Graz: „Verdi.SOAP“

Graz, Helmut-List-Halle 13. Juli 2016

Werfels Verdi-Roman als Zentrum

Die Helmut-List-Halle mit ihren rund 1000 Plätzen war wiederum ausgezeichnet besucht – wie schon beim Bericht über die Mozart-SOAP des Vortags berichtet (siehe unten).

Das Styriarte-Publikum liebt dieses Veranstaltungsformat, das Text und Musik überaus geschickt mit filmischen Elementen verbindet. Dazu kommt, dass immer international gefragte Künstlerinnen und Künstler auf dem Podium zu erleben sind – das zieht das Publikum an, auch wenn auf dem musikalischen Programm nicht das vordergründig Populäre steht. Man erfährt interessante Zusammenhänge und hört heutzutage kaum aufgeführte Werke. Damit auch jene Leserinnen und Leser, die nicht dabei sein konnten, einen Gesamtüberblick über den Abend bekommen, zitiere ich aus dem Programmheft :

Das Programm besteht aus vier Komponenten: Peter Simonischek liest Szenen aus Franz Werfels berühmten Buch „Verdi. Roman der Oper“, geschrieben 1923. Das Quartetto di Cremona spielt Verdis einziges Streichquartett in e-moll. Adrian Eröd singt Romanzen, also frühe ‚Lieder‘ von Verdi, begleitet von Stefan Gottfried. Annie Laflamme und die Geiger des Quartetts spielen Opernparaphrasen nach berühmten Verdi-Opern.

Und diese Reihenfolge der Ausführenden bestimmt auch die Reihenfolge meines Berichts, denn Peter Simonischek war unbestreitbar das Zentrum des Abends.

Als träte er aus dem bekannten Verdi-Portrait heraus, so kommt Peter Simonischek auf die Bühne, legt elegant den schwarzen Gehrock samt Zylinder auf die Chaiselongue, setzt sich an den Tisch und beginnt zu lesen. Er liest mit klarer, ruhiger und uneitler Stimme – er lässt vor dem geistigen Auge des Publikums die Gestalten des Maestros und seines Senator-Freundes plastisch entstehen, ohne je anbiedernd vorzugeben, er – Simonischek – sei Verdi oder der Senator. Man hörte gespannt zu – und ich dachte für mich, dass ich diesen Werfel-Roman wieder einmal lesen sollte, der die Polarität Wagner/Verdi auf die Gegensätzlichkeit der Logik des Wortes (Wagner) und der „heiligen italienischen Melodie“ (Verdi) zurückführt – wohl auf die Antithese von Rationalismus und Irrationalismus in der Opernmusik. Wie gesagt: die Werfel-Texte und die Sprachkunst von Peter Simonischek waren das zentrale Element des Abends.

Das musikalische Zentrum des Abends war für mich das Streichquartett – ein reifes Werk des 60-jährigen Maestro. Giuseppe Verdi, der schon in jungen Jahren die Quartette Haydns, Mozarts und Beethovens genau studiert hatte, meinte einmal, ein Streichquartett sei eine pianta fuori clima, also ein in diesen (italienischen) Breiten nicht gedeihendes Gewächs – aber das Prestissimo des Finalsatzes hat durchaus einen südlichen Gestus und es gibt in den anderen Sätzen so manche Anklänge an Aida, Don Carlo, aber auch an den Trovatore. Das Quartetto-di-Cremona spielte die vier Sätze dieses eindrucksvollen Werkes, das die meisterliche Satztechnik Verdis zeigt, mit feurigem, jedoch konzentriert-gebändigtem Temperament und mit wunderbar vollem Ton. Da hörte man gebannt zu!

Der dritte Komplex des Abends war einer Auswahl aus den Vokal-Romanzen des 25-jährigen Verdis gewidmet – ergänzt durch zwei etwas später entstandene Stücke. Schon für den jungen Verdi hatte das Lied wohl etwa jene Bedeutung, welche die Skizze für den Maler hat. Die Romanzen sind ein Musterbeispiel der schon erwähnten „heiligen italienischen Melodie“ – ein Begriff, den Werfel Giuseppe Verdi in den Mund legt. Für die Interpretation dieser Lieder hatte die styriarte den Bariton Adrian Eröd gewonnen – er hat ebenso wie Simonischek Grazer Wurzeln und wurde von „seinem“ Publikum überaus freundlich begrüßt.

Wenn man Eröds Homepage vertrauen kann, dann war dies seine erste Begegnung mit Verdi – weder hat er die großen Bariton-Partien Verdis noch seine Lieder in größerem Rahmen gesungen. Das ist durchaus verständlich – Adrian Eröd ist kein Verdi-Bariton.Die liedhaften Romanzen sang er mit seinem schlanken, technisch untadelig geführten hellen Bariton genau artikuliert und sehr lyrisch. Verdi-Dramatik stellte sich am ehesten in der eifersüchtigen Klage Nell’orror di notte oscura ein. Am Fazioli-Flügel (und Gott sei Dank nicht wie im Programm angekündigt am Hammerflügel – der wäre im großen Saal so wie am Vorabend wohl allzu sehr ins Hintertreffen geraten!) begleitete verlässlich und seriös Stefan Gottfried , der nach dem Tode von Nikolaus Harnoncourt in die Leitung des Concentus Musicus eingebunden wurde. Stefan Gottfried begleitete an diesem Abend auch die kanadische Flötistin Annie Laflamme , die zwei Paraphrasen des Verdi-Zeitgenossen Giulio Briccialdi über Themen aus Il Trovatore und La Traviata spielte. Das sind gefällige Salonmusik-Stücke (bei der Traviata etwas gar langatmig) – die ausgewiesene Spezialistin für Alte Musik spielte natürlich auf ihrer Holzflöte aus dem Jahre 1870 mit Virtuosität, die großen Verdi-Phrasen vermisste ich aber ehrlich gesagt ein wenig.

Großartig hingegen waren zwei weitere Opern-Paraphrasen eines anderen Verdi-Zeitgenossen – Pietro Tonassi. Die beiden Geiger des Quartetto di Cremona spielten diese Nabucco-Duos nicht nur virtuos, sondern auch mit gebührend großem Verdi-Sentiment, ohne je an den Rand des Kitsches zu geraten – es spielten zwar nur zwei Geigen (immerhin eine Guarneri del Gesù und eine Guadagnini aus dem 18.Jahrhundert – beide mit prachtvollem Klang!), aber der Verdi’sche Melodienhimmel öffnete sich auch ohne menschliche Stimme – wunderbar!

Am Ende des dreistündigen(!) Abends jubelte das Publikum und feierte alle Ausführenden!

Hermann Becke, 14. 7. 2016

Aufführungsfotos: styriarte, © Werner Kmetitsch

Hinweise:

– Video-Ausschnitte aus Verdis Streichquartett in e, gespielt vom Quartetto di Cremona

Peter Simonischek dominiert derzeit mit dem Film Toni Erdmann die Medienberichte. Der Film kommt ab 15.Juli in die österreichischen Kinos – es lohnt sich, den Bericht im Neuen Merker zu lesen