Besuchte Vorstellung: 14. 2. 2015, (2.Vorstellung nach der Premiere vom 12.2.2015)
Modernes Musiktheater auf höchstem Niveau!
Es ist mutig, in Kärnten, das ja nicht gerade für ein der Moderne aufgeschlossenes Publikum bekannt ist, dieses großartige Werk überhaupt auf den Spielplan zu setzen und es dann auch noch gerade am Faschingsende zu spielen! Der Mut hat sich gelohnt: eine höchsten Maßstäben genügende Produktion ist gelungen und das Publikum war begeistert!
Francis Poulenc (1899 – 1963) verarbeitete in diesem Werk, das im Jahre 1957 an der Mailänder Scala in italienischer Sprache uraufgeführt wurde, ein Geschehen, das sich im Juli 1794 tatsächlich zugetragen hatte. Damals ging eine Gruppe von Karmeliterinnen singend in den Tod durch die Guillotine. Trotz der historischen Verortung in den brutalen Wirren der französischen Revolution ist Poulencs Oper kein historisierendes Stück. Der seit den 1930er Jahren dem Katholizismus zuneigende Komponist hat mit seinem Bühnenwerk, an dem er seit 1953 arbeitete, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs einen Kontrapunkt zu dem Grauen und der Entmenschlichung des Faschismus gesetzt, dem er, ohne ideologische Scheuklappen zu zeigen, den Glauben entgegensetzt. Poulencs Oper verlässt nie die erweiterte Tonalität. Auf das Widmungsblatt hat Poulenc die Namen Debussy, Mussorgsky und Verdi gesetzt. „Wenn der Name Mozart dabei fehlt, so weil man Gott-Vater nicht gut etwas widmen kann“ (Francis Poulenc).
Der französische Regisseur Richard Brunel der Klagenfurter Erstaufführung dieses bedeutenden Werkes verlegt die Handlung aus der Zeit der französischen Revolution ins Zeitlose und schreibt dazu: „Ein richtiges Maß an Aktualität erlaubt dem Zuschauer in einer Inszenierung seinen eigenen Referenzpunkt zu finden. Von ihm ausgehend kann er sich ein politisches System, einen historischen Kontext, vorstellen, in dem eine friedliche Gruppe, – vereint aus Überzeugung oder Religionszugehörigkeit – sich zur Minderheit gemacht und verfolgt fühlt.“ Das Konzept ist in ganz großartiger und überzeugender Weise aufgegangen. Endlich gibt es hier eine Inszenierung, in der nicht die so oft üblich gewordenen Holzhammer-Versatzstücke banaler Aktualisierung wie etwa karikierende Kirchenroben, Nazi-Uniformen oder Dschihad-Kämpfer verwendet werden, sondern die die dem Stück zugrunde liegenden Phänomene der Gruppenbildung und der Gewalt in diskreter und in einer gerade deshalb besonders bewegenden, ja aufwühlenden Form dem Publikum gezeigt werden. Die Handlung spielt in einem kühl-schlichten Einheitsbühnenbild (Anouk dell’Aiera), das durch das Verschieben einzelner Elemente die einzelnen Handlungsorte präzis gestaltet. Die Kostüme (Axel Aust) charakterisieren die Figuren mit klaren und einfachen Mitteln.
Die Inszenierung zeichnet sich durch eine exzellente Personenführung aus – jede einzelne Figur ist präzise gestaltet, ohne je in abgegriffene Operngestik zu verfallen. Das Regieteam hat behutsam und einfühlend viele kleine Details in das Libretto eingebaut – etwa das kleine Hündchen der adeligen Familie, die „Fußwaschung“ des Marquis durch den Diener, der dann später durch die Revolution selbst zum Herren wird und sich von Blanche die Füße waschen lässt oder die Fotobegeisterung der jungen Nonnen. Schlichtweg atemberaubend und ohne jegliche Peinlichkeit gelingt am Ende die Hinrichtung der Nonnen in perfekter Synchronisation zu der von Poulenc virtuos gestalteten Musik. Das Fallen des Beils ist ja im Orchester von Poulenc minutiös mit einem „bruit sourd et lourd” gestaltet. Dieses Geräusch rhythmisiert mit den „oi – a“ Fortissimo-Rufen der Zuschauermenge das von den Nonnen angestimmte „Salve Regina“. In Brunels Inszenierung wird punktgenau auf die Orchesterschläge jeder Nonne ein weißer Sack über den Kopf gestülpt – dann sinken sie leblos zusammen. An der Wand dahinter werden die Bilder der Ermordeten projiziert: Ein Bild, das niemand vergessen wird.
Diese szenische Perfektion ist auch deshalb möglich geworden, weil es Klagenfurt gelungen ist, ein optimales Ensemble zusammenzustellen. Ursprünglich hätte der (ehemalige) Weltstar Cheryl Studer die Rolle der alten Priorin übernehmen sollen. Sie wurde krank – an ihrer Stelle gestaltete die Schwedin Marianne Eklöf diese Partie stimmlich und darstellerisch mit elementarer Kraft. Die zentrale Figur der Blanche wurde von der US-Rumänin Laura Tatulescu verkörpert. Man kennt Tatulescu von ihren Anfängen an der Wiener Staatsoper – nun ist sie an der Münchner Staatsoper. Tatulescu erwies sich bei ihrem Rollendebut als eine schlichtweg ideale Besetzung – sie überzeugte in ihrer jugendlich-ängstlichen Ausstrahlung sowohl als Adelige als auch als Novizin im alltäglichen Klosterleben darstellerisch und stimmlich restlos – sie spielte nicht die junge Blanche – sie w a r sie.
