Wien: „Elias“, Felix Mendelssohn-Bartholdy

18.2. (Premiere am 16.2.)

Bieito erobert Wien mit einem handwerklich „braven“ Elias

„Elias“, op. 70 (MWV A25), ist ein Oratorium über die Geschichte des biblischen Propheten Elia, der während der Regierungszeit der Könige Ahab (870-851 v. Chr.) und Ahasja (851-850 v.Chr.) im Nordreich von Israel wirkte. Sein Name bedeutet „(Mein) Gott ist JH(WH)“ und kombiniert als Bekenntnisname“ die Gottesbezeichnung El mit dem Tetragramm JHWH (Jahwe), wodurch die Hoffnung zum Ausdruck gebracht wird, dass „JHWH sich als persönlicher Schutzgott der so benannten Person erweisen möge“ (zitiert nach: Susanne Otto, in: www.bibelwissenschaft.de/stichwort/17304/). Mendelssohn schöpfte für sein Oratorium in zwei Teilen im Wesentlichen aus den in 1Kg 17-19 sowie 2Kg 2 enthaltenen Elia-Erzählungen. Susanne Otto sieht im historischen Elia einen mit mantischen und magischen Fähigkeiten ausgestatteten Regenmacher, der Regen herbeilocken, diesen aber auch durch Zauberei verhindern konnte (aaO).

Im Alten Testament treten Propheten immer dann auf, wenn das Volk Israel vom Jahweglauben abfällt und andere Gottheiten wie Baal und Aschera anbetet. Solche Propheten sind keine Wahrsager, vielmehr warnen sie die Herrschenden und das Volk Israel vor der Strafe Jahwes, wenn diese ihren Glauben und den bereits unter Moses mit Jahwe geschlossenen Bund verraten. Während sich im ersten Teil des Oratoriums noch ein kämpferischer Elias gegen den Polytheismus der phönizischen Königin Isebel, der Tochter König Ittobaals und Gattin König Ahabs, wendet, wobei der dramaturgische Höhepunkt der Komposition im sogenannten „Regenwunder“ erfolgt, hat Elias im zweiten Teil bereits resigniert und ist seines Lebens überdrüssig geworden. Am Tiefpunkt erlebt er sodann eine Theophanie (Gotteserscheinung) und fährt in einem feurigen Wagen mit feurigen Rossen im Sturmwind gen Himmel (2 Kg 2,11). Ein idealer Abschluss für ein Oratorium. Mendelssohn ließ sich jedoch bereden, als „Anhang“ noch einen prophetischen Hinweis auf einen kommenden Messias (nicht zwingend auf Christus) zu komponieren, um eine Verbindung mit dem Neuen Testament zu erreichen. Das Werk wurde schließlich am 26.8.1846 im Rahmen des „Birmingham Triennial Music Festival“ in Bermingham in englischer Sprache uraufgeführt. Der englische Königshof feierte den Komponisten überschwänglich als den „Elias der Neuen Kunst“. Mendelssohn selbst hat jedoch eine Aufführung seines Oratoriums auf Deutsch nicht mehr erleben können.

Vom spanischen Opern- und Schauspielregisseur Calixto Bieito konnte man in Österreich bislang nur seine Inszenierung von Shakespeares „Macbeth“ bei den Salzburger Festspielen 2001 sehen. Nun präsentierte sich der vor allem in Deutschland aktive Regisseur erstmals an einem Wiener Opernhaus. Und nach seiner Inszenierung von Monteverdis „Marienvesper“ am Nationaltheater Mannheim im Dezember 2018 ist es seine zweite Inszenierung eines Oratoriums. Das an der Dürrekatastrophe leidende Volk Israel lässt er zunächst um das papierene Modell einer Kirche, die dem Regisseur wohl als seine eigene poetische Klammer zum Neuen Testament dient, taumelnd im Kreis gegen den Uhrzeigersinn schreiten. Dieser Regieeinfall hat mich an Marco Arturo Marellis Inszenierung von Schönbergs „Die Jakobsleiter“ an der Wiener Staatsoper im November 2001 erinnert, nur dass sich das Volk damals im Uhrzeigersinn Koffer schleppend über ab- und ansteigende Ebenen bewegte. Reminiszenzen hatte ich aber auch an Michael Heinickes Inszenierung von Kurt Weills jüdischem Oratorium „Der Weg der Verheißung“ an der Oper Chemnitz 1999. Bei Bieito schreibt Elias dann den unvokalisierten Eigennamen des Gottes Israels im Tanach, den normativen jüdischen Bibeltexten, mit den hebräischen Konsonanten JHWH von rechts nach links gelesen auf das Dach eines Kirchenmodells aus Karton, wobei ihm der erste Konsonant, das Jod, der kleinste Buchstabe im hebräischen Alphabet, nicht so recht gelingen wollte.

