Laibach.
Kogojs Musiksprache ist auch „mishmash“ – eine Mischung von Elementen der Spätromantik, atonaler Musik und frei-schwebender Tonalität. Verhältnismäßig viele seiner Lieder, Chorstücke und musiktheoretischen Aufsätze blieben unvollendet, nicht zuletzt deshalb, weil seine Krankheit sehr schnell voranschritt. Zu Ehren des Komponisten wird auch heute noch in Slowenien alljährlich das internationale Musikfestival »Kogojevi dnevi« veranstaltet.
Zu seinem Hauptwerk „Schwarze Masken“:
Darüber informiert die Marburger Oper auf ihrer Homepage:
„Die Geschichte und das Libretto der Oper Schwarze Masken entstammen aus dem gleichnamigen symbolischen und allegorischen Drama von Leonid Andrejew (einem russischen Autor unter dem Einfluß von Schopenhauer, Tolstoi und Dostojewski) in der Übersetzung von Josip Vidmar ( der übrigens nach dem 2.Weltkrieg unter Tito maßgeblich das slowenische Kulturleben beeinflußte und mit 98 Jahren erst 1992 starb)
Der Protagonist Lorenzo, Herzog di Spadaro, befiehlt, einen Maskenball auf seinem Schloss vorzubereiten, obwohl ihm bewusst ist, dass auch nicht geladene schwarze Masken, die vom Licht angelockt werden, kommen werden. Nach einer Reihe von grotesken Begegnungen mit maskierten Gästen, geladen oder nicht, wird Lorenzo immer mehr zerrüttet und psychisch gespalten. Nachdem er den Teufel herbeiruft, erkennt er seine finstere Vergangenheit und stellt fest, dass er kein Nachkomme des früheren Herzog di Spadaro, sondern eines Stallknechts und der Herzogin sei. Im Zweikampf mit seinem Doppelgänger stirbt Lorenzo. Die Geschichte setzt sich mit der Aufbahrung und danach mit einer erneuten Veranstaltung des Maskenballs fort. Dort erlebt man den psychisch vollkommen besinnungslosen Lorenzo, der nicht einmal seine Frau Francesca mehr erkennt. Die Geschichte endet mit der vollständigen Zerstörung des Schlosses durch ein vom Hofnarr Ecco entfachtes Feuer.“
Zur Produktion:
Die vierte Inszenierung der Oper (nach der Uraufführung im Jahre 1929 gab es in Laibach weitere Inszenierungen in den Jahren 1957 und 1990) entstand in einer Koproduktion der beiden slowenischen Opernhäuser „Opera in Balet SNG Maribor“ und „SNG Opera in balet Ljubljana“und der Europäischen Kulturhauptstadt Maribor 2012. Die Produktion beruht auf der revidierten Fassung der Partitur, die der slowenische Dirigent Uroš Lajovic vorbereitete. Diese neue Fassung ist das Resultat einer fast zwanzigjährigen Arbeit von Gal Hartman, eines Notenstechers aus Laibach. Der Regisseur der Vorstellung ist Janez Burger, ein anerkannter slowenischer Filmemacher, der für seine Arbeit zahlreiche Preise erhielt. Das Bühnenbild bereitete das künstlerische Kollektiv NUMEN mit Ivana Radenović vor, die Kostüme stammen vom international anerkannten Kostümbildner und Modedesigner Alan Hranitelj. Die Premiere der Produktion fand im Jänner 2012 zur Eröffnung des Kulturhauptstadtjahres in Marburg statt, mit März ist die Produktion nun nach Laibach übersiedelt.
Zum Aufführungsort:
Auch dieser ist höchst bemerkens-und berichtenswert. Das Kulturzentrum Cangarjev Dom (benannt nach dem slowenischen Dichter Ivan Cangar) ist wahrscheinlich Laibachs größtes Investitionsabenteuer im kulturellen Bereich des vorigen Jahrhunderts. Der Bau begann 1978 mit dem ersten Saal und wurde modulartig bis 1984 mit weiteren Veranstaltungs- uns Ausstellungsräumen erweitert. Im Gallus-Saal (benannt nach dem aus Laibach stammenden Renaissancekomponisten Jacobus Gallus = Jacob Handl) fand die Aufführung der Schwarzen Masken statt. Das ist ein modernst ausgestatteter Saal mit rund 1400 Plätzen – es lohnt sich, ihn sich auf der Homepage (samt 360°-Panorama!) anzuschauen: http://www.cd-cc.si/default.cfm?Jezik=En&Kat=0405
Und wie habe ich als jemand, der sich zwar in der (spärlich vorhandenen) Literatur vorzubereiten versucht, aber noch nie einen Ton der Musik von Marij Kogoj gehört hatte, die Aufführung erlebt ??
