17.12. (Premiere am 12.12.)
Webers Meisterwerk erobert Wien
Carl Maria von Weber hatte im Spätherbst 1821 vom Kärntnertortheater den Auftrag für eine Oper erhalten. Das Libretto verfasste Helmina Johanna von Chézy, geb. Freiin von Klencke (1783-1856). Diese schlug Weber einen im Mittelalter spielenden Stoff von Gerbert de Montreuil über einen fiktiven Grafen Gerard von Nevers und seiner Geliebten Euryanthe von Savoyen vor, die jener in seinem „Roman de la Violette ou de Gérard de Nevers“ verarbeitet hatte. 1804 hatte Helmina von Chézy ihrerseits eine französische Prosaerzählung von 1520 ins Deutsche übersetzt und unter dem Titel „Geschichte der tugendsamen Euryanthe von Savoyen“ veröffentlicht. Das Motiv der Wette zweier Männer auf die Treue bzw. Untreue einer Frau fand als Topos Eingang in Literatur und Musik. Stellvertretend seien hier Shakespeares „Cymbeline“ und Mozarts „Così fan tutte“ genannt. Das Manko des ursprünglichen Librettos bestand darin, dass es die Autorin nicht verstand, die umfangreiche Handlung auf einige wesentliche Elemente zu konzentrieren, um so den Ansprüchen eines Opernlibrettos einiger Maßen gerecht zu werden.
Und so griff Weber kurzer Hand selbst ein, indem er Euryanthes körperliches Geheimnis, nämlich ein Leberfleck auf ihrer Brust, durch das schaurige Motiv der Selbstmörderin Emma, der Schwester von Adolar, ersetzte, die erst durch die Tränen einer Unschuldigen erlöst werden kann. Die Uraufführung von Webers einziger durchkomponierter Oper fand schließlich unter der Leitung des Komponisten am 25. Oktober 1823 im Theater am Kärntnertor in Wien statt. Die Handlung der Oper spielt in Frankreich auf dem Schloss zu Préméry sowie der Burg von Nevers, nach dem Frieden mit England im Jahre 1110. Oft wird auf die Ähnlichkeiten zwischen Webers Euryanthe und Richard Wagners Lohengrin hingewiesen und tatsächlich erscheinen Ortrud und Telramund bei Wagner in musikalischer Hinsicht ähnlich ausgestaltet wie Webers Eglantine und Lysiart. Und die Aufführung im Theater an der Wien hat wieder einmal bewiesen, dass Webers „Euryanthe“, ungeachtet der Ungereimtheiten des Librettos, allein schon wegen ihrer prächtigen Musik einen festen Platz im Repertoire der Opernhäuser verdient hätte.
Regisseur Christof Loy fasst die verworrene Handlung als ein Kammerspiel zwischen zwei rivalisierenden Paaren auf und verlegt sie aus dem Mittelalter ins 20. Jhd. Noch während der Ouvertüre öffnet sich zu diesem Zweck der Vorhang und gibt den Blick frei auf die vier handlungstragenden Personen, Euryanthe und Adolar sowie Eglantine und Lysiart. Johannes Leiacker stellt ihm dafür einen sich nach dem Bühnenhintergrund hin verjüngenden Saal als Spielraum zur Verfügung, an dessen rechter Seite sich ein Bett, an der linken ein Klavier und ein paar Stühle befinden. Im Hintergrund gibt es dann noch eine Doppelflügeltüre und rechts eine weitere einfache Türe, die, so erahnt man, den Weg hinab in Emmas Gruft birgt. Zumindest bis zur Pause, danach befinden wir uns ja eigentlich in einem Wald, sohin bleibt der Saal auch leer. Auf einen Burggarten oder gar eine Felsenschlucht kann man so gesehen verzichten. Die im Libretto angeführten Handlungsorte bleiben so der Fantasie des Publikums anheimgestellt. Das Erscheinen einer Schlange wird folgerichtig lediglich von Euryanthe angekündigt, töten darf sie Adolar dann hinter der Bühne im off. Judith Weihrauch hat den König und seine Ritter sowie die beiden Damen betont elegant im Stil der frühen 60ger Jahre eingekleidet, es sei denn die Entourage des Königs kehrt im dritten Akt gerade von der Jagd ins Schloss zurück. In diesem Einheitsraum vollziehen sich Ereignisse übergreifend nebeneinander. Für die Fantasie des Publikums bedeutet das aber, dass sich in dieser Halle offensichtlich mehrere optisch voneinander nicht abgegrenzte Räume befinden.
