Premiere: 29.09.2018, besuchte Vorstellung: 24.10.2018
Lieber Opernfreund-Freund,
Beethovens Befreiungsoper ist derzeit in einer Neuproduktion am Theater Osnabrück zu erleben – und das meine ich genau so: die Aufführung gerät aufgrund der intelligenten Lesart von Yona Kim zusammen mit der tadellosen musikalischen Umsetzung durch Andreas Hotz und nicht zuletzt Dank des intensiven Spiels von Susann Vent-Wunderlich zum Erlebnis!
Ein politisch Gefangener gefährdet den Ruf eines Gouverneurs, als der zuständige Minister seinen Besuch ankündigt. Gleichzeit versucht seine Frau, als Mann verkleidet, ihn aus dem Gefängnis zu befreien. Dieser Plot scheint wie gemacht für eine Aktualisierung in unsere Tage hinein, eine Verlegung der Handlung in einen heutigen Terrorstaat und als Anprangerung von Menschenrechtsvergehen aller Art. Die südkoreanische Regisseurin Yona Kim allerdings, in Osnabrück mittlerweile zum vierten Mal mit einer szenischen Umsetzung betraut, legt die Oper eher als Innensicht von Leonore an, thematisiert die politischen Momente nur am Rande und verortet die Handlung in der örtlich nicht näher spezifizierten Gegenwart. Die Titelfigur ist omnipräsent, er-lebt alles im eigentlichen Sinne, so wird sie mit ihren Ängsten und Hoffnungen zum Zentrum der Inszenierung. Dabei arbeitet Kim geschickt mit Videoeinspielungen, die teils von Siegfried Köhn vorgefertigt wurden und einen Blick auf Leonores Gedankenwelt ermöglichen, teils live während der Aufführung gefilmt einen intensiveren Eindruck von der Mimik der Protagonisten widergeben und so eine zusätzliche Dimension eröffnen. Der Einheitsbühnenraum zeigt das Schlafzimmer des Ehepaares, bei dem – so zeigt es die bespielte Ouvertüre – nicht alles im Lot scheint, als Florestan verhaftet wird. Durch raffinierte Verwandlungen, die Bühnenbildner Alexandre Corazzola geschickt ermöglicht, verschwinden Bett und Schminktisch in Sekundenschnelle, öffnet sich hinter dem Schlafzimmervorhang der Bühnenraum zu einer Art Retortenstadt, in der sich alle Häuser und alle Menschen gleichen, tragen sie doch sämtliche Schattierungen von Beige (Kostüme: Falk Bauer). Lediglich Florestan scheint in literweise Theaterblut gewälzt, und bleibt damit auch unter den Gefangenen ein anderer. Yona Kim hat gut daran getan, die Dialoge gänzlich zu streichen und sie durch kurz zusammenfassende Texteinblendungen zu ersetzen. So kann sich Beethovens Musik nahezu ununterbrochen in einen Fluß begeben, was der Wirkung des Werkes letztendlich zuträglich ist und die intensive Wahrnehmung der Inszenierung durch die Zuschauer erst ermöglicht.
Mit Sängerpersonal, das nahezu ausschließlich aus dem hauseigenen Ensemble stammt, stemmt das Theater diese Produktion. Einzige Ausnahme ist Florestan, der mit Andreas Hermann besetzt ist. In der besuchten Vorstellung ersetzte nun Roman Payer den erkrankten Hermann und erweist sich als Glücksgriff. In bester Heldentenormanier gestaltet er den Inhaftierten, spielt dazu vorzüglich und fügt sich mühelos ins restliche Ensemble ein. Seine klaren Höhen sind voller Kraft, seine Piani herzerweichend. Susann Vent-Wunderlich brilliert erneut in der Titelrolle, nachdem sie bereits die Premiere gesundheitlich angeschlagen bravourös gemeistert hatte, spielt den Farbenreichtum ihrer Stimme gekonnt aus und darstellerisch all ihre Kollegen – so direkt darf man das sagen – mühelos an die Wand. In diesen zwei Stunden scheint sie Leonore zu SEIN, lebt die Rolle mit jeder Faser und glänzt mit sicherer Intonation und beeindruckenden Registerwechseln ebenso wie mit intensivstem Spiel, ds Gänsehaut erzeugt. Dass sie dabei in der Höhe mitunter ein wenig zum Tremolieren neigt, ist geschenkt. Susann Vent-Wunderlich in dieser Rolle zu erleben, ist schlicht ein Geschenk! Vielen Dank dafür! Erika Simons überzeugt als Marzelline mit feinsten Höhen und gefühlvollen Gesang, im Zusammenspiel mit Vent-Wunderlich scheinen sich die beiden Damen gegenseitig zu Höchstleistungen anzuspornen. Ein Genuss!
Bei so viel Frauenpower muss die Herrenriege gezwungenermaßen den Kürzeren ziehen. Am ehesten überzeugt mich Rhys Jenkins als Don Pizarro, verströmt seinen nuancenreichen Bariton, zeigt viel Kraft und stimmliche Präsenz. José Gallisa als Rocco führt die Stimme vor allem in der höheren Lage sehr eng und kann nur im mittleren Register wirklich überzeugen. Daniel Wagner ist ein mehr als solider Jaquino, während Jan Friedrich Eggers den Don Fernando wenig imposant anlegt. Vor allem die Herren des Chores jedoch machen nachhaltigen Eindruck, Sierd Quarré hat sie betreut. Ihr stimmiges Auftreten ist höchste Sängerkunst, da macht es richtig Spaß zuzuhören. GMD Andreas Hotz hält im Graben die Zügel fest in der Hand. Das muss er auch, bei dem Esprit, den er zusammen mit den Musikerinnen und Musikern des Osnabrücker Symphonieorchesters an den Tag legt, und der ansteckenden Begeisterung, mit der er sich der Partitur widmet. Da stimmt jede Nuance – so wird’s ein großer Abend! Den kann ich Innen – Sie werden es erraten – uneingeschränkt empfehlen. Von Dialogen entschlackt, intelligent und stimmig gedeutet, intensiv und überzeugend gespielt und gesungen – was kann man beim Fidelio viel besser machen?
Ihr Jochen Rüth / 26.10.2018