Das aufgebrachte Volk zertrümmert dann stilvoll dieses Modell aus Pappe als Symbol des Abfalls vom Gauben an Jahwe. Alle handelnden Personen und der Chor dieses Oratoriums traten in von Ingo Krügler entworfenen Alltagskleidern auf. Rebecca Ringst stattete die Bühne mit abstrakten Gitterkonstruktionen aus, die sich immer wieder bedrohlich hoben und senkten. Während des „Regenwunders“ durfte es dann auch schon gehörig vom Schnürboden regnen und der gerade vom Tod durch ein Gebet Elias wieder zum Leben erweckte Knabe tollte ausgelassen im Regen umher und bespritzte die im wahrsten Sinne des Wortes „Wartende“ von Anna Marshania. Am Ende des Oratoriums lugte zumindest einer der Raben (Video: Sarah Derendinger), die auf Jahwes Geheiß Elias am Bache Kerit mit Speisen versorgte (1 Kg 17,4), neugierig in die Szene. Elias fährt natürlich nicht mit einem Feuerwagen gen Himmel, vielmehr überschüttet ihn Obadjah, der gottesfürchtige Haushofmeister König Ahabs, mit Benzin und drückt dem lebensmüden Elias ein Feuerzeug in der Hand. Freilich wäre es bühnentechnisch leicht gewesen, sogenanntes „kaltes Feuer“ zum Einsatz zu bringen und so Elias als brennende Fackel, ähnlich wie die böse Haushälterin Mrs. Danvers im Musical Rebecca 2006 in Wien, vorzuführen. Auf so einen szenischen Reißer verzichtete Bieito aber und ließ den Prophet, im Wissen seiner bevorstehenden Entrückung, für dieses Mal noch sein Feuerzeug zuklappen…

Der deutsche Bariton Christian Gerhaher, der in München auch eine Professur für Gesang und Oratorium an der Hochschule für Musik und Theater in München bekleidet, war ein gesanglich wie darstellerisch überzeugender Gottesmann, glaubwürdig in seiner Verzweiflung über das gottlose Volk Israel, aber auch in seinem spöttischen Triumpf über die Baals Propheten, deren Kehlen auf der Bühne andeutungsweise aufgeschlitzt werden. Neben dem handlungstragenden und bühnenbeherrschenden Elias von Gerhaher wirkten die übrigen Solisten eher wie Nebenpersonen und hatten auch wenig zu singen. Die Norwegerin Ann-Beth Solvang unterlegte die hysterischen Wutausbrüche der bösen Königin Isebel, der Gattin Ahabs, mit ihrem ausdrucksstarken Mezzosopran, während ihre nordische Kollegin, die Schwedin Maria Bengtsson, ihren gefälligen, etwas herben Sopran zur Charakterisierung der Witwe, die den Propheten verzweifelt anfleht, ihren verstorbenen Sohn zu erwecken, zum einem kurzen Einsatz brachte. Die Estin Kai Rüütel verlieh der Figur des schon rein äußerlich an seinem Flügelpaar erkennbaren Engel ihren wahrlich „engelsgleichen“ warm-timbrierten Mezzosopran.

Die Italienerin Carolina Lippo geisterte als scheinbar wahnsinniger Seraph (Engel) mit einem bowler hat (Melone) auf dem Kopf über die Bühne und durfte erst am Ende des Oratoriums ihren lyrischen Sopran zum Einsatz bringen. Der ehemalige Regensburger Domspatz Maximilian Schmitt hatte seinen nicht immer höhensicheren Tenor als Haushofmeister Obadjah nicht immer im Griff. Der US-amerikanische Tenor Michael J. Scott sang den Ahab mit lyrischem Tenor, hatte aber beim deutschen Text fallweise kleinere Ausspracheschwierigkeiten. Der österreichische Bassist Florian Köfler als der Verlorene, die georgische Mezzosopranistin Anna Marshania als Wartende, Antonio Gonzales als Suchender und Marcell Krokavay als Bittender, Letztere beide Mitglieder des Arnold Schoenberg Chores ergänzten stimmlich wie darstellerisch rollengerecht. Erwin Ortner hat den Arnold Schoenberg Chor in seiner vielseitigen spielerischen wie gesanglichen Ausdrucksfähigkeit wieder einmal mehr mit Verve einstudiert. Das ORF Radio-Symphonieorchester Wien wurde vom finnischen Dirigenten Jukka-Pekka Saraste umsichtig geleitet, der in seiner Interpretation auch die große musikalische Nähe von Mendelssohn zu den Passionen von Johann Sebastian Bach herausstrich. Der pausenlose Abend dauerte zwei Stunden und wurde vom Publikum durch starken Beifall für alle Beteiligten zu Recht gewürdigt.

Harald Lacina, 19.1.2019

Fotocredits: Werner Kmetitsch