Vorstellung am 23.2.22 (Premiere)
Hatte ich fünf Tage vor dieser Premiere einen Buhorkan erlebt (siehe Bericht „La Favorita“ aus Piacenza), müssen die hier nach Ende der Vorstellung gegen die Regie ausgebrochenen Proteste wohl als Taifun bezeichnet werden. Tatsächlich war die Regie von Matthias Hartmann alles andere als ein Geniestreich, aber mit einer derart heftigen Reaktion hatte ich nicht gerechnet.
Von Volker Hintermeier hatte sich Hartmann große Tafeln aus Neonröhren bauen lassen, die schon im ersten Bild trotz spielender Kinder und Frühlings eine düstere Stimmung schufen, unterstützt durch die schwarz-grauen Kostüme des Malte Lübben. Für das folgende Bild wurden die Tafeln mit weißen Gardinen abgedeckt, was zusammen mit großen weißen Polstern, mit denen die Mädchen spielten (und die beim Auftritt der Gräfin als Versteck für Hermann dienten) durchaus Effekt machte. Völlig daneben gegangen ist allerdings die Szene des Maskenballs mit dem Schäferspiel, denn sie wurde parodistisch gezeigt, indem die Bedienten versuchten, sich wie die Herrschaften zu geben. Dazu eine sinnlose Choreographie (Paul Blackman), in denen ein Tänzer und zwei Kolleginnen das Liebesdreieck Liza-Hermann-Jeleckij persiflierten. Die Szene, in welcher Hermann der Gräfin das Geheimnis der drei Karten entreißen will, spielte in einem großen Raum, über dessen Doppelbett ein Bild der Alten als junge Frau hing. Ihr gespenstischer Auftritt, in dem Hermann von ihr die Zahlen zu erfahren glaubt, war – auch dank der suggestiven Beleuchtung von Mathias Märker – gut gelöst, während es befremdlich wirkte, dass ein stufenförmiges Podest auf die Bühne geworfen (nicht geschoben) wurde, damit sich Liza von demselben in die Newa stürzen konnte. Sehr gelungen das letzte Bild im Spielsalon, dank der Lichteffekte rauchgeschwängert wirkend, wo Hartmann auch die einzelnen Choristen vorzüglich führte. Das Bild des auf dem Spieltisch sterbenden Hermann wird mir lange in Erinnerung bleiben. Hartmanns Dramaturg Michael Küster erklärte in einem Artikel im Programmheft die Einführung des auch bei Puschkin erwähnten Grafen von St. Germain, eines vorgeblichen Alchimisten, der im 18. Jahrhundert auf den Spuren von Cagliostro wandelte und in der Gesellschaft sehr gefragt war. Mehrwert war durch seinen stummen Auftritt als Gastgeber des Balls meiner Ansicht nach nicht gegeben.
Den wütenden Protest gegen Hartmann und sein Team (der an der Scala üblicherweise italienischen Titeln in nicht-traditionellen Produktionen vorbehalten ist) kann ich mir eigentlich nur mit der wirklich völlig missratenen Ballszene erklären, denn der verunglückte „Freischütz“ desselben Regisseurs 2017 kam damals wesentlich besser davon. Musikalisch hingegen gab es reine Freuden. Valery Gergiev (entweder als Putinfreund am Vortag der Invasion der Ukraine oder weil er sich bis einschließlich Generalprobe von seinem Assistenten Timur Zangiev hatte vertreten lassen beim ersten Auftritt von einem einzelnen Buh empfangen) gestaltete einen Abend, an dem das Orchester des Hauses über sich hinauswuchs. Was immer man ihm, auch außerhalb der Politik, vorwerfen kann, wie etwa seine notorische Unpünktlichkeit, an Abenden wie diesem ist dank der geradezu hypnotischen Wirkung dieses Dirigenten alles vergessen. Die Sänger waren trotz aller entfesselten Klanggewalt immer bestens zu hören. Als Hermann stellte sich der Usbeke Najmiddin Mavlyanov vor, der über einen robusten, baritonal gefärbten und höhensicheren Tenor verfügt, der zu der mörderischen Rolle bestens passte. Dazu spielte er den wachsenden Irrsinn des Spielers überzeugend, und einige wenige Buhrufe für ihn schienen mir nicht nachvollziehbar. An seiner Seite die charismatische Asmik Grigorian mit magnetischer Ausstrahlung und zutiefst erschütternder Gestaltung der Hermann verfallenen Liza. Ein paar schärfere Spitzentöne fielen da nicht ins Gewicht, denn Rollen, wo es psychologische Durchdringung braucht, sind eine ideale Wirkungsstätte für sie. Für die Gräfin war bewusst keine Sängerin am Ende einer gloriosen Karriere gewählt worden, denn Hartmann ließ sie, nachdem sie zunächst furchterregend am Stock und mit dunkler Brille gezeigt wurde, eine Gummimaske abnehmen, denn in dieser Sichtweise träumt sie sich in ihre Jugend als schöne Frau zurück. Julia Gertseva realisierte diese Rollenauffassung sehr gut und erweckte mit ihrer Ariette von Grétry mehr Mitleid als Grauen. Die mit Ausnahme zweier Kleinstrollen, die von den Mitgliedern der Accademia Matías Moncada und Brayan Ávila Martínez interpretiert wurden, war die gesamte weitere Besetzung russisch und hervorragend.
Alexey Markov war ein schönstimmiger Fürst Jeleckij, von dem man sich auch italienisches Repertoire vorstellen konnte; der Tomskij von Roman Burdenko stand ihm in nichts nach und zeigte auch berührend seine Anteilnahme an Hermanns Schicksal. Cekalinskij, Surin und Caplickij wurden überaus rollendeckend von Evgenij Akimov, Alexei Botnarciuc und Sergey Radchenko gegeben; vor allem der Erstere war besonders einprägsam. Elena Maximova glänzte als Polina speziell in ihrem Duett mit Liza (im Schäferspiel hatte sie keine Doppelrolle, sondern an ihrer Stelle war Olga Syniakova mit angenehmem Mezzo aufgeboten). Maria Nazarova war eine sehr lebendige Mascha, Olga Savova ergänzte als gestrenge Gouvernante.
Orchester, Sänger und Dirigent wurden gefeiert, aber die Buhrufe für die Regie verdunkelten den musikalischen Erfolg des Abends.
Eva Pleus 27.2.22
Bilder: Brescia&Amisano / Teatro alla Scala