Graz: „Dafne in Lauro“, Johann Joseph Fux

21. Juni 2019, Helmut List Halle

STYRIARTE 2019 – Rundum gelungenes Eröffnungsopernfest

„Verwandelt“ – so heißt das Motto der styriarte 2019. Abgeleitet ist es vom Highlight des Festivals, von der Oper „Dafne in Lauro“ des genialen Barockmeisters Johann Joseph Fux, mit der die styriarte ihre zweite Ausgabe des Fux.OPERNFESTs füllt. Verwandlung, Veränderung, Variation – das, was unser Leben spannend macht, durchströmt die Festspiele 2019. So liest man es auf der reichhaltig-informativen Homepage der Styriarte

Dem drei Stunden langen, aber nie ermüdend-lange werdenden Barockabend wurde eine Szene vorangestellt, die der Styriarte-Dramaturg Karl Böhmer verfasst hatte, und in der der Herr Hofkapellmeister Fux intime Einblicke in seine Dafne gab. So wie bereits im Vorjahr führte der junge Schauspieler Christoph Steiner als Johann Joseph Fux charmant in das Stück ein – samt Dank an Sponsoren. Erst dann trat das Zefiro – Barockorchester mit seinem Leiter Alfredo Bernardini auf und man blickte auf die übliche Situation für die Styriarte-Opernaufführungen in der Konzerthalle: Im Vordergrund das Orchester, dahinter ein Podium samt Rundhorizont und drei Auftrittsöffnungen.

Diesmal ist geradezu idealtypisch das gelungen, was schon 2013 im Programmheft der Harnoncourt-Produktion Barbe-Bleue von Jacques Offenbach zu lesen war: „Wir versuchen tatsächlich, Musiktheater im einfachsten Sinn des Wortes zu machen, ohne dabei von vornherein von den üblichen Spielregeln des Opernbetriebs auszugehen. Kann man vielleicht das Verhältnis von Musik und Bühne anders

ausbalancieren? Kann man der Musik etwas mehr Raum geben, ohne dabei die Lust am Theater hintanzustellen? Muss es unbedingt eine konventionelle Bühne sein mitsamt einem komplett ausgeführten Buhnenbild?“

Und genau so war es bei dieser Fux-Produktion! Im Zentrum der diesjährigen Produktion stand unzweifelhaft die großartige musikalische Interpretation durch Orchester und Solisten. Die szenische Umsetzung des fast ausschließlich aus Rezitativen und Arien bestehenden Werks war einfach, aber nicht bloß bebildernd – geschickt durch grell-bunte Kostüme und sich ständig wandelnde Videoprojektionen belebt, die sich nicht ungebührlich vor die Musik drängten. Die mythologische Fabel wurde konsequent und gleichzeitig augenzwinkernd-fantasievoll erzählt. Dem gesamten szenischen Team kann man dazu gratulieren: Wolfgang Atzenhofer (Inszenierung), Lilli Hartmann (Bühne & Kostüme), Eva Grün und Max Kaufmann (Videobild und Animation), Jörg Weinöhl (Choreographie). Aus den durchwegs sehr gut besetzten fünf Gesangspartien ragten für mich aus dem hohen Niveau zwei besonders hervor:

Arianna Vendittelli (Dafne) und Raffaele Pe (Apollo) waren schauspielerisch und stimmlich ein exzellentes Paar. Die römische Sopranistin taucht als Puck-artiges Wesen aus dem Wald auf und gestaltet dieses Wesen zwischen Natur und Mensch stets überzeugend. Dazu singt sie mit klarer und in allen Lagen ausgeglichener Stimme. Sie verfügt über die nötige Attacke (Serba il tuo cor per te) und Koloraturensicherheit ebenso wie über die lyrische Gestaltungskraft in ihrer großen Verwandlungsszene (Lascio d’esser Ninfa). Der Countertenor Raffaele Pe gestaltete die Kastratenpartie des Apollo überaus eindrucksvoll mit seiner großen Stimme. Da gibt es kein Falsettieren – die hohen Tönen werden kräftig produziert und sogar effektvolle Schwelltöne sind ihm möglich – wirklich eine voce naturale, wie man sie in der Barockzeit für dieses Fach gepriesen hatte. Dazu spielt er den eitlen Schönling Apollo geradezu genussvoll-überzeugend und man glaubt ihm, dass er am Ende nur ungern von den irdischen Vergnügungen Abschied nimmt, in den Götterhimmel zurückzukehren.