Es ist ein dreistündiges Monsterwerk – großes Orchester samt Klavier, Celesta, Orgel, Mandoline und reichem Schlaginstrumentarium dazu Bühnenorchester, großer Chor, Ballett und eine etwa dreißigköpfige Solistenschar. Werk und szenische Umsetzung sind für mich zu einem überzeugendem Ganzen, zu einem optischen und akustischen Alptraum zusammengewachsen. Sehr hilfreich war die ausgezeichnete Übertitelung (neben slowenisch Gott sei Dank auch englisch). So konnte man dem ausdrucksstarken Text sehr gut folgen. Die Musik Kogojs ist durch üppige, aber nie die Stimmen überwuchernde Orchestrierung gekennzeichnet – große Bögen erlebt man nicht, eher eine Vielzahl von kleinen melodischen Motiven, die sich immer wieder im Gesamten verlieren. Das Irreale, Zerbrechende und Wahnhafte vermittelt sich sehr intensiv – großartig verstärkt und unterstützt durch Bühnenbild und Kostüme. Um nur ein Beispiel konkret zu nennen: der schwarzglänzende Bühnenboden spiegelt alle Aktionen – als Lorenzo auf seinen Doppelgänger trifft, sieht man gleichsam vier Lorenzos…..
Bewunderswert die stimmliche Durchhaltekraft von Jože Vidic als Hauptfigur Lorenzo. Er steht praktisch ununterbrochen auf der Bühne und gestaltet die Partie mit seinem metallischen Bariton überzeugend. Zurecht ist er beim Schlußapplaus der umjubelte Mittelpunkt. Alle anderen (mittleren und kleinen) Rollen sind gut bis ausgezeichnet besetzt. Drei seien besonders erwähnt: der polternde Baß von Saša Čano, der markante Tenor von
Dejan Maksimiljan Vrbančič und der zarte (manchmal an seine Grenzen stoßende) Sopran von Andreja Zakonjšek Krt. Der erfahrene Dirigent Uroš Lajovic hielt das riesige Ensemble mit merklichem Engagement ausgezeichnet und mit großer Rücksicht auf die Stimmen zusammen – der Zuhörer wird in Bann geschlagen und in den Alptraum hineingezogen.
Das Haus war praktisch ausverkauft – man sah ein offensichtlich sehr interessiertes Publikum (darunter viel Jugend), das mit lebhaftem Beifall und Bravorufen dankte.
Schade, dass es das Werk bisher nicht auf Tonträger gibt – es wäre sehr verdienstvoll, könnte die derzeitige Produktion auf CD, vielleicht sogar auf DVD dokumentiert werden. Wer einen akustischen Eindruck von Kogoj gewinnen will, dem kann ich zwei Hiweise geben:
° ein Andante für Violoncello und Klavier findet sich auf:
° sämtliche Werke für Violine und Klavier:
Und letztlich gibt es bereits eine Gesamtaufnahme aller Lieder von Marij Kogoj mit der slowenischen Mezzosopranistin Barbara Jernejcic-Fürst – siehe:
Allerdings ist diese CD bisher nur in Slowenien erhältlich – siehe dazu:
http://www.hartman.si/Izdelek_3206598_MARIJ_KOGOJ_CD_-_SAMOSPEVI.aspx
Und dann muß ich am Schluß ganz einfach noch einen touristischen Hinweis anschließen.
Laibach ist eine Reise wert!
Das was im Klappentext des empfehlenswerten Buchs „Ljubljana – die jugendliche Stadt am Fluß“ zu lesen ist, stimmt ganz einfach:
„Ljubljana – ein neuer Fixstern am Himmel der Städtereisen…Die dynamische Stadt lockt immer mehr, auch internationale, Gäste an. Diese erwartet eine gelungene Mischung aus mediterranem Flair, alpenländischer Gemütlichkeit und – natürlich – den Spuren der k.u.k. Monarchie. Die von Plecniks Architektur geprägte Perle an der Ljubljanica bietet kulturelle Highlights der Spitzenklasse“ – siehe: http://styriaregional.styriabooks.at/article/2743
Es gibt übrigens durchaus auch kulinarische Highlights in einer Vielzahl von hervorragenden Lokalen – nicht versäumen sollte man die tradtionelle slowenische Spezialität „gibanica“
eine in neun Schichten aufgetürmte Speise mit Mohn, Nüssen, Äpfel und Topfen/Quark zwischen Blättern von Mürbteig und Strudelteig – diesmal genossen im urigen und traditionsreichen „Sokol“ (= Falke) – siehe:
Hermann Becke
Bildercopyright liegt bei: SNG Opera in balet Ljubljana