Wien: „Die Zauberflöte“

Aufführung am 10.12.2019

Warum Mozart?

Erlauben wir uns ein Gedankenexperiment. Nehmen wir an, wir kennen den Mann nicht, der an diesem Abend in der Wiener Staatsoper den Tamino in der „Zauberflöte“ singt. Schon die erste Töne werfen einen um, aber das ist schließlich legitim – „Zu Hilfe, zu Hilfe“, das reicht ja fast an „Gott, welch Dunkel hier“ heran. Das darf schon dramatisch beginnen. Dann kann man sich in geschmeidigen, eleganten, Mezzavoce-Mozart-Tenor-Gesang zurück ziehen.

Aber der stattliche Herr, der den Tamino singt, tut es mit unveränderter Kraft. Forte bis an den Rand des Fortissimo, so dass die Lautstärke die Timbre-Qualitäten der Stimme überdeckt. Eindrucksvoll, zweifellos. Das würde man dem Herrn auch sagen. Mit der Schlussbemerkung: „Aber eigentlich sollten Sie lieber Wagner singen.“

Andreas Schager singt Wagner, und als einer der gefragtesten Wagner-Tenöre unserer Zeit bekommt er sicherlich zehnmal mehr Angebote, als er annehmen kann. So beantwortet sich die Frage „Warum Mozart?“ ganz eindeutig: Nicht aus irgendeiner Not, sondern weil er es will. Ebenso eindeutig kann man davon ausgehen, dass er mit Stilfragen vertraut ist, die Stimme für Mozart also zurücknehmen und anders, mozartischer, führen könnte. Nun, an diesem Abend hat er es nicht getan. Man kann weiters annehmen, dass die „Zauberflöte“ zwar immer ausverkauft ist, aber sehr viele Opernfreunde nur seinetwegen gekommen sind. Aus Neugierde. Um zu erleben: Wie singt er den Tamino? Nun, er hat den Tamino gesungen. Aber Schagerisch. Nicht Mozartisch.

Es war ein Abend der Rollendebuts. Andrea Carroll ist seit vier Jahren an der Staatsoper und hat ihren Weg in die großen Rollen gemacht. Zerlina war die erste Mozart-Partie hier, Papagena und Susanna folgten, und nun ist sie als Pamina eine wahre Freude. Eine schlanke, schöne Stimme ohne Tremolo, in den Höhen ohne Schärfe, souverän durch die technischen Anforderungen der Partie geführt (etwa die Langsamkeit, mit der „Ach, ich fühl’s“ von der Sängerin „getragen“ werden muss). Dunkelhaarig, exotisch reizvoll, hat sie auch eine ganz natürlich Herzlichkeit für die Rolle. Sie war das Erlebnis des Abends.

Was man von der Königin der Nacht nicht sagen kann. Wer immer für das Engagement von Aleksandra Jovanovic verantwortlich war, hat nicht ordentlich hingehört. Die schlanke Schönheit verfügt nicht annähernd über genug Stimme für ein Haus wie die Staatsoper, geht in jenen Teilen der Arien, wo sie keine Koloraturen sprühen muss, fast völlig ein. Gewiß, wenn sie dann in den höchsten Höhen „tänzelt“, erreicht sie gelegentlich die gewünschten Glockentöne, aber nicht alle und auch nicht so sauber, virtuos und letztendlich stark, wie man es von den besten Königinnen erlebt hat. Sicher, Popp und Gruberova, das waren Welten für sich. Aber es kommen immer Sänger nach, und es muss doch welche geben, die den einst aufgestellten Standards entsprechen können.

Man denkt sich dergleichen auch bei dem Papageno des Rafael Fingerlos, der bestimmt ein sympathischer Kerl ist. Aber wie er seine Arien nicht nur singt, sondern auch so „gestaltet“, dass sie ins Publikum zünden, das hat er noch nicht heraußen. Die Sprechszenen sind an sich recht gut, aber bei fast allen Pointen merkt man, dass er sie viel genauer und gezielter setzen könnte (müsste). Dennoch – eine sympathische Besetzung. Aber doch nur einer von vielen, die es alle mehr oder minder gleich gut (oder mittelmäßig) machen. Und man würde so gern wieder von Herzen lachen und von einem Papageno hingerissen sein…

Man erinnert sich an die Zeit, wo Ain Anger ein geschätztes, ja geliebtes Mitglied des Ensembles war. In den letzten Jahren ist er Wien verloren gegangen, höchstens gelegentlich als Gast noch hier. Diesmal sprang er als Sarastro für einen erkrankten Kollegen ein. Noch immer so schlank und groß, dass er ohne Hilfe Fasolt und Fafner glaubhaft machen könnte, gibt er einen eleganten Sarastro. Die Zeit ist allerdings nicht stehen geblieben, die Stimme bröckelt, kaum ein Register, in dem sein Baß noch beeindruckt.

Das „Ensemble“ war gewissermaßen voll versammelt, und Adrian Eröd ist eine hohe Besetzung für den Sprecher (der dem Tenor Unterricht in Mozart-Stil geben könnte…) und den 2. Priester, der sich mit Papageno herumärgert. Der erste Priester, der nicht so viel Humor versprühen darf, war Peter Jelosits. Der Monostatos von Benedikt Kobel machte auf sich aufmerksam (und musste auch keine politisch korrekten Textänderungen singen, wie man es im Theater an der Wien erlebt hat), Ileana Tonca, eine gefühlte Ewigkeit am Haus, erweckt als Papagena den Eindruck, die Zeit sei spurlos an ihr vorbei gegangen, Herbert Lippert und Ryan Speedo Green brüllen als die Geharnischten los (das ist so vorgesehen), und die drei Damen (Fiona Jopson, Ulrike Helzel, Zoryana Kushpler) blödeln sich durch die Gegend.

Alle Interpreten hatten es nicht leicht in der völlig einfallslosen, szenisch unbeholfenen (alles spielt in irgendeiner Vorhalle, die Kostüme sind ein Chaos, Schwachsinn herrscht) und optisch total reizlosen Aufführung. Besser ging es mit Dirigent James Conlon, der schon in der Ouvertüre durch Weichheit und Elastizität auffiel, nur im Lauf des Abends gelegentlich schleppte und die Spannung verlor.

Wie dankbar ein Opernpublikum ist, zeigte der Applaus nach einer Aufführung, die sängerisch (durchschnittlich) gut war, aber nichts von dem gezeigt hat, was eine „Zauberflöte“ ausstrahlen, was sie im besten Fall „zaubern“ kann…

Renate Wagner, 13.12.2019

Fotos: Wiener Staatsoper / Pöhn