Aber auch die anderen Partien sind ausgezeichnet und absolut rollendeckend besetzt. Sonia Tedla (Amore) und Valerio Contaldo (Mercutio) überzeugen mit drastischen Tönen. Sonia Tedla zieht lausbubenhaft als Amore die Fäden des Geschehens und singt gebührend soubrettenhaft. Valerio Contaldo ist ein handfester, gegen Ende gar heldischer Tenor, der seine Koloraturen nicht nur sicher singt, sondern auch sehr wirkungsvoll zur Charakterzeichnung einsetzt. Dazu kommt die erfahrene Sopranistin Monica Piccinini als rätselhafte Göttin Diana. Sie hat von den drei Damen das kleinste Stimmvolumen, artikuliert ausgezeichnet und hebt sich mit ihrer lyrischen Stimmgebung markant von der energischen Dafne und dem quirligen Amore ab. Das ist in dieser Besetzung mit drei hohen Frauenstimmen und zwei hohen Männerstimmen eine wichtige Qualität. Rätseln mag man, warum sie als Schwarze in weißem Kleid auftritt – vielleicht die Symbiose von schwarzer und weißer Göttin, also von Tod und Leben? Jedenfalls ein optisch reizvolles Bild zwischen den übrigen grellen Kostümen.

Alle fünf Gesangssolisten vereinigten sich in den wenigen Chorensembles und boten auch hier höchste Gesangskultur. Großartig und auch heuer wieder wahrhaft festspielwürdig war das Zefiro-Barockorchester unter Alfredo Bernardini. Da erlebte man ständige musikalische Spannung – im Lyrischen ebenso wie im Dramatischen und genoss die vielfältigen Klangfarben, die in der Fux-Partitur stecken. Man weiß gar nicht, wen man aus dem exzellenten Instrumentalensemble besonders hervorheben soll. Sehr reizvoll sind z. B die bloß vom Continuo begleitete Diana-Arie Fan gli amanti , die Vogel-Arie der Dafne Và, prigioniero mit Chalumeau und Flöte – und gegen Ende natürlich die große und wahrhaft berührende Abschieds- und Verwandlungsszene der Dafne mit der Gambenbegleitung. Die vier Ballettdamen (Choreographie: Jörg Weinöhl) sind am Ende des ersten Teils und im Finale sparsam, aber effektvoll als pittoreske Waldnymphen eingesetzt.

Ein Wort noch zur Szenerie: die Videoprojektionen wandeln sich im Laufe des Abends von einem schäbig wirkenden Renaissance-Palast in einen kahlen Wald, der wie nach einem Atomunfall aussieht, dann zu griechischen Ruinen, zwischen denen später auch Telefonmasten, ein Autobahnhinweisschild und moderne desolate Hochhäuser und offenbar Müllberge sichtbar werden. Dazwischen erlebt man wild wogendes Meer und mancherlei Getier, man sieht die Sonne wabernd über den Himmel wandern. Die wenigen Versatzstücke auf der Bühne sind alte Autoreifen, Matratzen und eine fallweise rot aufleuchtende Stehlampe sowie eine Jupiter/Zeus-Büste. Für mich erschloss sich das alles zunächst überhaupt nicht – erst als in der Schlussszene all diese schäbig-deprimierenden Bilder zu Lorbeerbäumen wurden, die Götter auf Erden zu Statuen erstarrten, während ihr Geist in den Götterhimmel zurückkehrte, vermeinte ich, die Idee des Inszenierungsteams zu erfassen:

Offenbar ist es nur die Natur, die den Menschen in seinem irdischen Jammertal erlösen kann. Aber vielleicht habe ich das ganz falsch verstanden – wer weiß?