Herausragend war auch die Mère Marie von Heidi Brunner, die eine erfahrene Künstlerin und auf vielen großen Bühnen zuhause ist. Für sie war diese Rolle auch ein Debut. Ich hatte sie noch vor einigen Jahren im Theater an der Wien in der ausgezeichneten Produktion von Robert Carsen als Madame Lidoine erlebt (hier die damalige Zeitungskritik). Heidi Brunner wird mit der Mère Marie an diesem Abend zur zweiten Hauptfigur der Handlung – wie sie nach dem Tode der Priorin zunächst die Verantwortung für das Karmel übernimmt, dann hofft, selbst Priorin zu werden und sich schließlich darein fügt, nicht gewählt zu werden und wie sie letztlich am Ende verzweifelt zu den hingerichteten Mitschwestern stürzt, das war wahrlich großes und tief berührendes Musiktheater. Dazu kam eine ebenso wunderbare und überzeugende Bewältigung der stimmlich anspruchsvollen Partie. Auch sie war also eine perfekte Besetzung und entsprach dem, was Francis Poulenc von seinen Frauenrollen erwartete – er schrieb ja dazu: „..meine fünf großen weiblichen Rollen sind für jeweils klar umrissene Fächer geschrieben. Nebeneinander stehen, wenn man will: Amneris, Desdemona, Kundry,Thais und Zerlina.“ Heidi Brunner sang vor kurzem ihre erste Kundry und ist nun zu einer überwältigenden Mère Marie geworden!
Evgeniya Sotnikova , die man in Klagenfurt schon vor zwei Jahren als Ilia in Idomeneo hören konnte, war eine erfrischend helle und positive Soeur Constanze. Allerdings will man gerne jene Warnung wiederholen, die man schon damals ausgesprochen hatte: Im Piano hat Sotnikova ein einnehmend-individuelles Timbre, leider sitzt aber die Stimme ab dem mezzo forte nicht mehr richtig „im Körper“ (um einen immer wieder im „Opernfreund“ diskutierten Terminus zu verwenden). Trotz dieser Einwände bot sie jedenfalls eine erfreuliche Leistung, die sich in das Gesamte gut einfügte. Auch Betsy Horne kennt man in Klagenfurt schon – sie war vor zwei Jahren eine vielversprechende Marschallin. In diesem Jahre wird sie in Leipzig erstmals die Arabella singen. Mit ihrer hochragenden Erscheinung und mit ihrem sicheren Sopran war sie als Mme. Lidoine eine eindrucksvolle und Respekt gebietende neue Priorin.
Neben den fünf Hautfiguren waren auch alle anderen Partien adäquat und durchwegs sehr gut besetzt. Zwei Sänger seien hier ausdrücklich hervorgehoben: der den Abend mit perfekter französischer Artikulation eröffnende und stimmgewaltige Marquis des Kristian Paul und der – wie von Poulenc gewünschte – „Mozarttenor“ Ilker Arcayürek als dessen Sohn (und Bruder von Blanche). Aber auch alle anderen verdienen uneingeschränktes Lob – speziell das Damenensemble des Chors. Die musikalische Gesamtleitung lag beim Klagenfurter Opernchef Alexander Soddy, der (gemeinsam mit Studien- und Chorleiter Günter Wallner) offenbar exzellente Einstudierungsarbeit geleistet hatte. Noch selten hörte man das Kärntner Sinfonieorchester derart animiert, konzentriert und klangschön. Die empfindsamen Holzbläser-Soli sollen besonders erwähnt werden – und trotz des großen Orchesterapparats wurden die Stimmen nie zugedeckt.
Der dreistündige Opernabend schlug das Publikum von Anfang bis zum Ende in höchst aufmerksam-konzentriertem Bann – schon lange habe ich nicht einen derart spannenden Opernabend erlebt. Dem kleinen Klagenfurter Stadttheater ist diesmal wirklich für einen ganz großen Wurf auf allerhöchstem Niveau zu danken, der keinen Vergleich mit ersten Häusern zu scheuen braucht! Und das Klagenfurter Abonnementpublikum habe ich offenbar unterschätzt – siehe dazu meinen Eingangssatz. Im Gegensatz zum Premierenpublikum verließ an diesem Abend niemand zur Pause das Haus – alle saßen geradezu atemlos auf ihren Plätzen und spendeten am Ende begeisterten Applaus.
Hermann Becke, 15. 2. 2015
Szenenfotos: Stadttheater Klagenfurt, (c) Jean-Louis Fernandez
Hinweise:
– Der Besuch einer der weiteren neun Vorstellungen ist dringend und wärmstens zu empfehlen!
– CD Live-Aufnahme der „Dialogues des Carmélites“ aus dem Theater an der Wien 2011 unter Bertrand de Billy (hier ist Heidi Brunner, die in Klagenfurt die Mère Marie singt, noch die Madame Lidoine)
– Im nahe gelegenen Maribor werden die Dialogues demnächst ebenfalls bald Premiere haben – hier die Termine