Aufführung am18.12.2020
Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Pöhn
Man erinnert sich sehr wohl: Es war vor 15 Jahren, als Ioan Holender dem jungen Philippe Jordan (den er sehr und relativ vergeblich umwarb) eine musikalische Neueinstudierung des „Rosenkavaliers“ anbot – und der Schweizer Hoffnungsträger am Pult durchaus überzeugte. Oder, um es anders auszudrücken: der damals gerade 30jährige „zu den schönsten Hoffnungen berechtigte“, die er allerdings nicht in Wien erfüllen wollte. Hierher kam er nun mit einiger Verspätung – dafür aber immerhin gleich als Musikdirektor (den „General-“, den Welser-Möst noch vor dem Titel hatte und der so viel Gemauschel hervorrief, hat man weggelassen). Und nachdem er sich mit Puccini eingestellt hat (weil die „Butterfly“ nun einmal die erste Premiere war), gibt es für ihn nun wieder eine musikalische Neueinstudierung eben desselben Schenk’schen „Rosenkavaliers“, der wirklich ein Klassiker ist. Im positiven Sinn. In jedem Sinn.
Und gerade in Wien, wo viele Opernfreunde alle Rollen mitsingen können, weiß man, wie teuflisch schwer diese Oper ist, eine Musik, die genau mit dem Text mitgeht, die so viele Nuancen, Brüche, so viele Farben und Stimmungen hat, außerdem so viele evidente Schwierigkeiten – man denke an das Lever bei der Marschallin, an den Wirbel im Wirtshaus, da ist dann neben der Feinheit der Interpretation auch das rein handwerkliche Können gefragt, dass nichts aus dem Ruder läuft. Bei Jordan erwies sich das Orchester als blitzsauberer, spritziger, lebendiger, vielschichtiger Mitakteur des Geschehens, und keiner der vielen „deliziösen“ Momente der Musik ging verloren, und die goldenen Geigen der Philharmoniker sangen. Vom lyrischen Seufzen bis zum ironischen Gepolter – alles war da.
Der Abend hieß allerdings nicht „Der Rosenkavalier“, sondern „Ochs von Lerchenau“, was gelegentlich immer wieder passiert, aber selten so deutlich wie diesmal. So sehr wie Günther Groissböck hat lange niemand diese drei Akte beherrscht, wozu auch zu sagen ist, dass er einen stimmlichen Höhepunkt erreicht hat, der ihm jedes bassige Füllhorn (und jeden noch so tiefen Ton) reichlich erlaubt. Das ist auch schön, hat man doch prächtig gespielte „Ochsen“ gesehen, deren Erfahrung mit der Rolle man damit bezahlen musste, dass sie ihnen stimmlich im Hals zerbröselt ist…
Bewundernswert, wie Groissböck in die Schenk-Inszenierung eingestiegen ist. Er hat die Harry Kupfer-Inszenierung in Salzburg gesungen, vor allem (sein persönlicher Höhepunkt) jene von Robert Carsen an der Metropolitan Opera, zuletzt die (nicht so berauschende) von André Heller in Berlin, und stets war der Ochs – in Variationen – ein zutiefst mieser Kerl, einer, den man wegen #metoo-Vergehen gleich ins Gefängnis stecken wollte und dessen Fiesheit quasi eine ganze Gesellschaft mit sich reißen sollte.
Bei Schenk befinden wir uns bekanntlich im Maria Theresianischen Zeitalter, und es geht darum, worum es Hofmannsthal und Strauss ging – um die elegischen Stimmungen der Marschallin, um die Liebesgeschichte zweier junger Leute und um einen polternden Junker vom Lande als komische Person.
Hatte Groissböck den Ochs bisher exzentrisch fast zum Exzess getrieben, so führte ihn die Wiener Inszenierung in die Normalität zurück. Und da zeigte sich, dass diese Figur herrlich prall, überzeugend und lebendig sein kann, wenn man ihr den Humor lässt, die gewisse spitzbübische Naivität neben dem frechen erotischen Draufgängertum und der fröhlichen Unverschämtheit – kurz, dass er kein „Ungustl“ sein muss, um interessant zu sein. Groissböck war lustig (aus sich heraus) und komisch anzusehen, jung, frech, ungestüm, fröhlich bei der Idee, dass er die reiche Frau kriegt, durchaus wirklich gefesselt vom Mariandl (was sich am Ende des 2. Aktes zeigte), in seinem Dialekt Provinzler, aber nie ordinär, selbstbewusst, aber bis zum Ende kein Verlierer. Eine souveräne Leistung. Und so sympathisch, wie man nur die besten Wiener „Ochsen“ in Erinnerung hat. Darf auch sein? Als Alternative zu allen anderen Möglichkeiten?
Man kennt Martina Serafin als Marschallin, sie hat die Rolle zuletzt vor fünf Jahren neben der Garanca gesungen (auf deren Octavian sich allerdings das ganze Interesse konzentrierte). Als schöne Frau mittleren Alters ist Martina Serafin optisch der ideale Marschallin-Typ, darstellerisch allerdings kaum je so stark (nicht einmal in ihrem Monolog), dass sie als Figur wirklich fesseln würde. Stimmlich schwankt da einiges zwischen richtigem Paralando-Ton und Höhenschärfen.
Erin Morley, die in den sechs Jahren, die man sie kennt (seit der unseligen Rigoletto-Premiere im Dezember 2014), immer gleich schmal und zart geblieben ist, hat die ideale Sophien-Stimme, nämlich schlank und strahlend, aber keinesfalls souberettenhaft. Ihr Deutsch ist bemerkenswert, ihr Verständnis der Rolle auch, eine schöne Besetzung.
Das geringste Glück bereitete der Titelheld in Gestalt von Daniela Sindram, die sich gleich mit einem gewaltigen Tremolo einstellte, der die Ehre der Rosenüberreichung völlig dumpf und fahl widerfuhr, deren Stimme eigentlich meist nasal und belegt und in der Höhe schrill geriet. Und wenn man die Rolle schon nicht großartig singt, sollte man den „Buben“ zumindest vermitteln können… Ja, eine Angelika Kirchschlager, die vor 15 Jahren Jordans Octavian war, ist leider nicht nachgewachsen.
Dazu kamen Jochen Schmeckenbecher als drollig aufgeregter Faninal (wenn er des öfteren neben den Noten sang, hatte man den Eindruck, er täte es absichtlich, der Komik willen) und Regine Hangler als eine hinter Sophie herwogende Leitmetzerin. Thomas Ebenstein ist immer der überzeugende, scharf gezeichnete Valzacchi, dessen neue Anniina Noa Beinart ein paar dunkle Töne hören, aber noch kein Talent für Komik sehen ließ.
Ja, und der Sänger. Irgendein Haus, es muss wohl die Met gewesen sein, hat sich einmal Pavarotti für die Arie geleistet. Wer auf sich hält, verpflichtet hier einen Weltklassetenor. Wenn man Piotr Beczala schon bei der Hand hat, dann ist der Luxus gesichert, dann legt er mit vollem goldenen Metallkern in der Stimme los und schmettert, was es das Zeug hält. Man hätte nebenbei noch eine Studie eines eitlen Tenors hinlegen können, aber es geht auch ohne.
Alles in allem – ein Wiener Rosenkavalier, nicht durchwegs auf höchstem Niveau, aber ein schöner Abend.
Renate Wagner 22.12.2020
Ö III wird den Abend, falls ihn jemand noch einmal (oder erstmals) sehen will, am 27. Dezember 2020 abends zeigen.