Premiere am 26.2. und 1. Rep. 1.3.2015
Nach einer überaus phantasievollen und auch beim internationalen Wagner-Publikum erfolgreichen Neuinszenierung von Richard Wagners “Ring des Nibelungen“ in den vergangenen Jahren, der übrigens Mitte September diesen Jahres am Festspielhaus Füssen im Schatten der Königsschlösser Neuschwanstein und Hohenschwangau gezeigt werden wird, hat sich der Direktor der Nationaloper Sofia, Acad. Plamen Kartaloff, nun Wagners opus summum, „Tristan und Isolde“ vorgenommen. Es wurde ebenso wie beim „Ring“ die Erstaufführung dieses Werkes in Bulgarien – 150 Jahre nach der Uraufführung! Das allein zeigt schon, welch große Momente die Nationaloper Sofia unter der visionären und engagierten Führung Kartaloffs in diesen Jahren, und das nicht nur hinsichtlich des Oeuvres des Bayreuther Meisters, erlebt.
Hatte Richard Wagner „Tristan und Isolde“ unter anderem auch aus der Überlegung heraus komponiert, mit einer vermeintlich relativ leicht zu spielenden Oper – nur wenige große Sänger sind erforderlich – seiner prekären finanziellen Situation abzuhelfen und das Werk gar nur als eine „Handlung in drei Aufzügen“ bezeichnet, machte Plamen Kartaloff mit seinem Bühnenbildner Miodrag Tabacki sowie dem Licht-Designer Andrei Hajdinjak, dem Multimedia-Designer Georgi Hristov und dem geschmacksicheren Kostümbildner Leo Kulas daraus nun ein Musikdrama im besten Sinne des von Wagner geschaffenen Begriffs des Gesamtkunstwerks. Selten, wenn überhaupt, war bei diesem dramaturgisch ja nicht immer besonders handlungsintensiven Werk ein solch intensives thematisches Ineinanderwirken von Szene – hier besonders einem sehr variablen Bühnenbild – gesanglicher Gestaltungskraft und Musik zu erleben. Kartaloff wählte diese Interpretation aus der Überzeugung heraus, dass Wagners „poetisches Meisterwerk“ in einer verständlichen, emotionalen, dynamischen und musikalisch expressiven Theatersprache zu gestalten sei. In Anlehnung an die Ausführungen Schopenhauers zur Rolle der Musik in der Oper war es dem Regisseur ein Herzensanliegen, ihren tiefen philosophischen Charakter zur Grundlage der Regiearbeit zu machen: Diese Musik sollte in der Optik und Dramaturgie auf der Bühne in sublimer und poetischer Form sichtbar werden, und zwar mit einem Duktus, der den Zuschauer auf ganz natürliche Weise nachvollziehen ließ, wie eine große romantische Liebe nach einer alten Legende wieder auflebt.
Daran hat sich Kartaloff den ganzen Abend stringent gehalten – und dazu sogar einen theatralischen Prolog geschaffen. Noch bevor das Vorspiel zum 1. Aufzug anhebt, gewahren wir in einem nebeligen Grau vergangener Tage, wie die Könige von Irland und Kornwall dem fatalen Kampf Tristans und Morolds zusehen – mit erklärenden Übertiteln. Isolde erkennt sodann an Tristans Schwert, wer ihren Verlobten getötet hat und erhebt es gegen ihn – der ihr genau in diesem Augenblick in die Augen sieht… Die Szene endet mit der durch Irlands König abgesegneten Überfahrt Isoldes mit Tristan nach Kornwall. Wenn auch der Kampf etwas weniger plastisch hätte ausfallen können, so war das doch eine ebenso ungewöhnliche wie beeindruckende Idee, in die Szene des 1. Aufzugs einzuführen, zumal der größte Teil des bulgarischen Publikums das Werk zum ersten Mal erlebt haben dürfte.
