Aufführung am 20.11.2019
Der November bringt in der Staatsoper nicht nur die Wiederaufnahme von „Die Weiden“ und „Ariodante“, sondern auch die zweite Serie von „Orest“, einer von Manfred Trojahn komponierten und auch getexteten Oper, die im Gegensatz zum vorher genannten Stück schon auf mehrere Inszenierungen zurückblicken kann. Wobei der Begriff „Oper“ nicht ganz richtig ist – Trojahn nennt das Stück selbst ein „Musiktheater in sechs Szenen“ – die allerdings durchgängig sind. Es ist ein kurz(weilig)er Abend, der nur 80 Minuten dauert und das Geschehen kompakt und geradlinig erzählt wird.
Die Handlung setzt dort ein, wo „Elektra“ endet – nach dem Mord des Orest an seiner Mutter Klytämnestra und erzählt das Geschehen der nächsten Tage. Um es kurz zu machen – Elektras Rachedurst ist noch nicht gestillt und sie stiftet ihren Bruder dazu an auch Helene, die aus Troja zurückgekehrt ist, zu töten. Menelaos hält sich aus machtpolitischen Gründen aus allem raus, der Gott Apollo (der sich auch als Dionysos ausgibt) möchte auch weiterhin den Orest als Werkzeug der Rache benutzen, ohne aber selbst Verantwortung zu tragen. Schlussendlich gelingt es Hermione, der Tochter Helenas, mittels eines Blicks in die Augen Orests, der sie eigentlich auch töten sollte, von dieser Tat abzuhalten. Sie, die als einzige keine Schuld auf sich geladen hat, vermag es den Orest zu erleuchten, indem er den Göttern abschwört und für die Zukunft sein Schicksal selbst in die Hand nimmt und zu seiner Schuld steht. Beide gehen ab – Ende des Stücks.
Das Stück ist sowohl für die Sänger als auch für das Orchester sehr schwierig, wie man allenthalben hört. Derjenige, der alles zusammenhält, ist Michael Boder, dessen Ruf als Spezialist für zeitgenössische Musik zu Recht besteht. Das Staatsopernorchester musizierte ungemein konzentriert (besonders hervorzuheben was an diesem Tag der Mann an den Pauken!) und erzeugte eine sehr düstere Stimmung, die dem Geschehen auf der Bühne entsprach. Ungefähr 100 Jahre nach der Straussschen Elektra fand Trojahn eine Tonsprache, die durchaus als eine Weiterentwicklung des Garmischer Meisters angesehen werden kann. Es wäre sehr spannend, an EINEM Abend beide Werke nacheinander zu hören – gemeinsam sind sie drei Stunden lang, eine Pause dazwischen – bei gutem Willen geht sich das aus!!!
Was allerdings bei zeitgenössischen Werken auffällt ist die Tendenz der Komponisten oft sehr extreme Höhen zu benutzen, die Sängerinnen und Sänger an die Grenzen ihrer Fähigkeiten bringen – mir ist noch nicht klargeworden, was damit bezweckt wird. Wie schon beim „Tempest“ hat Audrey Luna (Hermione) damit keine Probleme und ist, wie das gesamte Ensemble, ungemein wortdeutlich dabei. Obwohl vier der sechs Hauptprotagonisten „deutsch“ nicht als Muttersprache haben, konnte man überhaupt keinen Akzent hören! Ich hoffe, Audrey Luna einmal in einer Rolle zu hören, die aus dem „Standardrepertoire“ kommt…
Laura Aikin als Helena spielte und sang überzeugend, Ruxandra Donose (Elektra) war manchmal gegen die Orchesterklänge nur zweite Siegerin. Michael Laurenz in der Rolle des Menelaos gab eine Talentprobe ab – da entwickelt sich ein vielversprechender Charaktertenor. Ähnlich wie Luna hatte
Daniel Johansson (Apollo/Dionysos) einen sehr schwierigen Part zu singen, den er allerdings ähnlich bravourös meisterte.
Ein Sonderlob muss man dem Sänger der Titelpartie, Georg Nigl, aussprechen. Extrem Wortdeutlich (was bei einigen Stellen, wo man eher von Sprechgesang schreiben muss, sehr wichtig war), mit vollem Einsatz als Schauspieler und mit volltönendem Bariton konnte er den Orest überzeugend darstellen – eine ganz tolle Leistung, die mit vielen Bravo-Rufen beim Schlussvorhang belohnt wurde.
Der Haus- und Hofregisseur der Holender-Ära, Marco Arturo Marelli, der auf für Bühne und Licht zuständig ist, schuf (wie meistens) ein Einheitsbühnenbild. Die Kostüme sind modern (bis auf Apollo und sein Gefolge), die Bühne ist leer – somit kann man sich auf die ausgezeichnete Personenführung konzentrieren.
„Orest“ ist ein Stück, das durchaus das Potential hat, länger in einem Repertoirehaus wie der Staatsoper zu überleben (wie gesagt – eine Kombination mit Elektra bietet sich an). Die Vorstellung war zwar ausverkauft, allerdings (besonders am Balkon) haben es viele Abonnenten vorgezogen, nicht zu erscheinen. Sie haben einen interessanten Abend versäumt.
Kurt Vlach 21.11.2019
Bilder (c) Wiener Staatsoper