Osnabrück: „La Cenerentola“

Premiere: 18.01.2020, besuchte Vorstellung: 22.01.2020

Märchenstunde mit Licht und Schatten

Lieber Opernfreund-Freund,

Gioachino Rossinis Aschenputtel-Version La Cenerentola ist derzeit am Theater am Domhof in Osnabrück zu sehen. Die deutsch-französische Regisseurin Béatrice Lachaussée hat eine unterhaltsam-witzige Produktion auf die Bühne gebracht, allerdings überzeugt die musikalische Seite des Abends nicht auf ganzer Linie.

Ensemble-Theater stehen mitunter vor dem Problem, dass sie manche Partien nicht mit eigenen Sängern besetzen können und deshalb auf Gastsolisten zurückgreifen müssen. Von außen betrachtet böte sich damit die Möglichkeit, wirklich rollengerecht zu besetzen – und immer wieder ist zu beobachten, dass Theater diese Gelegenheit nicht nutzen. Das scheint viel weniger nachvollziehbar, da man in so einem Fall ja nicht Herrn X die Rolle Y, die nicht ganz zu Umfang und Farbe passt, singen lassen muss, nur weil er im Ensemble ist, sondern auf dem freien Markt vermeintlicherweise aus dem Vollen schöpfen kann. Deshalb ist es schwer zu erklären, dass die Rolle des Prinzen Don Ramiro in die Hände des Gastsolisten Miloš Bulajić gelegt wurde. Der Spross einer serbischen Musikerfamilie verfügt durchaus über rossinihaft-schlanke Höhe voll großer Klarheit, die Spitzentöne der Partie erreicht er scheinbar mühelos und zeigt dazu gern, über wieviel Kraft er dabei verfügt. Doch sein Brustregister klingt dagegen derart unausgewogen, stark tremolierend und beinahe brüchig, dass der Gesamteindruck doch hinter der Leistung des angestammten Sängerpersonals zurückbleibt. Das mag auch daran liegen, dass seine Bühnenpartnerin Olga Privalova, die am gestrigen Abend die Cenerentola überhaupt erst zum zweiten Mal singt, stimmlich und darstellerisch derart auftrumpft, dass man dagegen nur verlieren kann, wenn man nicht vollends abliefert. Die aus Litauen stammende Mezzosopranistin ist seit dieser Saison im Osnabrücker Ensemble und zeigt neben einer satten Tiefe eine beeindruckende Geläufigkeit und emotionalen Tiefgang und setzt dieser gesanglichen Topleistung mit ihrem schauspielerischen Talent das Sahnehäubchen auf. So verkörpert sie glaubhaft die Verwandlung vom schüchternen, unterdrückten Aschenputtel zur so schönen wie selbstbewussten Frau, die den vermeintlichen Kammerdiener um sich kämpfen lässt.

„Ja bin ich jetzt im falschen Märchen“ mögen Sie denken, lieber Opernfreund-Freund; deshalb sei erwähnt, dass die Vorlage zur Rossini-Oper nicht die Grimm‘sche Version mit Täubchen, verlorenem Glaspantoffel und böser Steifmutter ist, sondern dass das Libretto von Jacopo Ferretti auf dem französischen Cendrillon von Charles Perrault beruht; hier will der Prinz inkognito den Charakter der Heiratskandidatinnen testen, tauscht mit seinem Diener Dandini Kleider und Rolle und schaut sich im Haus des bankrotten Adeligen Don Magnifico um, der neben Clorinda und Tisbe noch eine Stieftochter namens Angelina hat, die von der angeheirateten Verwandtschaft wie eine Magd behandelt und nur Cenerentola (Aschenputtel) genannt wird. Am Ende der Oper gibt es dann ein großes Vergeben und Vergessen der frisch gebackenen Königin, ehe Rossini sein Werk voll eingängiger Melodien mit einer mitreißenden Tutti-Nummer krönt.

Béatrice Lachaussée ersinnt dazu eine spaßig-kurzweilige Inszenierung vor der trotz Goldregen und angedeuteter Sternschnuppen recht simplen Kulisse von Nele Ellegiers, die auch für die schrill-bunten Kostüme und die herrlich wahnwitzigen Perücken verantwortlich zeichnet. Der Herrenchor unter der Leitung von Sierd Quarré gerät dabei beinahe zum heimlichen Star der Inszenierung, setzt immer wieder urkomsiche Akzente wie beispielsweise in der Gewitterszene und singt dazu vortrefflich. Nicht ganz so sauber abgestimmt geht es zwischen Graben und Bühne zu. Zwar geht Daniel Inbal durchaus frech und beschwingt ans Werk, schießt dabei aber das eine oder andere Mal ein wenig übers Ziel hinaus und lässt es an Präzision vermissen, so dass das Osnabrücker Symphonieorchester stellenweise wie eine Blaskapelle aus Rimini klingt. Jan Friedrich Eggers überrascht mich mit seinem komödiantischen Talent, rettet durch seine Bühnenpräsenz so manche Szene und singt dazu einen beachtenswerten Dandini mit bestens verständlichem Rossini-Parlando. Dagegen scheint sich Genadijus Bergorulko bisweilen in eine Art Sprechgesang zu retten, statt die Partie des Don Magnifico voll auszusingen – das macht er aber mit gutem Gespür für Timing und beherztem Spiel wett. Erika Simons und Gabriella Guilfoil sind ein herrlich-fieses Stiefschwesterngespann, dass der Cenerentola von Olga Prilova nicht nur ordentlich zu-, sondern auch stimmlich einen Sopran von feiner Leichtigkeit und einen ausdrucksstarken Mezzo entgegensetzen. José Gallisa wird als Alidoro bei Lachaussée zum Zauberer mit allerhand echten Tricks und zaubert darüber hinaus so stimmungsvolle wie eindringliche Momente mit seinem mächtigen Bass.

Dem Publikum gefällts und auch ich hatte einen unterhaltsamen Abend und habe mich köstlich amüsiert. Ich hätte mir bisweilen nur eine geeignetere Besetzung und ein wenig mehr musikalische Präzision gewünscht – aber letztere kann sich in den folgenden Vorstellungen ja noch einstellen.

Ihr
Jochen Rüth

23.01.2020

Die Bilder stammen von Jörg Landsberg.