Die US-amerikanische Sopranistin Jacquelyn Wagner bot gesanglich eine Euryanthe zum Niederknien. Das Bild der schuldlosen edlen Frau verkörperte sie geradezu idealtypisch. Und dieses „Tugendgesülze“ hat uns später auch Richard Wagner in seiner Hochzeitsnacht bei Lohengrin und Elsa nicht erspart, wo es nicht ans „Eingemachte“, geht, sondern die „süßen Düfte“ beschworen werden… In Theresa Kronthaler als Eglantine hat sie eine berechnende Rivalin um die Gunst Adolars, die vor nichts zurück schreckt. Deren Ausdrucksskala reichte von zarten, einschmeichelnden Tönen bis zu hysterischem wahnhaftem Toben am Ende der Oper. Für all dies stand der begnadeten Sängerin an diesem Abend auch ein schillernder kräftiger Mezzosopran zur Verfügung. Dem britischen Bariton Andrew Foster-Williams mutete der Regisseur zu, sich an die schlafende Euryanthe völlig nackt in Verführungsabsicht heran zu schleichen. Er tat es aus nicht nachvollziehbaren Gründen. Hoffentlich hat sich das auch in einem Zuschlag auf seine Gage bemerkbar gemacht?
Handlungsstringent war diese „Einlage“ jedenfalls nicht. Darüber hinaus aber bot der Sänger für die Rolle des Bösewichts Lysiart einen exzellent geführten, eindringlichen Wagner-Bariton auf. Unverdient war der vereinzelte Buh-Ruf vom Rang beim Schlussapplaus. Auch der Sänger verstand das nicht und zuckte lediglich mit den Schultern. Wer allerdings wirklich Buhrufe verdient hätte, das war der US-amerikanische Tenor Norman Reinhardt als Euryanthes Geliebter Adolar. Gut, er darf nur schmachten und sich über lange Strecken selbst bemitleiden, bis er am Ende dann mit Widersacher Lysiart in ein eher zahmes Gerangel einfällt. Aber die Stimme! Zu Beginn traf er einige hohe Töne nicht und hörte sich verquollen bis heiser an. Nach der Pause wurde es dann etwas besser. Ein Hörgenuss wollte sich aber an diesem Abend bei ihm nicht einstellen. Dennoch wurde seine Leistung vom Publikum am Ende der Vorstellung wohlwollend goutiert. Stefan Cerny, Ensemblemitglied der Volksoper Wien, stattete König Ludwig VI. mit einem wahrlich royalen Bass aus. Ihm zur Seite stellte die Regie noch als „Edelkomparsin“ eine verzichtbare Königin in Gestalt der Schauspielerin und Sängerin Eva Maria Neubauer auf die Bühne. Der von Erwin Ortner geleitete Arnold Schoenberg Chor sang lebhaft und durfte sich auch – anlassbezogen – an der scheinbar der Untreue überführten Euryanthe vergreifen.
Constantin Trinks, der zuletzt im Dezember 2017 die „Ring-Trilogie“ am Theater an der Wien geleitet hatte, gelang gemeinsam mit dem ORF Radio-Symphonieorchesters Wien ein berauschender, alle Sinne ergreifender Abend, der immerhin drei Stunden ohne „Durchhänger“ dauerte. Bravissimo! Der Abschlussapplaus verteilte sich gleicher Maßen auf alle Mitwirkenden, unterlegt mit Bravo-Rufen und einem singulär gebliebenen nicht nachvollziehbaren und unverdienten Buhruf.
Harald Lacina 18.12.2018
Fotocredits (c) Monika Rittershaus