Premiere am 20.09.2019
Mehr Triebe und Angst als Gefühle
Nachdem Richard Strauss die musikalische Welt mit „Salome“ und „Elektra“ in Erstaunen versetzt hatte, wurde ihm nach der Uraufführung des Rosenkavaliers 1911 von einigen Kritikern Anachronismus vorgeworfen.
Denn diese „Komödie für Musik“, geschaffen aus dem Geiste Mozarts, galt manchen als „Gipfel des Konservatismus“. Gleichwohl – Richard Strauss und sein Librettist Hugo von Hofmannsthal haben hier ein zeitloses Meisterwerk geschaffen, eine Komödie, deren Akteure mit warmer, tief berührender Menschlichkeit gezeichnet sind. „Der Rosenkavalier“ ist bis heute die populärste Oper von Richard Strauss.
Konservatismus ist etwas, was man der Inszenierung von Frank Hilbrich gewiss nicht vorwerfen kann. Das betrifft die Regie und auch die Bremer Fassung des Rosenkavaliers. Denn von den über zwanzig Partien sind hier gerade mal acht übrig geblieben. Die Leitmetzerin, Annina, Valzacchi, der Haushofmeister, der Wirt, der Tierhändler und viele andere – sie treten hier nicht in Erscheinung. Auf die Spieldauer wirken sich diese Striche mit vielleicht insgesamt einer halben Stunde gar nicht mal so gravierend aus. Die Striche sind so geschickt gemacht, dass Zuschauer, die den Rosenkavalier noch nie gesehen haben, die „Amputationen“ wahrscheinlich nicht bemerken. Aber Hilbrich hat dadurch viel Beiwerk ausgemerzt, um sich ganz auf die Hauptpersonen zu konzentrieren. Und die zeichnet er anders, als man sie normalerweise erlebt.
Auch Zeit und Raum sind in seiner Inszenierung aufgehoben. Da gibt es kein Rokoko und kein höfisches Zeremoniell. Zentrales Thema ist das Bewusstsein der Endlichkeit des irdischen Daseins. Sebastian Hannak hat dazu einen abstrakten, zeitlosen Spielraum geschaffen, der wie ein Irrgarten anmutet, der mit mehreren, verschachtelten Ebenen arbeitet und einen ästhetisch sehr gelungen Rahmen bildet.
Zum Vorspiel, das die Liebesnacht zwischen der Marschallin und Octavian plastisch schildert, sieht man aus einer Art Schlüssellochperspektive, wie die beiden immer wieder übereinander herfallen. Überhaupt die Triebe: Octavian versucht gleich bei der ersten Begegnung mit Sophie, ihr an die Wäsche zu gehen. Hier keimt keine zarte Liebe auf, sondern man geht gleich zur Sache. Das tut auch der Baron Ochs auf Lerchenau, der alles andere als ein nur etwas derber Landedelmann ist. Hier tobt ein „tierischer“ Wüstling, der auch vor einer Vergewaltigung nicht zurückschreckt.
Sophie ist eigentlich nur Opfer, einerseits als Beute von Ochs, andererseits durch die Machenschaften ihres Vaters Faninal, der seine Tochter skrupellos verschachert. Die Marschallin ist keineswegs die souveräne Frau, die wehmütig und philosophisch abgeklärt auf den Lauf der Zeit blickt. Bei ihr ist es die nackte Angst vor dem Alter und vor dem Tod, die ihr Handeln und Denken bestimmt. Den Tod hat Regisseur Hilbrich als allegorische Figur eingefügt. Der heißt hier Hippolyte wie die stumme Rolle des Friseurs im Original. Er ist ständig gegenwärtig, belauert die Personen und wartet, bis seine Zeit gekommen ist. Und das ist dann am Ende auch so, wenn Octavian und Sophie zusammensinken und er in triumphales Gelächter ausbricht. Luis Olivares Sandoval verkörpert diese Figur, der neben einigen Stichworten vor allem auch die Arie des Sängers anvertraut ist und die gut bewältigt wird.
Nadine Lehner singt die Marschallin mit zunächst noch etwas harter Tongebung, die eher einer Elektra angemessen wäre. Aber das gibt sich schnell. Die Lebensangst der Marschallin verdeutlicht sie mit emotionalem Hochdruck, als ginge es stets um Leben oder Tod.
Tut es ja auch. Nathalie Mittelbach ist ein schönstimmiger und temperamentvoller Octavian, der seine Lebens- und Liebesgier kaum zu zügeln weiß. Nerita Pokvytyté bezaubert als Sophie mit ihrer Strahlenden Höhe. Das Terzett im 3. Akt gelingt den drei Sängerinnen so traumhaft schön, dass man Zeit und Raum vergisst. Patrick Zielke ist in jeder Rolle bühnenbeherrschend. Das gilt auch für seinen Ochs, den er als widerwärtigen Zeitgenossen anlegt, dem er aber stimmliche Wucht und Größe verleiht. Über sein unvorteilhaftes Kostüm (von Gabriele Rupprecht) muss man hinwegsehen. Christian-Andres Engelhardt gibt den Faninal mit gewohnter Prägnanz, Daniel Ratchev ist der Polizeikommissar und Jakob von Borries der Leopold.
Wie Yoel Gamzou und die Bremer Philharmoniker die teils rauschhafte, teils filigrane Musik von Richard Strass spielen, lässt keine Wünsche offen. Man spürt, mit welchem Herzblut er sich gerade diese Oper zueigen gemacht hat. Das Orchester nahm den begeisterten Beifall auf der Bühne entgegen.
Insgesamt überzeugt dieser im doppelten Sinne neue „Rosenkavalier“, auch wenn der Wiener Schmäh zugunsten eines gnadenlosen Blicks auf Existenzängste weichen musste. Aber das war vielleicht der Grund für die wenigen Buhrufe für die Regie.
Wolfgang Denker, 21.09.2019
Fotos von Jörg Landsberg