Premiere 26.6.16
Einst ein radikaler, jetzt eher matt inszenierender Calixto Bieito
Seit l931 war die fünfaktige Grand Opéra „La Juive“ von Fromental Halévy in München nicht mehr zu sehen. Während die Oper wegen der jüdischen Herkunft des Komponisten hierzulande von der Bühne verbannt wurde, glänzten in New York oder London herausragende Tenöre wie Enrico Caruso und Richard Tucker in der anspruchsvollen Rolle des Juden Eléazar. Als Premiere der diesjährigen Münchner Opernfestspiele hat Calixto Bieito das Werk jetzt auf die Bühne des Staatstheaters gestellt.
„Die alten Werke müssen für unsere heutige Zeit ausgelegt werden, notfalls auch mit drastischen Mitteln“, so argumentiert das mit kruden Einfällen oft genug provozierende enfant terrible, der Katalane Bieito (Jahrgang l963). Nach der Münchner „Boris Godunow“-Produktion und dem „Fidelio“ stattet der wegen Skandalinszenierungen berüchtigte radikale Opernregisseur nun zum dritten Mal dem konservativen Münchner Publikum einen Besuch ab. Diesmal mit Fromental Halévys „La Juive“, einem hochbrisanten politischen Stoff, der ethnische und religiöse Konflikte thematisiert.
Aus der Taufe gehoben wurde dieses Schlüsselwerk der Operngeschichte 1835. In der Schilderung spätmittelalterlicher Religionskämpfe wagt es ein Komponist erstmalig, sich der Problematik einer unterdrückten jüdischen Minderheit anzunehmen. Die Handlung spielt zur Zeit des Konstanzer Konzils um 1414, spiegelt einen christlich-jüdischen Konflikt, in dem der jüdische Goldschmied Eléazar und seine Tochter Rachel (er nahm sie an Kindesstatt an) ihren Leidensweg beschreiten. Hier tönt das Requiem einer jungen Frau. Als bekannt wird, dass der Geliebte Rachels nicht ein jüdischer Künstler namens Samuel, sondern der mit einer Nichte des Kaisers Euidoxie verheiratete katholische Fürst Léopold das Judenmädchen begehre, eskaliert die Situation. Um den Geliebten zu retten, erhebt Rachel eine Selbstanklage, was den jüdischen Goldschmied und seine Ziehtochter in die Katastrophe treibt. Freilich verschweigt Eléazar seiner Tochter, dass sie ein christliches Findelkind des Kardinals Brogni sei, das er aus den Trümmern eines brennenden Hauses gerettet und aufgezogen habe. So fällt Kardinal Brogni das Todesurteil über seine eigene Tochter.
Kontrastreich wirkt des Spaniers Düsternis ausstrahlendes Regiekonzept, das die Ereignisse aus dem spätmittelalterlichen Konstanz mit zeitgeschichtlich politischen Aspekten von heute durchtränkt – ein Mischung aus historisch stilisierenden Elementen von Grand Opéra und zeitbezogenen Signalen, die heute immer wieder an Grenzen von Intoleranz und antisemitischen Imaginationen stoßen. Den ersten Akt tragen Bilder der Gewalt – Ausdruck von religiöser Machtausübung. In späteren Szenen ist der Spannungsabfall evident.
Zwischen hässlichen schroff aufragenden Bildwelten einer düsteren Szenerie agieren die Protagonisten mit verbundenen Augen. Denen ist die Angst, der Hass, die Wut in die Gesichter geschrieben ist, wenn der fabelhaft von Sören Eckhoff vorbereitete Chor der Bayerischen Staatsoper alptraumhaft die Hetzjagd auf Juden inszeniert und Zwangstaufen exekutiert. Da entladen sich die Emotionen. Da nimmt eine grausame Dynamik ihren Lauf, Abbild einer mörderischen Gesellschaftsstruktur – szenisch einem territorialen Mauerwerk und Sperranlagen, dem Modell Israel oder USA/ Mexiko gleichend, oder autoritäre Institutionen symbolisierend wie die mittelalterlichen Machtstrukturen der katholischen Kirche.
Musikalisch beeindruckt die Münchner Neuinszenierung durch bannende Intensität. Schon der Beginn signalisiert mit Klängen eines Requiems das grausame Schicksal der wie verstört im grünen Kleid auftretenden Ziehtochter des jüdischen Geschäftsmannes Eléazar. Roberto Alagna schlüpft erstmals in diese Rolle – ein fanatischer Typ, der mimisch-gestisch den alten Mann charakterisiert, was auch immer wieder die Liebe zu Rachel aufscheinen lässt. Er hat das Mädchen ganz im jüdischen Glauben erzogen. Seine große Arie „Rachel, quand du Seigneur“ singt er mit nuancierter Deklamation. Eine verlässliche Solistenschar wartet vokal wie singdarstellerisch mit supremen Leistungen auf. So gibt Aleksandra Kurzak illusionslos die Figur der Rachel. Bravourös gelingt ihr im zweiten Akt das Duett mit Liebhaber Léopold. Später geht sie mit kraftvoller Stimme nach vorausgegangenen Folterungen in den Feuertod. Ihr Ziehvater ist nicht bereit, ihre wahre Herkunft und Religion zu offenbaren, obwohl Brogni mit Fußwaschungen verzweifelt versucht, seinem Widersacher Eléazar das Schicksal seiner Tochter zu entlocken. Da Kardinal Brogni die beiden Söhne Eléazars hat hinrichten lassen, sinnt der Gedemütigte nach Rache. Der Kardinal fällt das Todesurteil über seine eigene Tochter. Ain Anger widmet dem Kardinal Jean-Francois de Brogni eine substanzvolle Bassstimme. Die Koloraturen der unbequem liegenden Rolle des Fremdgängers, Fürst Léopold, erklimmt John Osborn souverän, während Vera-Lotte Böcker als vokales Leichtgewicht die Koloraturenpartien der betrogenen Prinzessin Eudoxie elegant, gestalterisch berührend darbietet.
Bertrand de Billy lotst das Bayerische Staatsorchester durch eklektisch charakterisierte Klänge, die Elemente der französischen, italienischen und deutschen Tradition verarbeiten. Diese packend ergreifende, mit konventionellen Wendungen angereicherte Schreibweise (nach Wagner eine „melodie dramatique“) hätte in der Führung durch den Dirigenten durch subtiler gestufte Dynamik noch mehr gewonnen. Dass sich das szenische Arrangement im dritten Akt an der Außenhaut der Handlung entlang hangelt und recht substanzlos erscheint, hätte man von dem mit Regieeinfällen nie geizenden Regisseur eigentlich nicht erwartet.
Das Publikum spendete lang anhaltenden Beifall, in dem sich ortsüblich Buhrufe für den Opernregisseur mischten.
Egon Bezold 29.6.16
Bilder (c) Nationaltheater