Zusätzlich hatte ich jedenfalls eine ganz und gar ortsaktuelle, bedrückende Assoziation: rund um die Listhalle entsteht derzeit ein völlig neues Grazer Stadtviertel, die sogenannte, von Politik und Medien hochgelobte Smart-City-Graz – nach meinem Empfinden eine völlig sterile, jegliche Fantasie tötende Einheitsarchitektur, die mich fatal an die Endzeit-Hochhäuser erinnert, die wir gerade als Video-Projektion erlebt hatten. Wäre es nicht wunderbar, wenn diese Architekten- und Stadtplanungsschar sich auch in Lorbeerbäume verwandelte und damit wieder den reizvollen Barockgarten entstehen ließe, der noch im Vorjahr das Styriarte-Publikum erfreute…..?? Na ja – träumen wird man wohl noch dürfen!

Aber zurück zum barocken Opernfest. Diesmal wurde das eingelöst, was Intendant Mathis Huber in einem Interview versprochen hatte: „Ein Festival ist dazu da, Feste zu machen, und Feste sind nicht konventionelle Kammerkonzerte, sondern Feste sind mehr. Dieses ‚mehr‘ ist das, was die Zukunft unserer Musik sichern wird, weil es die Leute in der Vielfalt attraktiv finden und in der Einfärbigkeit nicht mehr kaufen werden“ Das Publikum war jedenfalls begeistert.

Hermann Becke, 22. 6. 2019

Szenenfotos: Styriarte, © Nikola Milatovic

Hinweise:

Rundfunkaufzeichnung in ORF-OE1 am 3. Juli 2019

– Neuerlich sei gelobt, dass die Styriarte für alle 45 Veranstaltungen des Festivals das jeweilige Programmheft online zur Verfügung stellt. In diesem Fall seit das gut redigierte Heft um drei Hinweise mit Graz-Bezug ergänzt:

1) ohne den bedeutenden, ursprünglich aus Graz stammenden Mainzer Musikwissenschaftler Helmut Federhofer wäre die heutige Fux-Renaissance undenkbar – er hatte schon vor 60 Jahren die erste Fux-Ausgabe initiiert.

2) Den renommierten Grazer Konzerttenor Martin Klietmann kann man auf der im Jahre 1990 in Paris entstandenen, bisher einzigen und im Jahre 2008 neuaufgelegten CD-Aufnahme von Dafne in Lauro unter René Clemencic hören.

3) 2010 gab es an der Grazer Kunstuniversität eine musikalisch respektabel gelungene Aufführungsserie von Dafne in Lauro zum 350. Geburtstag von Johann Joseph Fux

Zu Schluss kann ich es mir nicht verkneifen, auf eine Kuriosität hinzuweisen:

Eine Watchgroup gegen sexistische Werbung hatte vor etwa einem halben Jahr zum ersten Plakat der Styriarte geschrieben: „Die steirischen Festspiele „Styriarte“ zeigen für die kommende (2019) Reihe ein Sujet, das eine nackte Frau mit goldfarbener Haut zeigt. Ihre Brust, ihr Bauch und ihr Genitalbereich sind mit Zweigen, Blättern etc. bedeckt.“ Bei Interesse kann das inkriminierte Plakat hier angeschaut und der vollständige Text der Watchgroup hier nachgelesen werden.

Die Styriarte hatte darauf reagiert und nun sieht das Plakat so aus, wie Sie es am Beginn meines Beitrages sehen. Jeder möge sich selbst eine Meinung bilden.