Premiere: 06.06.2021, besuchte Vorstellung: 10.06.2021
Stimmcontest mit vielen Siegern
Lieber Opernfreund-Freund,
nach mehr als sieben Monaten darf ich Ihnen wieder schreiben und es freut mich besonders, dass ich das von der konzertanten Aufführung eines meiner Lieblingswerke tun kann: Cileas Adriana Lecouvreur wird derzeit konzertant am Staatstheater Oldenburg unter Coronabedingungen gegeben und der Abend gerät zum regelrechten Sängerfest.
Die Sitzplätze sind dezimiert – nicht nur weil zwischen den Platzpärchen jeweils unbesetzte Sitze frei bleiben, sondern weil im Parkett jede zweite Stuhlreihe komplett fehlt; die zehn Sänger sind durch Plexiglasscheiben voneinander getrennt, beim Auf- und Abtreten maskengeschützt; die Musiker sind ungewohnt weit voneinander entfernt auf der Bühne dahinter platziert – und doch wirkt nichts gekünstelt an diesem Abend. Das Ensemble hat sichtlich Freude daran, wieder auftreten zu dürfen und auch das Publikum hält sich akribisch an die Vorgaben. „Hauptsache wieder Live-Theater“ möchte man denken oder „Sie haben Ihr Ziel erreicht“, wie eine der entsprechend markierten Sitzplätze verkündet. Mit kleinen Requisiten, wie beispielsweise dem Veilchenstrauß, an dem die Titelheldin am Ende stirbt, oder dem Armband, das die Fürstin bei ihrer Flucht verliert, belebt das Ensemble die Konzertversion der Oper, die nördlich der Alpen noch immer eher als Rarität gilt. Dass mir dabei ausgerechnet eine konzertante Aufführung im Vorspiel zum Finalakt erstmals visualisiert, wie die Fürstin das Bouquet vergiftet, um ihre Rivalin um die Ecke zu bringen, ist dabei ein besonderes Schmankerl.
An akustischen Schmankerln reich ist auch die Darbietung: Lada Kyssy zieht in der Titelrolle sämtliche Register, betört mit bezauberndem messa di voce ihres dunkel gefärbten Soprans, glänzt in den Höhen und brilliert in den affektierten Ausbrüchen der Diva, die sie darstellt. Ihre Gegenspielerin beim Kampf um die Gunst von Maurizio, die mächtige Fürstin von Bouillon, findet in Ann-Beth Solvang eine ideale Gestalterin. Die Norwegerin punktet mit kehliger Tiefe, immensem Ausdruck und stimmlicher Power, so dass man fast bedauert, dass sie ihre Figur nicht auch im Spiel darstellen darf. Das Finale des zweiten Aktes gerät zur regelrechten Stimmschlacht der beiden Damen, aus der beide als Siegerinnen hervorgehen. Jason Kim hält als Maurizio mit geschmeidig weichem Tenor dagegen, beeindruckt mit unglaublichem Atem und immensem Gefühl. Kiyun Yoon zeigt als Theaterchef Michonnet direkt in den ersten Phrasen, wo der stimmliche Hammer hängt, kontrolliert seinen imposanten Bariton aber in den leiseren Passagen zu einfühlsamem Piano und zeigt so die enorme Bandbreite seiner vokalen Fähigkeiten.
Auch die kleineren Rollen sind toll besetzt: Martyna Cymerman, Erica Back, Henry Kiichli und Ihor Salo übernehmen nicht nur das kokette Quartett aus der Comédie-Française, sondern auch den Chorpart im dritten Akt und Ill-Hoon Choung schlägt sich tapfer als Fürst. Herausragend sind die Qualitäten des Opernstudiomitglieds Johannes Leander Maas, der mit seiner Interpretation des Abbé von Chazeuil Lust darauf macht, mehr von dem jungen Tübinger zu hören. Am Pult führt Vito Cristofaro, seines Zeichens 1. Kapellmeister und Stellvertreter des GMD, durch den Abend. Der Italiener lässt beschwingt aufspielen, scheint sich aber vor allem in den emotionsgeladenen Passagen wohl zu fühlen und kostet diese regelrecht aus, würzt dabei beinahe mit zu viel Pathos, präsentiert aber dennoch ein differenziertes Dirigat von Cileas farbenreicher Partitur. Ein voller Erfolg also für alle Beteiligten!
Ihr
Jochen Rüth
13.6.2021
Die Fotos stammen von Stephan Walzl.