Kurze Formate mit großer Wirkung
Das Berliner LUCKY TRIMMER Festival, berühmt für seine maximal zehnminütigen Tanz- und Performanceformate, feierte im April 2025 im Gallus Theater Frankfurt eine spannende Premiere: Erstmals zog die Festivalcrew mit ihrem bunten Programm aus Tanz und Performance außerhalb der Hauptstadt weiter. Das Ziel: neue Bühnen, neue Begegnungen – und ein noch breiteres Publikum für ihre leidenschaftlichen Miniaturen. Eine „Tanzbrücke“ zwischen der Stadt an der Spree und der Stadt am Main soll laut dem neuen Künstlerischen Leiter Raffaele Irace sogar etabliert werden.

Schon zu Beginn des Premierenabends zeigt sich der experimentelle Geist: In CTRL+Z von Miila Kaarina steckt die Performerin ihren Kopf in einen roten Eimer – ein stilles Bild von Enge und der Sehnsucht nach Befreiung. Zwischen weiteren Eimern entfaltet sich ein intensives Solo über die Fragilität von Erinnerungen und den Wunsch, Vergangenes ungeschehen zu machen. In minimalistischer Szene und mit viel körperlicher Präzision zeichnet die Niederländerin Miila Kaarina eine poetische Landkarte zwischen Festhalten und Loslassen. Leider blieben den nicht in der ersten Reihe sitzenden Zuschauern bei der flachen Zuschauertribüne im Gallus Theater einige der auf dem Bühnenboden stattfindenden Aktivitäten verborgen.
Düster und zynisch geht es mit Beast without Beauty von Carlo Massari weiter. Zwei Performer – Carlo Massari und Emanuele Rosa – liefern sich ein absurd-komisches Duell, in dem Schönheit zur bloßen Fassade verkommt. Inspiriert vom absurden Theater Samuel Becketts und durchzogen von makabren Anspielungen, etwa auf Adolf Hitler, der hier homoerotische Gelüste ausleben darf, schafft Massari eine existenzialistische Farce über Machtspiele, Gewalt und soziale Masken, bei der Kälte und Groteske Hand in Hand gehen. Bei Beethovens Freude schöner Götterfunken scheppern dazu die Lautsprecher.
Ganz auf die Kraft der eigenen Stimme und Bewegung setzt Avshalom Latucha in Give It To Me. Angelehnt an Tina Turners legendären ‚Proud Mary‘-Monolog zelebriert Latucha in seinem Solo die Suche nach uneingeschränkter Selbstentfaltung. Kraftvoll und verletzlich zugleich tanzt er gegen innere und äußere Erwartungen an, während Musik und Körper zu einer einzigen, drängenden Energie verschmelzen.
Nach der Pause begeistert The Coppelia Project von Caterina Mochi Sismondi mit einer außergewöhnlichen Verbindung von Tanz, Kontorsion und „Hairhanging“. Elisa Mutto interpretiert die mechanische Puppe Coppélia als Symbol weiblicher Selbstfindung zwischen äußerer Kontrolle und innerer Freiheit. Rigging-Experte Michelangelo Merlanti ermöglicht die spektakuläre Technik der Haarsuspension als souverän agierender Partner. Die Komponistin und Musikerin Bea Zanin hat die Originalthemen aus Coppélia aufgenommen und sie mit modernen elektronischen Klängen und Live-Violoncello kombiniert.
Sehr feinfühlig dann das Duett As Far As You Go von Aleksandra Krutikova und Johannes Walter: Zwei Körper suchen Nähe, stoßen sich ab, finden sich wieder. In minimalistischer Choreografie, voller Spannung und Hingabe, wird Einsamkeit genauso spürbar wie der Trost, den man im Anderen finden kann – ohne Worte, nur durch präzise, berührende Bewegung. Sanfte Klangflächen treiben wie Nebel durch einen offenen Raum. Leise Vibrationen flüstern von Fernweh und innerer Suche. Die Musik atmet, schwebt – und lässt auch die Stille mitschwingen.
Mit einer mutigen Auseinandersetzung endet der Abend: NO I’M NOT von Panos Malactos ist ein kraftvolles Statement über Machtmissbrauch und psychische Belastung im Tanzbetrieb. Melina Sofocleous, Styliana Apostolou und Natalia Vagena verkörpern den inneren Kampf, zwischen äußerer Perfektion und innerer Zerbrechlichkeit zu bestehen. Malactos‘ Choreografie schont weder sich noch sein Publikum – ein wichtiger, intensiver Abschluss, der die Schattenseiten des künstlerischen Traums sichtbar macht. Eine düstere, elektronische Klanglandschaft, durchzogen von verzerrten Beats und bedrückender Stille, sowie der Einsatz von grellen Lichteffekten verstärken den Ausdruck der inneren Zerrissenheit und des emotionalen Drucks der Künstler.

LUCKY TRIMMER #29 in Frankfurt bewies eindrucksvoll, wie viel Kraft, Vielfalt und Tiefgang in einer zehnminütigen Darbietung stecken können. Mutig, zärtlich, grotesk und politisch – ein Abend, der noch lange nachhallt und Lust auf die Neuauflage im kommenden Jahr macht.
Marc Rohde, 27. April 2025
Lucky Trimmer #29
Frankfurt / Gallus Theater
Internationales Festival für zeitgenössischen Tanz
Gastspiel des Berliner LUCKY TRIMMER Festivals
Besuchte Aufführung am 25. April 2025