Den meisten Opernbesuchern dürfte er gänzlich unbekannt sein: Der französische Komponist César Franck (1822-1890). Dass das gänzlich ungerechtfertigt ist, wird offenbar, wenn man sich seine nach dem Drama Halte-Hulda des norwegischen Nobelpreisträgers für Literatur Biornstjerne Bjornson entstandene Oper Hulda betrachtet. Franck beendete die Hulda bereits im Jahre 1885. Indes war es dem bereits im Jahre 1890 verstorbenen Tonsetzer nicht mehr vergönnt, sein Werk auf der Bühne zu erleben. Die Uraufführung erfolgte erst am 4.3.1894 in Monte Carlo, und noch dazu mit einigen beachtlichen Strichen. Nach drei Aufführungen wurde das Werk bereits abgesetzt. Auch Folgeproduktionen in Den Haag und Toulouse, in denen die Oper ebenfalls nicht vollständig erklang, verschwanden schnell wieder von der Bildfläche. Das Werk geriet in Vergessenheit und ruhte über viele Jahrzehnte hinweg in der Versenkung.
Es ist dem Freiburger GMD Fabrice Bollon zu verdanken, dass er dieses äußerst reizvolle Werk wieder entdeckt und 2019 am Theater Freiburg nun zum ersten Mal gänzlich ungekürzt zur Aufführung gebracht hat. Bollon stand damals auch selbst am Dirigentenpult. Regie führte Tilman Knabe, der die Rachegeschichte der Waise Hulda, die sich am Ende ins Meer stürzt, geschickt vom Norwegen des 11. Jahrhunderts in das moderne Afrika transferierte und einen äußerst kritischen Blick auf die Verbrechen der Kolonialzeit warf. Da dieser Regisseur aber mit allzu vielen überlauten Bühnengeräuschen aufwartete, entschloss man sich in Freiburg, nicht einen Live-Mitschnitt einer Aufführung auf Tonträger zu veröffentlichen, sondern die CD unter Studiobedingungen zu produzieren. Die Aufnahmen erfolgten im Juli und Oktober 2019 im Rolf-Böhme-Saal des Konzerthauses Freiburg. Das war ein sehr begrüßenswerter Entschluss, da nun alle von der Bühne kommenden Störgeräusche wie Maschinengewehrfeuer, Schlagen von Türen und überlautes Geschrei gänzlich eliminiert sind und man sich voll und ganz auf Francks herrliche Musik konzentrieren kann.
Und der musikalische Reichtum der Partitur ist enorm. Die fünfaktige Anlage der französisch gesungenen Hulda sowie das im zweiten Teil des dritten Aktes eingestreute Ballett rücken das Stück in die Nähe der Pariser Grande Opéra. Wenn man sich die Oper anhört, wird indes schnell deutlich, dass Franck hier ganz stark dem Vorbild Richard Wagners huldigt. Der Komponist war ja auch ein ausgemachter Wagnerianer. Der nicht zu überhörende Einfluss des Bayreuther Meisters auf das Werk darf allerdings nicht zu der Annahme verleiten, dass es in der Hulda übermäßig laut und wuchtig zuginge. Das Gegenteil ist der Fall. Dramatische Passagen, bei denen der Orchesterapparat voll aufgedreht wird, kommen zwar durchaus vor, sie dominieren den Klangteppich aber nicht. Verstärkt kommen auch viele melodische Linien und herrliche Lyrismen vor. Das Ganze wird von einem melancholischen, traurigen Grundton geprägt, der bereits während des Vorspiels offenkundig wird. Es ist ein Hochgenuss, dieser Musik zuzuhören, noch dazu wenn sie derart kompetent und in hohem Maße homogen ausgelotet wird wie von Fabrice Bollon und dem prächtig disponierten Philharmonischen Orchester Freiburg. Bollon bleibt der ausladenden Dramatik der Partitur nichts schuldig, arbeitet aber auch ihre leisen, weichen und getragenen Stellen aufs Beste heraus. Neben den phantastischen Streichern gilt die besondere Liebe des Dirigenten der Oboe und der Klarinette, die er oft deutlich herausstellt. Daneben wartet er mit einer reichhaltigen Farbpallette und einer großen dynamischen Bandbreite auf – alles Voraussetzungen, um sein Dirigat abwechslungsreich und interessant erscheinen zu lassen. Das ist eine ganz große Leistung seitens Dirigent und Orchester.
Und was für ein vorzügliches Sängerensemble ist auf dieser CD doch vertreten! Das Theater Freiburg verfügt über ausgezeichnete Kräfte, das muss man sagen. Durch die Bank wird vorbildlich im Körper gesungen, was eher selten ist und beredtes Zeugnis von dem hohen Niveau ablegt, das dieses beachtliche Opernhaus genießt. In der Titelpartie der Hulda begeistert Meagan Miller mit bestens fokussiertem, in allen Lagen sicher geführtem und zur Höhe trefflich aufblühendem jugendlich-dramatischem Sopran, der zudem über viele Farben verfügt. In nichts nach steht ihr Joshua Kohl, der mit frischem, kraftvollem und große Strahlkraft aufweisendem lyrischem Tenor einen hervorragenden Eiolf singt. Sauberes, differenzierungsfähiges Sopranmaterial bringt Irina Jae Eun Park in die Rolle der Swanhilde ein. Mit tiefgründigem, kräftigem Mezzosopran stattet Katerina Hebelková die Gudrun aus. Als Halgerde gefällt ihre Stimmfachkollegin Inga Schäfer. Katharina Ruckgaber verleiht der Thordis berückende Soprantöne. Eine pastose Altstimme bringt Anja Jung für Huldas Mutter mit. Bei dem Gudleik von Juan Orozco bestechen eine wunderbare italienische Technik sowie die sonore Stimmgebung des Baritons, der zu den ersten Kräften des Freiburger Theaters zählt. Von Mateo Penaloza Cecconisperfekt gesungenem Herald und von John Carpenter, dem glanzvollen Vertreter des Gunnard, hätte man gerne mehr gehört. Profunde Bassgewalt zeichnet Jin Seok Lee in der Rolle des Asiak aus. Übertoffen wird er von dem mit edler Basseleganz und herrlichem italienischem Stimmfluss aufwartenden Jongsoo Yang, der den Arne gibt. Als Eyric, Eynar und Thrond überzeugen Roberto Gionfriddo, Junbum Lee und Seonghwan Koo. Ein Extralob ist dem sich mächtig ins Zeug legenden Opernchor des Theater Freiburg sowie dem Extrachor des Theater Freiburg auszusprechen, die von Norbert Kleinschmidt sehr gewissenhaft einstudiert wurden.
Fazit: Eine geradezu preisverdächtige Aufnahme, die in jeder Beziehung Freude bereitet. Hier haben wir es wieder einmal mit einer ausgemachten Rarität zu tun, deren Anschaffung hundertprozentig zu empfehlen ist! Es wäre wünschenswert, wenn sich noch andere Opernhäuer auf dieses fulminante Werk besinnen und es zur Aufführung bringen würden. Der Erfolg wäre ihnen sicher.
Ludwig Steinbach, 4. Mai 2023
NAXOS 2021 Best.Nr.: 8.660480-82 3 CDs