Premiere am 25.10.2013
Flotte Boulevard-Komödie zur Ergötzung des Publikums
La Cenerentola (Cendrillon, Cinderella) ist ein Märchen, das Charles Perrault in seiner Sammlung „Contes de Fées“ der Nachwelt überliefert hat. Durch die Hugenotten ist es auch nach Deutschland gelangt, wo es durch die Brüder Grimm als „Aschenputtel“ neu erfasst wurde. Aber mit der Oper La Cenerentola wird kein Märchen erzählt, sondern eine Parodie auf die Gesellschaft des frühen 19. Jahrhunderts gegeben. Rossinis Librettist Jacopo Ferretti hat das Stück von allem Märchenhaften der Perrault-Vorlage befreit, es zu einer Karikatur der heruntergekommenen Gesellschaft gemacht und dabei auch den moralischen Zeigefinger nicht vergessen: In La Cenerentola ossia la bontà in trionfo (Aschenputtel oder der Triumph der Güte) werden wahre Liebe und Innigkeit der Gefühle mit Geldhochzeit, Oberflächlichkeit, Anmaßung , Vorurteilen und Standesdünkel konfrontiert. Heute nennt man so etwas Sozial- oder Gesellschaftskritik, dem bierernsten Abkömmling von heiterer Ironie und Parodie, die sicher den Schöpfern des Werks vorgeschwebt haben. Mit dem offensichtlichen Schwerpunkt des Opernstoffs auf den gesellschaftlichen Zuständen eröffnet sich für jeden Regisseur die Möglichkeit, das Stück in eine Umgebung zu verorten, wo ihm am meisten dazu einfällt.
Hendrickje van Kerckhove (Clorinda), Ugo Guagliardo (Alidoro), Maite Beaumont (Angelina), Sophie Pondjiclis (Tisbe)
Aber der Regisseurin Sandrine Anglade geht es weniger um bierernste Gesellschaftskritik, sie sieht vielmehr in dem Stoff eine flotte Boulevard-Komödie zur Erheiterung und Ergötzung des Publikums, die sie mit überkommenen Mitteln der Operettenregie der sechziger Jahre inszeniert. In diesem Sinne werden allen Personen, auch den eigentlich bösartigen oder nur albernen, auch Sympathiewerte zugeteilt: „Bitte nicht wehtun!“ ist das Motto, und Moralin kommt nur sanft am Ende vor. In der stets bewegten Szene werden Bewegungsmuster von Revue und Operette reaktiviert, denen sich dekonstruierende Theaterregisseure seit einem halben Jahrhundert nicht mehr bedient haben: quertanzende Darsteller oder rotierende Regenschirme seien pars pro toto genannt. Man amüsiert sich. Man kann das als platte Unterhaltung auffassen oder als Parodie auf die Parodie. Wirklich originelle Regieeinfälle bleiben die Ausnahme, Slapstick ist erlaubt. Zum Ende gibt es für das glückliche Paar sogar eine Kutsche für die Hochzeitsreise.
Hendrickje van Kerckhove (Clorinda), Umberto Chiummo (Don Magnifico), Sophie Pondjiclis (Tisbe)
Die geeignete Szenographie für das Geschehen hat Claude Chestier entworfen, der auch für die einfallsreichen Kostüme verantwortlich zeichnet. Das sind Fantasiekreationen mit Bezug zur Jetztzeit. Sechs große begehbare Schränke werden auf der Bühne so verschoben und angeordnet, dass sich für jede Szene die entsprechende Spielfläche imaginieren lässt, wobei die Szenenwechsel jeweils noch durch Lichteffekte (Lichtregie: Èric Blosse) beglaubigt werden. Die Charakterisierung des darstellenden Personals verbleibt überwiegend im Traditionellen; lediglich Don Magnifico di Montefiascone erfährt eine originelle Zeichnung als Erzbuffo, dem es auf nichts so ankommt wie auf seine eigenen kleinen Annehmlichkeiten. Da gewinnt er sogar an Sympathie. Der grau uniformierte Chor lief in einem Einheitsmuster jeweils von hinten auf die Bühne auf; die Choristen trugen dabei immer zur Erleuchtung bei: mit leuchtenden Bordeleserflaschen in der Hand, richtigen Laternen oder großen Leuchtkragen.