Die Inszenierung lebt sodann in großem Einklang mit der Musik von stimmungsbezogenen Farbspielen, die manchmal an jene Heiner Müllers bei seinem Bayreuther „Tristan“ erinnern. Der Bühnenboden ist in mehrere Segmente unterteilt, die fast unmerklich gegeneinander verschoben werden und damit ständigen Wandel in der Optik bieten, immer in Einklang mit der jeweiligen Handlung. So kommt der Seemannschor schemenhaft aus einem Spalt aus dem Untergrund wie eine Warnung der Realität gegenüber der beginnenden Annäherung Tristans und Isoldes. Wenn diese allerdings den Liebestrank getrunken haben, bildet sich im Zentrum ein rotierendes Podest, auf das sie sich unmittelbar begeben – es stellt fortan „ihre“ Welt, gewissermaßen ihre Insel in dieser für sie so feindlichen Umgebung dar, in der während des 2. Aufzugs immer wieder Melot spionierend herum streicht. Während bei Heiner Müller die tristen Brustpanzer die ganze Konvention und Enge am Hofe König Markes ausstrahlten, lässt Kartaloff den König am Ende des 1. Aufzugs in überbordendem Ornat völlig versteift wie eine museale Figur auf die Bühne fahren. Auch Isolde ist zu Beginn des 2. Aufzugs in ein überdimensionales Stanniol-Korsett gezwängt, das sich über die ganze Vorderbühne ausbreitet – es wirkt wie ein riesiger Keuschheitsgürtel. Dazu halten neun junge Damen des Balletts Wache, die sich später auch an Tristans Krankenlager finden. Ein surrealistisch anmutender Wachtturm, ebenfalls die feindliche Umgebung der beiden Liebenden charakterisierend, dient später als Beobachtungsposten für König, Melot und Gefolge. Marke verabschiedet sich vor dem Gang zur Jagd überaus formell von seiner neuen Ikone, die offenbar jedem unerlaubten Zugriff entzogen sein soll. Das ändert sich schlagartig, nachdem die an der Wand abgebildete mondäne Leuchte erloschen ist und sich Isolde bei Tristans Auftritt aus dem Kostüm zwängt. Unmittelbar tritt zunächst wieder herzliche Menschlichkeit in der Begrüßungsszene ein. Was man in Sofia als Liebesduett nun zu sehen bekommt, könnte man als eine äußerst phantasievolle romantisierende Apotheose der Liebe bezeichnen, und es ist zweifellos der Höhepunkt des Abends. Kartaloff lässt die beiden auf zwei Hebebühnen zu schillernder romantischer Optik in die Höhe schweben. Beim Höhepunkt des Duetts scheinen sie wirklich dieser Welt entzogen, und das Konzept des Regisseurs, die ganze Poesie und Philosophie in Wagners Musik zu zeigen, geht hier voll auf.
Im 3. Aufzug erscheint Tristan als Leidender im weißen Büßerkleid, sorgsam von Kurwenal betreut. Einen besonderen Akzent setzt hier der Hirte, den der Regisseur als den nahenden Tod in seinem kleinen Nachen darstellt, der immer wieder aus dem Bühnennebel an Tristans Krankenlager auftaucht. Auch das gesamte Englischhorn-Solo ist von diesem guten Einfall begleitet, der die Tristesse der Situation bildhaft untermauert. Die Szenen erinnern an Böcklins „Toteninsel“. Der finale Kampf gerät mit sechs Kampf-Statisten wieder etwas plastisch, aber all das hindert Tristan und Isolde nach deren Liebestod nicht, in inniger Umarmung auf ihrem kleinen Podest, ihrer Insel des Glücks, in die Welt der unbesiegbaren virtuellen Liebe zu entschweben…
Wieder konnte man in Sofia einen Abend erleben, an dem alle Sängerdarsteller ihr jeweiliges Rollendebut gaben. Das ist als Hintergrund vor den gezeigten Leistungen zu betonen, obwohl diese in vielen Fällen ganz ausgezeichnet waren. Der bewährte Richard Trimborn hatte wieder die musikalisch-sprachliche Einführung in die Rollen vorgenommen. Martin Iliev, der Siegmund und „Götterdämmerung“-Siegfried des Sofioter „Ring“, sang einen – ganz zur Dramaturgie passend – leicht depressiven Tristan mit großer vokaler Präsenz, Musikalität und guter Diktion, sicher in der Höhe, im Halten auch der langen Bögen und mit einem schönen, leicht abgedeckten Timbre in der Mittellage. Er ist auch zu ansprechendem Legato fähig („Isolde, wie schön bist du!“). Radostina Nikolaeva gab ihre erste Isolde mit einer lyrischen und eher an den italienischen Gesangsstil erinnernden Note mit voller, leuchtender Mittellage und auch großer Leichtigkeit in den Höhen. Die beiden hohen Cs im 1. Aufzug waren ebenso wie die tückischen Höhen in der Begrüßungsszene des 2. Aufzugs perfekt. Wie Iliev ist auch sie ein ganz großes Talent für diese so bedeutende Rolle. Die Sofioter „Walküre“- Brünnhilde, Bayasgalan Dashnyam, sang die Brangäne, sicher etwas überraschend für die Besetzung dieser Mezzorolle, die eigentlich gegen die Isolde dunkel abgesetzt sein sollte. So fühlte sie sich besonders wohl im 1. Aufzug, sang auch die beiden Rufe sehr klangvoll. Im Zwiegespräch mit Isolde im 2. Aufzug offenbarten sich jedoch in den tieferen Lagen gewisse klangliche Defizite. Dashnyam spielte ebenso wie Nikolaeva ihre Rolle mit großem Engagement und viel Emphase. Angel Hristov sang den König mit voluminösem Bass, der aber in den dramatischeren Momenten etwas an Klangfülle einbüßte und es an Phrasierung missen ließ. Veselin Mihaylov spielte einen umtriebigen Melot, dem Tristan das Schwert zur Selbstverletzung entriss. Plamen Papazikov sang die Stimme des jungen Seemanns etwas dunkel, aber mit viril unterlegtem Tenor. Krasimir Dinev gab den skurrilen Hirten als Tod mit leichter Stimme, und Nikolay Petrov komplettierte als Steuermann. Der von Violeta Dimitrova einstudierte Chor sang stimmkräftig, aber teilweise etwas zu rau. Bei Biser Georgiev, dem beherzten und engagierten Kurwenal, machte sich im Laufe des Abends eine starke Indisposition bemerkbar – auch in Sofia ging die Grippewelle um.
