Uraufführung am 23.11.2016
Musiktheater aus Songs
Ist es eine Schande, wenn ein Opernfreund bis vor kurzem keine Ahnung hatte, wer Peter Fox ist, dass dieser 2008 ein sehr erfolgreiches Album mit dem Titel „Stadtaffe“ und 2009 mit dem Titel „Live aus Berlin“ herausgab, dass „Schwarz zu Blau“ (der Berliner Himmel während der Heimkehr aus Klubs und Kneipen) schon beinahe den Status der „Berliner Luft“ erreichte? Auch eingestehen muss so mancher Opernfreund, dass er bis heute nicht wusste, wie viele Platin-Schallplatten der Künstler allein in Deutschland hatte (12), dass man ab 27.11. die DVD mit dem Konzert aus der Berliner Wuhlheide von 2009 beziehen kann, dass Fox seit 1998 Sänger der Reggae/Dancehall Grupp Seeed ist und 2009 sowie 2010 Echos für das beste Album zugesprochen bekam. Zur Kenntnis nehmen sollte der Opernfreund auch, dass Peter Fox Sieger beim Bundesvision Song Contest 2009 wurde.
Die Neuköllner Oper hatte, nach über 170 Ur- und Erstaufführungen seit der Gründung kein Wunder, nie Berührungsängste und war stets dem Cross Over zugetan. Für John von Düffel und Fabian Gerhardt schienen sich die Songs geradezu zwanglos zu einer Geschichte zu fügen, der eines Nachtschwärmers, der nicht nur das Bewusstsein nach durchfeierter Nacht verliert, sondern auch Personalausweis und Smart-Phon und damit seine Identität. Rabiat wird er im Krankenhaus behandelt, verliert sich in Träume und Halluzinationen, in denen ihm die längst verlorenen gegangene Frau und der seit zehn Jahren tote Freund begegnen, aber auch ein Affenkönig, nachdem er selbst von der überrobusten Krankenschwester zum Affen erklärt wurde. Realität und Traum überschneiden einander, und es bleibt offen, was das eine und was das andere ist. „Ein Trip mit den Songs von Peter Fox‘ „Stadtaffe“ nennt sich die Unternehmung, die kein Musical sein will und dessen vorhersehbares happy end auch ebenso vermeidet wie die Gefälligkeit der Gattung. Das vorwiegend jugendliche Publikum reagierte voraussehbar so, als sehe es sich selbst auf der Bühne und brach am Ende in großen Jubel aus.
Die Bühne von Michael Graessner zeigt ein Krankenzimmer mit schiefen Wänden, symbolisch für die Verrückt-heit des F., mit dessen Initiale offensichtlich Peter Fox gemeint ist. Seile und kleine Podeste überspannen die Bühne und geben den Mitwirkenden reichlich Gelegenheit zu äffischem Gebaren, die sie mit geradezu akrobatischen Fähigkeiten wahrnehmen. Im Hintergrund und an den Bühnenseiten laufen Filmsequenzen von Vincent Stefan, die nie Selbstzweck, sondern stets passend zur jeweiligen Situation sind, eingeschlossen die Wirkung von reichlich genossenem Rauschgift. Bereits das Album, an dem das Filmorchester Babelsberg mitwirkte, wartete mit einer für diese Musik ungewöhnlichen Orchestrierung auf. An der Neuköllner Oper gibt es neben Keyboard und Drums ein Streichquartett, die Arrangements stammen von Fred Sauer, der auch die musikalische Leitung übernommen hat, neben den vom Schlagzeug bestimmten Teilen kommen so auch mehr ätherische Klänge zur Geltung. Fabian Gerhardt hat auch die Inszenierung übernommen und sorgt für einen pausenlosen, temperamentvollen, doppelbödigen, zwielichtigen und stets interessant bleibenden Abend von anderthalb Stunden Dauer.
Keinerlei Ausfall gibt es bei den sechs Darstellern. Wahrscheinlich kannte ein Großteil des Publikums die Texte auswendig, aber auch diejenigen, bei denen das nicht der Fall war, konnten wegen der durchweg guten Diktion Gesprochenes wie Gesungenes verstehen. Die Gesangsnummern werden durch Mikros verstärkt, so dass eine Beurteilung der Stimmen nicht ganz einfach ist. Anton Weil spielt und singt mit farbigem Bariton einen bühnenbeherrschenden F.. Mit etwas rauerer, reizvoller Stimme und ebenso hingebungsvollem Spiel ist Sohel Altan Gol der untote Freund Zaza. Ein Wunder an Wandlungsfähigkeit ist Sergej Lubic als King, Bettler und Arzt. Eine gut tragende Sprech- wie Singstimme hat Amy Benkenstein für die Lea und die Königin, Rubini Zöllner merkt man die vielseitige Bühnenerfahrung, di ihre Vita verriet, in Gesang wie tänzerischem Einsatz an, und Achan Malonda steuert dunkle Töne als Krankenschwester und Erste Lady bei.
Man braucht keine prophetischen Gaben, um voraussagen zu können, dass diese Produktion ein Riesenerfolg wird. Die ersten Abende sind bereits ausverkauft, Vorstellungen sind bis in den Januar hinein vorgesehen.
Fotos Matthias Heyde
24.11.2016 Ingrid Wanja