Bogdan Mihai (Don Ramiro), Maite Beaumont (Angelina)
Rossini hat bekanntlich 1829 das Opernschreiben eingestellt, bevor alle Welt feststellen würde, dass er doch immer nur die gleiche Oper schreiben könne, (wie spitze Zungen behaupten). Er widmete sich dann dem Kochen und schadete seiner Gesundheit mit Wohlleben. Mit der Cenerentola-Musik, etwa in der Mitte seines Opernschaffens (UA 1817), schöpft Rossini aus dem Vollen und verbindet seine klassizistische Routine mit besonderem Schmelz und Inspiration. Obwohl er an der Kompositionsarbeit auch seine Assistenten beteiligte, entstand musikalisch eines seiner schönsten Werke, das sich durch viel Raffinesse auszeichnet – bestimmt nicht eine von den vielen „immer gleichen“ Rossini-Opern. Darin liegt sicher auch ein Grund für die Beliebtheit des Werks. Enrique Mazzola fing den Esprit der Musik sehr gut ein und kam mit dem Orchestre symphonique de Mulhouse zu einem inspirierten Klang mit sehr viel Wärme, wozu die gute Akustik des Straßburger Theatersaals wesentlich beitrug. Federnd und schwungvoll kam dieser Rossini des konzentriert arbeitenden Orchesters daher. Der von Michel Capperon bestens präparierte Herrenchor sang die Zungenbrecher mit einer vorzüglicher Präzision und erstaunlicher Textverständlichkeit.
Hendrickje van Kerckhove (Clorinda), Maite Beaumont (Angelina), Edwin Crossley-Mercer (Dandini), Umberto Chiummo (Don Magnifico), Bogdan Mihai (Don Ramiro), Sophie Pondjiclis (Tisbe)
In La Cenerentola gibt es keine Nebenrollen, aber sehr viele Ensembles, so dass für Bravour-Arien nicht sehr viel Raum bleibt. Sehr sängerfreundlich hat die Regie gerade diese Ensembles gefasst, denen, wenn zudem gleichzeitig eine Stretta gestaltet werden muss, nicht zeitgleich noch rasende Bewegungen zugemutet werden, so dass sie sich auf den Gesang konzentrieren können, auch wenn der Maestro gerade wieder einmal das Tempo anzieht. Und das geschieht sehr häufig. So blieben Bühne und Graben trotz der teilweise ehrgeizigen Tempi fast immer präzise im Takt. Textverständlichkeit und schauspielerische Beweglichkeit sind in einer Rossini-Buffo wichtige Qualitäten der Darsteller. Die Opéra du Rhin hatte diesbezüglich an diesem Abend viel zu bieten, dazu ein hohes homogenes stimmliches Niveau des Darstellerseptetts.
Ugo Guagliardo (Alidoro), Maite Beaumont (Angelina), Bogdan Mihai (Don Ramiro), Chor
Maite Beaumont begeisterte als Angelina mit ihrem wunderbar samtigen Mezzo, mit klaren und fokussierten Linien über den ganzen großen Stimmumfang, schöner Farbgebung und inniger Interpretation. Edwin Crossley-Mercer überzeugte in gleicher Weise als Dandini. Er spielte ihn mit Hingabe und verlieh ihm mit kernigem, klarem Bassbariton von bester Diktion stimmlich Statur. Bogdan Mihai als Don Ramiro gefiel mit hellem Belcanto-Tenor, sauberer Linienführung, dabei klar und intonationssicher ohne jegliche Schärfe. Obwohl er nicht über eine große Stimme verfügt, brauchte er in dem „gemütlichen“ Theatersaal nie zu forcieren. Erzkomödiantisch erschien Umberto Chiummo als recht jugendlicher Don Magnifico di Montefiascone; sein leichtgängiger eleganter Bassbariton rundete seine gute Leistung auch stimmlich ab. Ugo Guagliardo blieb als Alidoro hingegen darstellerisch blass, kam mit den Rezitativen nicht gut zurecht, gefiel aber in den schön vorgetragenen lyrischen Bass-Passagen. Stimmlich und darstellerisch stark kontrastierend die quicklebendige Hendrickje van Kerckhove als Clorinda mit hellem, leichtem und sehr beweglichem Sopran und der ausladende dunkle Mezzo von Sophie Pondjiclis als Tisbe. Sie spielten die mehr eitlen als böswilligen Schwestern sehr lebendig in besonders schöner Ausstaffierung.
Langanhaltender begeisterter Beifall aus dem voll besetzten Haus beendete diesen sehr unterhaltsamen Opernabend. Die Aufführung wird bis zum 5. November noch fünf Mal im Straßburger Opernhaus gegeben und geht dann für weitere Aufführungen nach Mülhausen ins Théâtre de la Sinne und ans Théâtre municipal in Colmar.
Manfred Langer, 27.10.2013
Fotos: Alain Kaiser