Für den musikalischen Leiter Constantin Trinks war dieser „Tristan“ ebenfalls ein Debut, das letzte Werk Wagners, welches ihm noch fehlte. Davon merkte man aber gar nichts. Mit sehr ruhiger, ja bedachtsamer Hand und unglaublich viel Gefühl für die Sänger ließ er die wunderbare Musik Wagners in vornehmlich zarten und lyrischen Tönen erklingen. Sehr getragen begann bereits das Vorspiel zum 1. Aufzug. Trinks kam es offenbar auf die psychologische Detailzeichnung an, damit dem Konzept Kartaloffs entgegen kommend, obwohl er dann auch gute und stets transparent und sorgsam gestaltete Staffelungen für die diversen Steigerungen und Höhepunkte dirigierte. Trinks und das Orchester der Oper Sofia bekamen für die gute musikalische Leistung auch einen starken Auftrittsapplaus vor dem 3. Aufzug. Auch am Schluss zeigte sich die Begeisterung des Publikums durch lang anhaltenden starken Applaus für alle Beteiligten. Mit diesem neuen „Tristan“ hat die Oper Sofia nach dem „Ring“ einen weiteren Eckstein zu einer bemerkenswerten Belebung des Ouevres von Richard Wagners in Bulgarien gesetzt.
1. Reprise am 1.3.2015
Mittlerweile hatte die Grippe auch Constantin Trinks heimgesucht, sodass er sich nach dem ersten Aufzug durch den ohnehin für eine spätere Reprise vorgesehenen Dirigenten Velizar Genchev, der das Stück auch mit dem Orchester einstudiert hatte, ersetzen lassen musste. Auch für Genchev, schon weit in den Sechzigern, war es eine Werks-Premiere! Er legte weit mehr als Trinks wert auf Expressivität und Dynamik, gegen Ende des 3. Aufzugs geriet allerdings manches zu laut. Es gab drei wichtige Zweitbesetzungen. Die Sieglinde des Sofioter „Ring“, Tsvetana Bandalovska, übernahm die Isolde und fiel gegenüber der Premierenbesetzung signifikant ab. Die Stimme, trotz guter Höhensicherheit, hat noch nicht ausreichend Volumen und Mittellage für die große Rolle, was auch zu einer unzureichenden Phrasierung und Wortdeutlichkeit führte. Mit etwas mehr Zeit und Erfahrung mag Bandalovska jedoch in die Rolle der Isolde hineinwachsen. Der junge Atanas Mladenov ersetzte des erkrankten Biser Georgiev als Kurwenal und überzeugte mit seinem hellen, sehr musikalischen und klar artikulierenden Bariton sowie großer Spielfreude. Petar Buchkov war nun als Marke zu hören, sang ähnlich wie Hristov mit einem voluminösen Bass, der aber mit etwas mehr Phrasierungskunst ausdrucksvoller hätte klingen können. Daniel Ostretsov sang nun den Melot mit seinem ins Charakterfach weisenden Tenor, den er schon als Loge im Sofioter „Rheingold“ vorstellte. Beeindruckend war wieder, wie Martin Iliev den Tristan nicht nur vokal, sondern auch konditionell nach nur zwei Tagen Ruhe wieder meisterte. Der Heldentenor Peter Svensson sang diese Rolle dann noch in der vorletzten Reprise.
Klaus Billand 15.3.15
Foto: Svetoslav Nikolov