Malmö: „La Bohème“, Giacomo Puccini

Liebe. Krankheit, Tod – der Themenbereich von La Bohème ist weder zeit- noch ortsgebunden. Somit gehört Puccinis Erfolgsoper zu den Werken, die ohne Verlust an Glaubwürdigkeit aktualisiert und/oder vom Quartier Latin in Paris an andere Handlungsorte verlegt werden können. So machte es auch die Regisseurin Rodula Gaitanou für diese Neuproduktion in Malmö: Das Ambiente der Bohemiens aus dem Paris der 1830er Jahre (Henry Murgers Vorlage) oder der 1890er Jahre (Entstehung von Puccinis Oper) wurde in die 1960er Jahre nach New York verlegt, die Zeit der großen gesellschaftlichen und künstlerischen Umwälzungen, dargestellt in der Entourage rund um Andy Warhol und Jim Dine. Als Handlungsorte wählten die Regisseurin und ihre Bühnen- und Kostümdesignerin Cordelia Chisholm ganz konkret Warhols THE FACTORY. Hier in dieser Industrieruine hausen die vier jungen Künstler Rodolfo, Marcello, Schaunard und Colline. Die Gemeinschaftsküche wird auch von der Textilkünstlerin Mimì mitbenutzt. Alle vier Akte spielen an diesem Ort, der sowohl die Galerie MOMUS beherbergt (wo Warhol persönlich seine neuesten Werke präsentiert, als auch Marcello im dritten Akt seine eigenen Werke ausstellen darf, inspiriert von seiner Muse Musetta). Das ist alles hervorragend inszeniert, mit einer natürlichen und stimmigen Personenführung, lustig, witzig und am Ende ergreifend tragisch. Einzig die Idee, den Pop Art Universalkünstler Jim Dine als pantomimischen Conférencier zwischen den Akten als hellseherischen Cupido mit Pfeil, Bogen und rosa Flügeln (die er dann vor dem Schlussbild heulend verliert und von seinen Assistentinnen in Schwarz gewandet wird) auftreten zu lassen, wirkt etwas konstruiert. 

© Emmalisa Pauly

Gesungen wird auf hohem Niveau. (Ich liebe ja die kleineren und mittleren Opernhäuser, da gibt es jeweils so viele erfrischende, vielversprechende Stimmen und Darsteller zu entdecken.) Das war auch gestern Abend in Malmö der Fall: An erster Stelle muss man den Tenor Konu Kim in der Rolle des Rodolfo erwähnen. Sein Tenor strömt mit einnehmendem Schmelz, er verfügt über eine sichere, saubere, mühelose Höhe, kommt ohne Drücker und Schluchzer aus. Ganz wunderbar! Ein Sänger, dessen Karriere man gerne verfolgen wird. Yana Kleyn singt eine Mimì mit apartem, sehr schön aufblühendem Timbre. Der leicht herbe Farbton verleiht ihrer Stimme interessante, selbstbewusste Aspekte. Die beiden Stimmen schwingen sich in ihren Zwiegesängen mit Emphase zu begeisterndem, klangmanischem Rausch hoch. Als Musetta und Marcello liefern sich Kseenia Proshina und Richard Hamrin grandiose Dramen zwischen der freigeistigen Muse und dem eifersüchtigen Künstler.

Musettas Walzer im zweiten Akt gerät zum Dahinschmelzen schön, Marcellos Empathie gegenüber dem Schicksal Mimìs und seines Freundes Rodolfo ist von baritonaler Wärme gezeichnet. Solche Empathie bietet auch Kihwan Sim als Philosoph Colline auf (Abschied von seinem alten Mantel). Der Musiker Schaunard wird von Jonah Spungin mit quirliger szenischer und stimmlicher Präsenz interpretiert und sorgt mit seinen Einnahmen für das körperliche Wohl in der Wohngemeinschaft. Nils Gustén als von den Künstlern übertölpelter Benoît und Bengt Kranz als ebenso übertölpelter reicher Verehrer Musettas, Alcindoro, ergänzen hervorragend das spielfreudige Ensemble. Der zweite Akt in der Galerie, wo Musetta ganz ohne Scham die aufgeblasenen Kunstwerke Warhols mit ihren langen Fingernägeln platzen läßt, ist grandios inszeniert, und die Statisten, der Chor der Oper Malmö und der exzellent singende Kinderchor tragen zusammen mit dem Malmö Operaorkster unter der straffen, feinfühlig zwischen Emphase und Innigkeit disponierender Leitung von Alexander Joel entscheidend zum Publikumserfolg der Aufführung bei. Großer Jubel.

Kaspar Sannemann, 16. Mai 2025


La Bohème
Giacomo Puccini

Oper Malmö

14. Mai 2025

Regisseurin: Rodula Gaitanou
Leitung: Alexander Joel
Malmö Operaorkster