Valencia: „Otello“

Palau de les Arts 11.6.13

Dies war ein in vieler Hinsicht besonderer Abend, weshalb ich mit dem Hinweis auf die stimmliche Entwicklung des Titelhelden Gregory Kunde beginnen will. Der 1954 geborene US-Amerikaner (Kankakee, Illinois) hat rund dreißig Jahre lang das extreme Belcantofach gesungen und brillierte etwa in Bellinis „Puritani“, Donizettis „Fille du Régiment“, Rossinis „Italiana in Algeri“ ebenso wie in rein lyrischen Partien wie dem Nadir in Bizets „Pêcheurs de perles“. Die Belcantorollen vermochte er alle in der originalen Tessitura für einen Rubini oder Donzelli zu singen. Obwohl er mit den Enée in Berlioz’ „Troyens“ offenbar bereits einen Fachwechsel angestrebt hatte, wunderte ich mich, als er in Turin für die Produktion zur 150 Jahr-Feier Italiens von Verdis „Vêpres siciliennes“ 2012 die Rolle des Henri übernahm. Ich habe die Produktion dann im Fernsehen gesehen und war total beeindruckt davon, wie Kunde diese mörderische und heldische Rolle meisterte.

Im heurigen Jänner folgte Verdis „Otello“ in Venedig und erntete hervorragende Besprechungen. Und nun Valencia, wohin Kunde nach der Absage von Aleksandrs Antonenko eingeladen wurde. Jetzt einmal ganz abgesehen von der Tatsache, dass Kunde mit größter Wahrscheinlichkeit der einzige Tenor der Welt ist, der jemals die Titelrolle sowohl in Rossinis, als auch in Verdis Oper gesungen hat, war der Eindruck einfach hinreißend. Zu hören war eine explosive Stimme, die über die relativ tiefe Tessitura verfügte, dabei aber immer wie ein Tenor klang, ohne baritonale Verfärbungen. Mühelosest kamen alle Spitzentöne, und es wurde phrasiert, dass es eine Freude war. Jedes piano, jedes Mezzavoce stand dem Tenor zur Verfügung. Dazu spielte er überzeugend keinen plumpen Haudrauf, sondern einen gestandenen, aber verletzlichen Krieger. Eine Meisterleistung!

Damit war der Freuden aber noch kein Ende, denn Carlos Álvarez präsentierte sich in einer Traumform, von der man ihm und dem Publikum nur wünschen kann, dass sie ihm lange erhalten bleibt. In schwarzem Wams und geschminkt wie ein Leidensmann (er erinnerte mich an die „Holländer“-Maske von George London), waren das Böse, der Rachegedanke in ihm so stark, dass er so handeln musste, wie er es tat, aber ohne je schleimig zu werden oder gar zu outrieren. Die ganze Rolle des Jago wurde in homogenem Ton, aber in tausend Nuancierungen vorgetragen. Noch eine Meisterleistung! Um dieses großartige Paar zum Trio zu machen, gesellte sich Maria Agresta hinzu, deren Desdemona nichts von leidender Madonnenhaftigkeit hatte, sondern eine Frau aus Fleisch und Blut mit erotischer Ausstrahlung war. Ihr reiner, virtuos geführter Sopran überstrahlte auch mit Leichtigkeit die großen Ensembles des 3. Aktes, und ihre Leistung gipfelte in einem in seiner einsamen Verzweiflung zu Tränen rührenden „Lied von der Weide“ und „Ave Maria“.

Damit die Bäume nicht in den Himmel wachsen, waren die kleineren Rollen diesmal, anders als sonst in Valencia, nicht optimal besetzt. Dies gilt sowohl für den anämisch krähenden Cassio des Marcelo Puente, wie für den grobschlächtigen Roderigo von Mario Cerdá und den kleinstimmigen, tiefenlosen Lodovico con Mischa Schelomianski. Nur Seung Pil Choi (Montano) ließ positiv aufhorchen. Auch Cristina Faus (Emilia) produzierte keine besonders schönen Töne, doch profitierte sie von der Regie, die sie äußerlich ihrem Gatten ähneln ließ und damit transportierte, dass sie keine wirkliche Vertraute ihrer Herrin war.

Über den großartigen Cor de la Generalitat Valenciana unter Francesc Perales kann man sich nur immer wieder freuen, so klangschön und homogen präsentierte er sich auch diesmal wieder. Sehr gut sangen auch die Kinder der Escolania de la Mare de Déu dels Desemparats unter Luis Garrido. Zubin Mehta war von den Leistungen merklich inspiriert, leitete das famose Orquestra de la Comunitat Valenciana mit aller ihm zur Verfügung stehenden Intensität und bekam eine entsprechend brillante Leistung aus dem Orchester zurück.

Was man zu hören bekam wäre also schon genug der Freuden gewesen, aber es gab auch eine in jeder Phase überzeugende Regie: Davide Livermore ist ein vielseitig begabter Künstler, der sowohl für Regie und Beleuchtung zeichnet, als auch, zusammen mit Giò Forma Production Design für das Bühnenbild und mit Mariana Fracasso für die (historisch inspirierten, dennoch zeitlosen) Kostüme. Die Videoprojektionen stammten von Video D-WOK und verschmolzen einmal wirklich gelungen mit den Gegebenheiten der Bühne. So die stürmischen Wellen und das mit ihnen kämpfende Schiff im 1. Akt, die blühenden Bäume in der Szene Desdemonas mit den (stilisierte Renaissance-Kopfbedeckungen tragenden) Kindern; diese Bäume werden dann beim Aufkeimen von Otellos Verdacht dürr und blattlos unter dräuenden Wolken stehen. Im 3. Akt wieder das Meer und das sich nähernde venezianische Schiff. Das eigentliche Bühnenbild bestand aus einer schrägen Scheibe à la Wieland, zu der Stufen führten, deren Einfassung während des Credos rot erstrahlten. Bei seinem ersten Auftritt wurde Otello von oben herabgelassen, und der Mittelteil der Scheibe fuhr ihn und Desdemona, in blaues Licht getaucht, nach dem sehr sinnlichen, liegend gesungenen Liebesduett nach oben. Auf diesem Mittelteil liegend wird Otello nach der Tötung Desdemonas vergeblich nach ihr die Hand ausstrecken und „un altro bacio“ ersehnen. Dass die Sänger ausgezeichnet spielten (selten hat man die Trinkszene und Cassios Verführung zum Rausch so überzeugend gesehen), wurde schon gesagt. Erwähnt seien noch ein paar die Regie charakterisierende Einzelheiten: Im ersten Teil des Racheduetts hält Jago seine Hand auf Otellos Kopf gepresst; „Dio, mi potevi scagliar“ wird im Hintergrund von Jago durch Lippenbewegungen „synchronisiert“; wenn Otello seine Gemahlin als „vil cortiggiana“ beschimpft, wirft er sich auf sie, wie um sie zu vergewaltigen.

Das Publikum tobte und war schon nach dem Ende des Racheduetts nicht mehr zu halten. Am Schluss eine Viertelstunde Ovationen sowie Standing Ovations für Maestro Mehta.

Eva Pleus
Bilder: Tato Baeza